Der Standard

Horrorprog­nose – oder harmlos?

Am neuesten Gutachten zum Anstieg der Pensionsko­sten scheiden sich die Geister: Die einen sehen darin einen unmissvers­tändlichen Auftrag zu Reformen, die anderen ein überzogene­s Szenario.

- Gerald John

Es ist ein Thema, das die meisten Parteien ungern aufgreifen. Einzig die Neos reagierten von sich aus auf die neuen Kostenprog­nosen zum Pensionssy­stem. Die Regierung müsse endlich handeln, fordert Sozialspre­cher Gerald Loacker: „Nichts zu tun ist zukunftsve­rgessen und ungerecht.“

Auslöser der Debatte sind neue Gutachten, die heute, Mittwoch, in der Alterssich­erungskomm­ission auf der Tagesordnu­ng stehen. Wie DER STANDARD berichtete, sollen die staatliche­n Ausgaben für die Pensionen (inklusive Beamte) von heuer 5,8 Prozent auf 6,73 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) im Jahr 2027 anwachsen. In absoluten Zahlen macht das einen Sprung von 26,1 auf 37,9 Milliarden Euro.

Weil Sozialmini­ster Johannes Rauch am Dienstag aus anderem Anlass vor die Medien trat (siehe Artikel links), konnte er sich einer Vorab-Stellungna­hme nicht entziehen. Er halte das Pensionssy­stem auch angesichts der neuen Zahl für sicher, sagt der Grüne, an eine Anhebung des gesetzlich­en Pensionsan­trittsalte­rs denke er vorerst folglich nicht. Sehr wohl will Rauch aber die Übergänge vom Erwerbsleb­en in die Pension fließender gestalten: So könnte sich erreichen lassen, dass mehr Menschen zumindest teilweise länger im Job bleiben.

Schluss mit Erhöhungen

Den Kritikern reicht das nicht annähernd. Um die Kosten einzudämme­n, fordert die Industriel­lenvereini­gung ebenso weitreiche­nde Reformen, wie es der Opposition­spolitiker Loacker tut: „Alle Studien dieser Welt sagen, dass ein höheres Pensionsan­trittsalte­r unumgängli­ch ist, wenn die Menschen auch im Alter besser mit ihrem Geld auskommen sollen und der Staat nicht bankrottge­hen will.“Außerdem müsse endlich Schluss sein mit jährlichen Pensionser­höhungen über die Inflations­abgeltung hinaus.

Die Arbeitnehm­ervertrete­r hingegen widersprec­hen diesen Einschätzu­ngen vehement. Wenn behauptet wird, dass sich die Pensiokann­t, nen nicht mehr ausgingen, dann sei das falsch, schreiben ÖGB und Arbeiterka­mmer in einer gemeinsame­n Stellungna­hme: „Die Entwicklun­g kann in keiner Weise als dramatisch eingeschät­zt werden.“

Was die Einkommens­entwicklun­g der nächsten Jahre betrifft, seien die Annahmen in der Prognose viel zu pessimisti­sch, argumentie­rt AK-Vertreter Wolfgang Panhölzl: Die relativ hohen Kollektivv­ertragsabs­chlüsse, wie sie jüngst bei den Metallern oder in der Sozialwirt­schaft zustande kamen, wiesen in eine ganz andere Richtung. Folglich würden die Einnahmen für das Pensionssy­stem aus den Versicheru­ngsbeiträg­en der Beschäftig­ten „grob unterschät­zt“, sagt Panhölzl, und zwar laut AK-Rechnung um etwa 0,6 Prozent des BIP.

Doch selbst wenn die pessimisti­schen Zahlen zuträfen, liege die Entwicklun­g weiterhin „im antizipier­ten Rahmen“. Dass die Ausgaben in den nächsten Jahren steigen, weil geburtenst­arke Jahrgänge ins Pensionsal­ter kommen, sei längst beschreibe­n ÖGB und AK und verweisen auf langfristi­ge Prognosen, wonach die Kosten nach dem Sprung stabil bleiben sollen.

Für eine seriöse Einschätzu­ng solle im Übrigen erst die Sitzung der Alterssich­erungskomm­ission abgewartet werden, mahnen die beiden Institutio­nen. Schließlic­h handle es sich bei den umstritten­en Prognosen erst einmal nur um Entwürfe. Jenen zu den Beamtenpen­sionen hat das von der ÖVP geführte Finanzmini­sterium erstellt, jenen zur gesetzlich­en Pensionsve­rsicherung (Arbeiter, Angestellt­e, Gewerbetre­ibende, Bauern) das grün regierte Sozialmini­sterium.

Dass die Kommission, die über die Stabilität des Systems wachen soll, zu einer einhellige­n Einschätzu­ng kommt, scheint unter diesen Vorzeichen allerdings zweifelhaf­t. Denn in dem Gremium sitzen nicht nur Fachleute, sondern auch ebenjene Interessen­vertreter der Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er, die in der Pensionsfr­age jahrzehnte­lange Kontrahent­en sind.

 ?? ?? Verzweifel­t gesucht: Mehr Menschen, die bis ins fortgeschr­ittene Alter arbeiten, würden das Pensionssy­stem entlasten.
Verzweifel­t gesucht: Mehr Menschen, die bis ins fortgeschr­ittene Alter arbeiten, würden das Pensionssy­stem entlasten.

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