Die problematische Seite der Spendenaktion Licht ins Dunkel
Betroffene fordern ein Aus der Charity-Gala – Menschen mit Behinderungen würden als Menschen zweiter Klasse inszeniert
Wien – Ein Weingut lädt zum Lichtins-Dunkel-Fest und sammelt etliche tausend Euro, die Promi-Millionenshow löst ebenfalls einen Geldregen für die Hilfsaktion aus, „Sternebusse“sind für Licht ins Dunkel unterwegs, um Spenden zu sammeln – und schließlich: Am Ende des Jahres lädt der ORF zur WeihnachtsLicht-ins-Dunkel-Gala, bei der sich alles, was in Österreich Rang und Namen hat, hinter Telefone klemmt, um Spenden zu sammeln.
Die Charity-Show wird heuer 50 Jahre alt, und es regt sich laute Kritik an der Hilfsaktion, deren Fokus in erster Linie – wie es heißt – „auf der Förderung von körperlich und intellektuell beeinträchtigten Menschen“liegt. Es ist das Menschenbild, das dort inszeniert und transportiert wird, das Unbehagen aufkommen lässt. Die Onlineplattform Andererseits, die Menschen mit und ohne Behinderung vereint, hat Licht ins Dunkel in einer OnlineDoku genauer unter die Lupe genommen. Das Fazit der ausführlichen Recherche: Österreich solle endlich lückenlos die Uno-Behindertenrechtskonvention einhalten, anstatt über die ORF-Sendung Licht ins Dunkel Menschen mit Behinderung jahraus, jahrein als Bittsteller darzustellen. Die Sendung gehöre in dieser Form eingestellt.
Almosen
Menschen mit Behinderungen würden als Opfer, als „arme Menschen“dargestellt, die es schwer hätten im Leben. Betroffene kritisieren in der Doku, die Spenden würden als Almosen empfunden. Im Jahr 2021 konnten über Licht ins Dunkel knapp 20 Millionen Euro verteilt werden. „Das sind keine großen Summen, wenn man an die vier Milliarden denkt, die pro Jahr als Budget für Menschen mit Behinderungen zur Verfügung stehen“, sagt Andererseits-Initiatorin Clara Porak zum STANDARD. Sie kritisiert Versäumnisse der Politik: „Das ist ein Auslagern von Sozialleistungen.“
Der ehemalige ÖVP-Nationalratsabgeordnete, der im Rollstuhl sitzende Ex-Behindertensprecher Franz-Joseph Huainigg, äußert in der Doku ebenfalls Unbehagen mit der Sendung. Diese sei „sehr stark“von „Mitleidsdarstellungen“geprägt. Man habe ihm seinerzeit, als er dies im ORF angesprochen habe, geantwortet, man brauche „Emotionen und Mitleid“, damit die Menschen spenden.
Zu Wort kommt auch Ursula Naue. Sie forscht an der Universität Wien zum Schwerpunkt Behinderung und Inklusion. Als Hauptproblem von Licht ins Dunkel erachtet sie, dass Behinderungen als „etwas Schlechtes“dargestellt werden. Es gehe immer darum, „was bei einem Menschen nicht funktioniert. Wenn wir über Behinderung in Österreich reden, müssten wir eigentlich nicht Menschen, sondern Barrieren und Hindernisse zeigen“, sagt Naue.
PR für Unternehmen
Kritisch angemerkt wird auch die Rolle großer Unternehmen, die in der Weihnachtsgala als Spender prominent ins Bild gerückt werden. Wie Andererseits nachrechnete, müssten etliche dieser Firmen bis zu 400.000 Euro an Straftaxe zahlen, weil sie zu wenige Menschen mit Behinderungen einstellen. Auch der ORF. Pius Strobl, Chef des Humanitarian Broadcasting im ORF, will die Sendungen jedenfalls nicht neu konzipieren. Die Marke sei „sehr bekannt“, es bestehe kein Grund, daran etwas zu ändern. (mue, omark)
Es sind zu Herzen gehende Geschichten, zu Tränen rührende Bilder, die Jahr für Jahr im ORF Licht ins Dunkel des Lebensalltags von Menschen mit Behinderungen bringen sollen. Prominente, die mit Kindern gefilmt werden, geben in die Kamera betroffen zu Protokoll, wie gut es ihnen eigentlich gehe, dass sie viel lernen könnten vom Schicksal dieser Kinder, die mit Behinderungen leben müssten.
Ja, es gehe um jene, „die es nicht so gut haben wie wir“, unterstrich auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen in einer früheren Weihnachtsshow der ORF-Hilfsaktion Licht ins Dunkel. In dieser Charity-Gala klemmt sich alles, was Rang und Namen in Österreich hat, hinter Telefone, um Spenden entgegenzunehmen. Mehrere Millionen Euro stehen dann stets auf einer vom ORF-Chef präsentierten Spendentafel.
Jetzt hat das Rechercheteam Andererseits, in dem sich Menschen mit und ohne Behinderung zusammengefunden haben, diese Licht-ins-Dunkel-Aktivitäten in einer Online-Doku genauer unter die Lupe genommen. Deren Fazit: Österreich solle endlich lückenlos die Uno-Behindertenrechtskonvention einhalten, statt über Licht ins Dunkel Menschen mit Behinderung jahraus, jahrein als Bittstellende darzustellen.
Die Sendung gehöre in dieser Form eingestellt. Menschen mit Behinderungen würden als Opfer, als „arme Menschen“inszeniert, die es schwerhaben im Leben, weil sie eben „anders“sind – im Grunde „schlechter“. Die Spenden werden, so erzählen Betroffene in der Doku, als Almosen empfunden. Ein Akt, der die Würde von Menschen mit Behinderung verletzen kann.
Im Artikel 3 der UN-Behindertenrechtskonvention steht als Grundsatz: „Die Achtung der Unterschiedlichkeit und die Akzeptanz von Menschen mit Behinderungen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit“. Dieser Maxime wird ohne Zweifel zu wenig Beachtung geschenkt. Die ORF-Charity lässt keinen kritischen Blick darauf zu, dass die Behinderungen nicht von den Menschen ausgehen, sondern von der sie umgebenden Umwelt. Es sind die nicht abgeschrägten Gehsteige, die Rollstuhlfahrer behindern, die schlechten Ausstattungen an den Universitäten, die Studierende mit Höroder Sehbeeinträchtigungen daran hindern, angemessen studieren zu können. Das ist nur ein mikroskopisch kleiner Ausschnitt all der gesellschaftlichen Behinderungen für Menschen mit Behinderungen.
Behinderung ist kein Fall für „Hilfe“, für gut gemeinte Spenden, sondern eine Verpflichtung der Verantwortungsträger, einen gesellschaftlichen Zustand herzustellen, der es Menschen mit Beeinträchtigungen ermöglicht, gleichberechtigt und gleichwertig am allgemeinen Leben teilzunehmen.
Stig Langvad, der die Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention 2013 in Österreich überprüfte, kam damals zum Schluss: „Die Regierung hat immer noch eine sehr veraltete Sichtweise von Menschen mit Behinderungen, die den Eindruck erweckt, dass sie nicht gleichwertig sind.“Als Beispiel nannte er die Fernsehsendung Licht ins Dunkel.
An diesem Befund hat sich wenig geändert. Das 50-Jahr-Jubiläum von Licht ins Dunkel sollte Anlass sein, sich der Problematik dieser ORF-Hilfsaktion bewusst zu werden und auch diese Weihnachts-Charitygala von Grund auf neu zu denken.