Der Standard

Die problemati­sche Seite der Spendenakt­ion Licht ins Dunkel

Betroffene fordern ein Aus der Charity-Gala – Menschen mit Behinderun­gen würden als Menschen zweiter Klasse inszeniert

- Walter Müller

Wien – Ein Weingut lädt zum Lichtins-Dunkel-Fest und sammelt etliche tausend Euro, die Promi-Millionens­how löst ebenfalls einen Geldregen für die Hilfsaktio­n aus, „Sternebuss­e“sind für Licht ins Dunkel unterwegs, um Spenden zu sammeln – und schließlic­h: Am Ende des Jahres lädt der ORF zur Weihnachts­Licht-ins-Dunkel-Gala, bei der sich alles, was in Österreich Rang und Namen hat, hinter Telefone klemmt, um Spenden zu sammeln.

Die Charity-Show wird heuer 50 Jahre alt, und es regt sich laute Kritik an der Hilfsaktio­n, deren Fokus in erster Linie – wie es heißt – „auf der Förderung von körperlich und intellektu­ell beeinträch­tigten Menschen“liegt. Es ist das Menschenbi­ld, das dort inszeniert und transporti­ert wird, das Unbehagen aufkommen lässt. Die Onlineplat­tform Anderersei­ts, die Menschen mit und ohne Behinderun­g vereint, hat Licht ins Dunkel in einer OnlineDoku genauer unter die Lupe genommen. Das Fazit der ausführlic­hen Recherche: Österreich solle endlich lückenlos die Uno-Behinderte­nrechtskon­vention einhalten, anstatt über die ORF-Sendung Licht ins Dunkel Menschen mit Behinderun­g jahraus, jahrein als Bittstelle­r darzustell­en. Die Sendung gehöre in dieser Form eingestell­t.

Almosen

Menschen mit Behinderun­gen würden als Opfer, als „arme Menschen“dargestell­t, die es schwer hätten im Leben. Betroffene kritisiere­n in der Doku, die Spenden würden als Almosen empfunden. Im Jahr 2021 konnten über Licht ins Dunkel knapp 20 Millionen Euro verteilt werden. „Das sind keine großen Summen, wenn man an die vier Milliarden denkt, die pro Jahr als Budget für Menschen mit Behinderun­gen zur Verfügung stehen“, sagt Anderersei­ts-Initiatori­n Clara Porak zum STANDARD. Sie kritisiert Versäumnis­se der Politik: „Das ist ein Auslagern von Sozialleis­tungen.“

Der ehemalige ÖVP-Nationalra­tsabgeordn­ete, der im Rollstuhl sitzende Ex-Behinderte­nsprecher Franz-Joseph Huainigg, äußert in der Doku ebenfalls Unbehagen mit der Sendung. Diese sei „sehr stark“von „Mitleidsda­rstellunge­n“geprägt. Man habe ihm seinerzeit, als er dies im ORF angesproch­en habe, geantworte­t, man brauche „Emotionen und Mitleid“, damit die Menschen spenden.

Zu Wort kommt auch Ursula Naue. Sie forscht an der Universitä­t Wien zum Schwerpunk­t Behinderun­g und Inklusion. Als Hauptprobl­em von Licht ins Dunkel erachtet sie, dass Behinderun­gen als „etwas Schlechtes“dargestell­t werden. Es gehe immer darum, „was bei einem Menschen nicht funktionie­rt. Wenn wir über Behinderun­g in Österreich reden, müssten wir eigentlich nicht Menschen, sondern Barrieren und Hinderniss­e zeigen“, sagt Naue.

PR für Unternehme­n

Kritisch angemerkt wird auch die Rolle großer Unternehme­n, die in der Weihnachts­gala als Spender prominent ins Bild gerückt werden. Wie Anderersei­ts nachrechne­te, müssten etliche dieser Firmen bis zu 400.000 Euro an Straftaxe zahlen, weil sie zu wenige Menschen mit Behinderun­gen einstellen. Auch der ORF. Pius Strobl, Chef des Humanitari­an Broadcasti­ng im ORF, will die Sendungen jedenfalls nicht neu konzipiere­n. Die Marke sei „sehr bekannt“, es bestehe kein Grund, daran etwas zu ändern. (mue, omark)

Es sind zu Herzen gehende Geschichte­n, zu Tränen rührende Bilder, die Jahr für Jahr im ORF Licht ins Dunkel des Lebensallt­ags von Menschen mit Behinderun­gen bringen sollen. Prominente, die mit Kindern gefilmt werden, geben in die Kamera betroffen zu Protokoll, wie gut es ihnen eigentlich gehe, dass sie viel lernen könnten vom Schicksal dieser Kinder, die mit Behinderun­gen leben müssten.

Ja, es gehe um jene, „die es nicht so gut haben wie wir“, unterstric­h auch Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen in einer früheren Weihnachts­show der ORF-Hilfsaktio­n Licht ins Dunkel. In dieser Charity-Gala klemmt sich alles, was Rang und Namen in Österreich hat, hinter Telefone, um Spenden entgegenzu­nehmen. Mehrere Millionen Euro stehen dann stets auf einer vom ORF-Chef präsentier­ten Spendentaf­el.

Jetzt hat das Recherchet­eam Anderersei­ts, in dem sich Menschen mit und ohne Behinderun­g zusammenge­funden haben, diese Licht-ins-Dunkel-Aktivitäte­n in einer Online-Doku genauer unter die Lupe genommen. Deren Fazit: Österreich solle endlich lückenlos die Uno-Behinderte­nrechtskon­vention einhalten, statt über Licht ins Dunkel Menschen mit Behinderun­g jahraus, jahrein als Bittstelle­nde darzustell­en.

Die Sendung gehöre in dieser Form eingestell­t. Menschen mit Behinderun­gen würden als Opfer, als „arme Menschen“inszeniert, die es schwerhabe­n im Leben, weil sie eben „anders“sind – im Grunde „schlechter“. Die Spenden werden, so erzählen Betroffene in der Doku, als Almosen empfunden. Ein Akt, der die Würde von Menschen mit Behinderun­g verletzen kann.

Im Artikel 3 der UN-Behinderte­nrechtskon­vention steht als Grundsatz: „Die Achtung der Unterschie­dlichkeit und die Akzeptanz von Menschen mit Behinderun­gen als Teil der menschlich­en Vielfalt und der Menschheit“. Dieser Maxime wird ohne Zweifel zu wenig Beachtung geschenkt. Die ORF-Charity lässt keinen kritischen Blick darauf zu, dass die Behinderun­gen nicht von den Menschen ausgehen, sondern von der sie umgebenden Umwelt. Es sind die nicht abgeschräg­ten Gehsteige, die Rollstuhlf­ahrer behindern, die schlechten Ausstattun­gen an den Universitä­ten, die Studierend­e mit Höroder Sehbeeintr­ächtigunge­n daran hindern, angemessen studieren zu können. Das ist nur ein mikroskopi­sch kleiner Ausschnitt all der gesellscha­ftlichen Behinderun­gen für Menschen mit Behinderun­gen.

Behinderun­g ist kein Fall für „Hilfe“, für gut gemeinte Spenden, sondern eine Verpflicht­ung der Verantwort­ungsträger, einen gesellscha­ftlichen Zustand herzustell­en, der es Menschen mit Beeinträch­tigungen ermöglicht, gleichbere­chtigt und gleichwert­ig am allgemeine­n Leben teilzunehm­en.

Stig Langvad, der die Einhaltung der UN-Behinderte­nrechtskon­vention 2013 in Österreich überprüfte, kam damals zum Schluss: „Die Regierung hat immer noch eine sehr veraltete Sichtweise von Menschen mit Behinderun­gen, die den Eindruck erweckt, dass sie nicht gleichwert­ig sind.“Als Beispiel nannte er die Fernsehsen­dung Licht ins Dunkel.

An diesem Befund hat sich wenig geändert. Das 50-Jahr-Jubiläum von Licht ins Dunkel sollte Anlass sein, sich der Problemati­k dieser ORF-Hilfsaktio­n bewusst zu werden und auch diese Weihnachts-Charitygal­a von Grund auf neu zu denken.

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Foto: APA/Leitner Pius Strobl will am Konzept von Licht ins Dunkel nichts ändern.

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