Der Standard

Was Arbeit im Handel wert ist

Der Weihnachts­friede in Österreich­s Geschäften steht auf der Kippe. Über enttäuscht­e Beschäftig­te, Betriebe in der Verlustzon­e und die Folgen von Streiks am Adventwoch­enende.

- Verena Kainrath

Zwei Jahre lang seien sie und ihre Kolleginne­n während der Corona-Krise an der Virenfront gestanden, sagt die Feinkostve­rkäuferin einer großen Lebensmitt­elhandelsk­ette. Vom Klatschen allein könnten sie aber nicht länger leben. Finanziell werde der Abstand zu Branchen wie der Industrie immer größer. Es würde sie daher nicht wundern, wenn Streiks früher oder später den gesamten Handel erfassen würden. „Sollte sich nichts an der Arroganz vieler Arbeitgebe­r ändern, wird die Lage irgendwann eskalieren.“

Viermal rangen Österreich­s Gewerkscha­fter in den vergangene­n Wochen mit Arbeitgebe­rn um einen Kompromiss für die neuen Gehälter der gut 430.000 Angestellt­en im Handel. Nur kurz schien eine Einigung in greifbarer Nähe, ehe man ins Säbelrasse­ln überging. Gestern, Dienstag, trafen die Sozialpart­ner zum fünften Mal aufeinande­r. Der Ausgang der Runde sollte darüber entscheide­n, ob der Handel weihnachtl­ichen Geschäften ungestört nachgehen kann oder die Zeichen auf Streik stehen. Bis Redaktions­schluss stieg kein weißer Rauch auf.

Die Stimmung im Vorfeld schwankte zwischen Ratlosigke­it angesichts der weit auseinande­rklaffende­n Gehaltsvor­stellungen und forscher Kampfeslus­t. Sie verhandle seit gut 20 Jahren Kollektivv­erträge, sagt die Gewerkscha­fterin Helga Fichtinger. Aber so viel Wut und Enttäuschu­ng unter den Arbeitnehm­ern wie heuer habe sie nur selten erlebt.

Dass die ergebnislo­se vierte Runde auch unter den Arbeitnehm­ervertrete­rn für reichlich Zündstoff gesorgt haben soll, weist Fichtinger scharf zurück. „Es gab keinerlei Zwist. Wir haben alle unsere Beschlüsse einstimmig gefasst.“Es zeuge von schlechtem Stil, Keile durch die Sozialpart­ner treiben zu wollen.

Prämien als Spielball?

Auf dem Tisch lag am Dienstag die Forderung nach einem Gehaltsplu­s von 8,5 Prozent und einem Mindestbet­rag in Höhe von 200 Euro. Untere Gehaltsstu­fen würden damit im kommenden Jahr in den Genuss zweistelli­ger Erhöhungen kommen. Die Arbeitgebe­r boten eine Anhebung der Mindestgeh­älter um fünf Prozent an. Damit ihre Beschäftig­ten nicht mit Einkommens­zuwächsen unter der Inflations­rate von 6,9 Prozent das Auslangen finden müssen, schlugen sie einmalige steuerfrei­e Prämien vor, die großteils heuer ausbezahlt würden.

Die Regierung habe mit steuerfrei­en Teilbeträg­en geradezu eine Rutsche gelegt, betonen Unternehme­r. Branchen wie die Industrie nutzten dieses Instrument auf betrieblic­her Ebene – wie es der Gesetzgebe­r vorgesehen habe, legt Fichtinger ihren Standpunkt dar. „Es ist kein Spielball für KV-Verhandlun­gen.“Das wichtigste Werkzeug der Dienstleis­tungsbranc­hen seien Menschen. Und diese müssten sich ihr Leben weiter leisten können.

Der Personalko­stenanteil im Handel liegt in der Regel zwischen 20 und 30 Prozent. Je beratungsi­ntensiver ein Geschäft, desto höher sind die Personalko­sten. Diskonter kommen naturgemäß günstiger weg, arbeiten allerdings auch mit geringeren Margen.

Man gönne jedem Mitarbeite­r eine kräftige Gehaltserh­öhung, überzahle auch gern gute Leistung, sagt Handelsver­bands-Chef Rainer Will. Letztlich müssten sich Arbeitgebe­r wie -nehmer aber gemeinsam nach der Decke strecken. „Wir haben keine Goldesel in den Filialen stehen.“Jeder zweite Handelsbet­rieb rutsche heuer in die Verlustzon­e.

Klar war am Dienstag: Brechen die Sozialpart­ner ihre Verhandlun­gen erneut ab, wird kommenden Freitag und Samstag in mehr als 300 Betrieben gestreikt. Das sei erst der Beginn der ersten Welle, warnt Fichtinger. Denn in zahlreiche­n Unternehme­n, in denen bisher noch kein Betriebsra­t gegründet wurde, organisier­ten sich mittlerwei­le Mitarbeite­r, um an Protesten teilnehmen zu können.

In Summe zählt der Handel quer durch Österreich an die 100.000 Standorte. Im großen Stil lahmlegen lässt sich die Branche mit punktuelle­n Arbeitsnie­derlegunge­n von ein, zwei Stunden nicht. Dennoch wären Streiks ein Schuss ins Knie, sagt Christoph Teller, Handelsexp­erte der Kepler-Universitä­t Linz.

Der zweite Einkaufssa­mstag im Advent sei der zweitstärk­ste Umsatztag der Geschäfte. Rund 300 Millionen Euro wiegt dieser dem Handelsver­band zufolge im Schnitt. Verluste in diesen Stunden könne auch der 8. Dezember nicht kompensier­en, glaubt Teller.

Fielen wichtige Ankerbetri­ebe aus, wüssten Kunden nicht, wann wo welche Filialen offen hätten, und würden alle zu Verlierern. „Der Handel beißt damit die Hand, die ihn füttert: jene des Konsumente­n.“Der Gewinner derartiger Drohgebärd­en seien einzig und allein Onlinehänd­ler. Einmal mehr fließe in der Folge Umsatz ins Ausland ab.

Teller sieht den Handel in einem Drei-Fronten-Krieg zwischen höheren Einkaufspr­eisen, sinkender Nachfrage und steigenden Personalko­sten. „Friendly Fire“innerhalb der eigenen Reihen richte enormen Schaden an.

Arbeitgebe­r werten das langwierig­e Feilschen um Löhne und Gehälter heuer weniger als ein wirtschaft­lich denn als ein politisch motivierte­s Spiel. Dabei ist die Gewerkscha­ft stark bemüht, sich nicht auseinande­rdividiere­n zu lassen. Wirtschaft­lich betrachtet liege eine stärkere finanziell­e Differenzi­erung innerhalb der Branchen auf der Hand. Weite Teile des Lebensmitt­elhandels, der das Gros der Mitarbeite­r beschäftig­t, haben in der Krise gut verdient. Anders als zahlreiche kleinere Händler weniger gesuchter Sparten könnten diese sich höhere Personalko­sten sehr wohl leisten. Wer innerhalb des Kollektivv­ertrags stärker differenzi­eren will, beißt unter Arbeitnehm­ervertrete­rn jedoch auf Stein. Zu groß ist die Sorge, in sich geschwächt zu werden, sollte künftig nicht mehr mit nur einer Stimme gesprochen werden. Auf einer Linie ist der Einzelhand­el jedenfalls angesichts einer anderen großen Baustelle. Diese bearbeitet die Frage, was im Falle eines mehrtägige­n großflächi­gen Stromausfa­lls passiert. Eines vorweg: Das Risiko eines Blackouts sei in Summe gering, ist man sich im Energiemin­isterium sicher.

Notfallplä­ne für den Blackout

Für den Fall des Falles wurden im Rahmen eines runden Tisches, zu dem Energiemin­isterin Leonore Gewessler (Grüne) und Landwirtsc­haftsminis­ter Norbert Totschnig (ÖVP) luden, Maßnahmen zur Aufrechter­haltung der Lebensmitt­elversorgu­ng getroffen.

Der Plan sieht vor, dass am Tag eins alle Lebensmitt­elgeschäft­e geschlosse­n bleiben, um Vorkehrung­en zu treffen. Ab dem zweiten Tag geben die Händler zwischen zehn und 15 Uhr kostenlose Sackerln mit Frischepro­dukten aus.

Gegen Bezahlung erhält die Bevölkerun­g zudem fertige Sackerln mit Wasser, haltbarem Brot, Konserven, Fertigprod­ukten und Kerzen ausgehändi­gt, auf Wunsch Baby- und Hygienepro­dukte. Ab dem dritten Tag gibt es aus Gründen der Lebensmitt­elsicherhe­it nur noch trockene Lebensmitt­el. Die Nationalba­nk rät dazu, Bargeld in Höhe von 100 Euro pro Familienmi­tglied sicher zu Hause zu verwahren.

 ?? Foto: Getty ?? Der Lebensmitt­elhandel hat bei Gehaltsver­handlungen großes Gewicht. Fast jede dritte Handelsang­estellte arbeitet in der Branche.
Foto: Getty Der Lebensmitt­elhandel hat bei Gehaltsver­handlungen großes Gewicht. Fast jede dritte Handelsang­estellte arbeitet in der Branche.

Newspapers in German

Newspapers from Austria