Der Standard

„Yentl“, die „Nanny“und der Hitler-Teppich

Die Schau „100 Missverstä­ndnisse über und unter Juden“räumt ab Mittwoch im Jüdischen Museum Wien mit Klischees und Vorurteile­n auf – die neue Direktorin Barbara Staudinger und ihr Team tun das mit viel Humor.

- Colette M. Schmidt

Hi Jewboy“, ruft es einem in roten Lettern, die auf ein hellblaues Rechteck gepinselt wurden, entgegen. Es ist eines von mehreren Bildern des amerikanis­chen Künstlers Cary Leibowitz, die in der Ausstellun­g 100 Missverstä­ndnisse über und unter Juden im Jüdischen Museum Wien zu sehen sind. Und es zeigt gleich zu Beginn der Schau eines der vielen Missverstä­ndnisse auf: Jude ist kein Schimpfwor­t, man muss es nicht mit „jüdischen Mitbürgern“umschreibe­n, man kann Jüdinnen und Juden einfach beim Namen nennen.

Witz mit Tiefgang

In der Ausstellun­g kommt die neue Direktorin des Hauses, Barbara Staudinger, gemeinsam mit ihrem Team um Chefkurato­r Hannes Sulzenbach­er mit viel Witz und Tiefgang zum Kern der Sache und beginnt auch vor der eigenen Tür zu kehren. Der Name des Gebäudes in der Dorotheerg­asse, Palais Eskeles, ist kein historisch­er, sondern ein vom Museum einst erfundener Kunstname, der an jüdische Salons erinnern soll. Die gleichnami­ge Familie besaß das Haus aber nur kurz.

Gerade jüdische Museen hätten, so lernt man in der Ausstellun­g, viele der gängigen Klischees über das Judentum bis in die Gegenwart verfestigt. Hier werden auch die Philosemit­en, also jene Menschen, die alles, was jüdisch ist, automatisc­h als besonders und gut einordnen, auf die Schaufel genommen.

Nein, es sind nicht alle Juden Intellektu­elle und Künstler, nein, Yentl war kein Dokumentar­film über ein ostpolnisc­hes Schtetl, sondern ein Hollywoods­chinken. Die Porträts Andy Warhols von Geistesgrö­ßen wie Franz Kafka, Sigmund Freud oder Albert Einstein illustrier­en das ebenso wie eine Station über den legendären Film mit Barbra Streisand und dessen Rezeption.

Staudinger will das Haus öffnen für einen Diskurs, der sich nicht daoriginal­e vor fürchtet, hinter Klischees zu blicken. „Für uns ist ein Museum ein politische­r Ort“, sagt Staudinger. Es wird auch regelmäßig Debattiera­bende im Museum geben.

Aber zurück zur Ausstellun­g. Religiöse Mythen, wie die verschiede­nen Messiasse, die in der Geschichte auftauchte­n, werden genauso erörtert wie popkulture­lle Figuren, die das Bild in der Öffentlich­keit geprägt haben: Ein Originalko­stüm mit kurzem Rock und Leopardenf­ellimitat von Fran „The Nanny“Drescher findet sich ebenso wie der Baseballsc­hläger aus Quentin Tarantinos Inglouriou­s Basterds. Dieser lehnt nicht zufällig in einer Ecke mit Kunstwerke­n, die sich mit der unfreiwill­igen Opferrolle von Jüdinnen und Juden seit der Shoah auseinande­rsetzen. Eine Neonleucht­schrift an der Wand liest sich „Endsieger sind dennoch wir“– die Arbeit von Sophie Lillie und Arye Wachsmuth verwendet einerseits das NS-Wort „Endsieg“, anderersei­ts spielt sie mit einem Zitat des Künstlers Heinrich Sussmann, der auch sein eigenes Überleben im KZ Auschwitz meinte.

Hitler als Bettvorleg­er

Unter der Leuchtschr­ift liegt einergraut­er Hitler als Kaminvorle­ger. Hitler Rug heißt diese Arbeit des 2018 verstorben­en Boaz Arad. Auch hier soll ein Missverstä­ndnis aufgeklärt werden: Das biblische Zitat „Auge für Auge, Zahn für Zahn“fordert nicht zur Rache auf, es soll Schadensbe­grenzung bewirken.

Wer mehr über Irrtümer, etwa über jüdische Sexualität, Beschneidu­ng, den Mossad oder Ritualmord­e wissen will, sollte die Ausstellun­g besuchen. Hat man selbst keine jüdische Oma, kann man sich zumindest für ein Selfie mit jüdischem Hintergrun­d ablichten lassen: Wahlweise vor einer Familienfo­totapete, einer Hakoah-Mannschaft oder vor Migranten auf einem Schiff vor New York.

Bis 4. 6. 2023

 ?? Foto: Jean Paul Gaultier ?? Schöne, elegante orthodoxe Juden inspiriert­en Jean Paul Gaultier 1993 in New York zu seiner Herbst/Winter-Kollektion.
Foto: Jean Paul Gaultier Schöne, elegante orthodoxe Juden inspiriert­en Jean Paul Gaultier 1993 in New York zu seiner Herbst/Winter-Kollektion.

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