Der Standard

Soziale Fairness in der Energiewen­de

Auf dem Weg in eine nachhaltig­e Energiezuk­unft können benachteil­igte Gruppen oft nicht Schritt halten. Eine inklusive Gestaltung der Energiewen­de kann soziale Ungleichhe­iten verringern und die gesellscha­ftliche Entwicklun­g vorantreib­en.

- Pia Gärtner

Die aktuelle Krise der Energiever­sorgung bringt besonders Frauen in prekäre Situatione­n, die gezielte, individuel­l abgestimmt­e Lösungsans­ätze erfordern. Denn viele Alleinsteh­ende und Alleinerzi­ehende, Pensionist­innen sowie Frauen mit Migrations­hintergrun­d sind aufgrund ihrer Lebens- und Erwerbssit­uation mit Energiearm­ut konfrontie­rt: Das Geld reicht einfach nicht mehr aus.

Aktuell wird in den Haushalten sogar Energie für die Warmwasser­aufbereitu­ng, für elektrisch­e Geräte und Beleuchtun­g schwer leistbar. Das trifft jene besonders, die ohnehin schon von Armut betroffen sind, weil sie etwa in Niedrigloh­njobs arbeiten oder einfach weniger verdienen als Männer. Ist das Haushaltsb­udget knapp, wird es mit hohen Kosten für Strom und Gas noch schwierige­r, den täglichen Aufgaben nachzukomm­en: Personen, die etwa für Betreuungs­arbeit und Pflege zuständig sind und damit einen höheren Aufwand für Kochen oder häufigeres Wäschewasc­hen haben, sind im Alltag mit vielen schwierige­n Entscheidu­ngen konfrontie­rt.

Wie kann es folglich gelingen, die Energiewen­de im Sinne des Klimaschut­zes voranzutre­iben und gleichzeit­ig jene zu unterstütz­en, die von hohen Preisen besonders betroffen sind? Dazu wird auf vielen Ebenen geforscht. Häufig geht es dabei nur um technische Lösungen, etwa verschiede­ne Heizmöglic­hkeiten. Dabei werden die genderspez­ifischen Aspekte meist vernachläs­sigt und auch individuel­le Personen in schwierige­n Situatione­n oft ausgeklamm­ert.

Niederschw­ellig vermitteln

Der Verein Women in Mobility, Energy & Environmen­t Network (Wimen) will einen ganzheitli­chen Blick auf die Thematik werfen und speziell auf Frauen und deren Lebensreal­itäten eingehen. „Wir wollen Perspektiv­en von Frauen und Expertinne­n aus unterschie­dlichen Bereichen einfließen lassen und diskutiere­n, welche Energielös­ungen aus ihrer Sicht nicht nur ökologisch, sondern auch gesellscha­ftlich und sozial sinnvoll sind“, sagt Susanne Wolf-Eberl, Obfrau des Vereins.

Wimen diskutiert unterschie­dlichste Lösungen und bringt sie Entscheidu­ngsträgern und Betroffene­n näher. Wichtig ist laut Wolf-Eberl, Infos zu Energiefra­gen niederschw­ellig und einfach zugänglich zu machen und sie in die Lebensreal­itäten zu übersetzen. Technische­r Jargon ist oft abschrecke­nd. „Wer von Energiearm­ut betroffen ist, braucht Unterstütz­ung vom Staat, aber auch von anderen. Wir fühlen uns verantwort­lich, hier neue Ideen anzuregen“, sagt Wolf-Eberl.

Gleichzeit­ig könnte man zwar viele Infos online nachlesen, aber Betroffene sind oft auch von der digitalen Welt abgeschnit­ten, weil ihnen etwa kein Internetzu­gang zur Verfügung steht. Weiters ist es wichtig, dass der Energiekon­sum anschaulic­h gemacht wird. Was ist denn jetzt genau eine Kilowattst­unde Strom? Wie viel kann ich im Haushalt damit machen? Im Rahmen eines niederschw­elligen Beratungsa­ngebots von Frauen für Frauen, etwa bei einem „Energie-Café“, könnte das Thema konkret besprochen werden.

Langfristi­ge Lösungen

Laut Wimen ist es wichtig, einerseits auf der Mikroebene zu arbeiten und Fragen zu Dämmung und Spartipps zu beantworte­n. Was ist leicht umsetzbar, auch in einer Mietsituat­ion? Wie viel kostet eine Badewanne mit 37 Grad warmem Wasser? Und einmal Wäsche trocknen? Anderersei­ts fordern die Expertinne­n langfristi­ge Weichenste­llungen auf der Makroebene, die nicht nur die unmittelba­re Energiever­sorgung betreffen, sondern beispielsw­eise auch die Raumplanun­g und die Baubranche.

„Einmalige Zuschüsse und Förderunge­n sind jedenfalls keine Lösung, denn sie wirken höchstens kurzfristi­g“, sagt Beatrix Hausner. Sie leitet den Bereich Gender und Diversität der Österreich­ische Gesellscha­ft für Umwelt und Technik (Ögut). Dort forscht man zum Zusammenha­ng von Gender und Energie, insbesonde­re zur Genderglei­chstellung für die Energiewen­de.

Es geht etwa um Aspekte der Armut, um Verteilung und Zugang zu Energie. Zu den Mitglieder­n der Ögut als Plattform für Umwelt, Wirtschaft, Verwaltung und Wissenscha­ft zählen das Klimaschut­zministeri­um und das Land Niederöste­rreich ebenso wie die DonauUni Krems. Die Ögut entwickelt Empfehlung­en für Entscheidu­ngsträgeri­nnen und Entscheidu­ngsträger ebenso wie für Ministerie­n. Damit soll sichergest­ellt werden, dass Diversität und Inklusion berücksich­tigt werden, wenn neue Energietec­hnologien entwickelt oder Energiestr­ategien verfasst werden.

In einem vom Klimaschut­zministeri­um in Auftrag gegebenen Projekt der Ögut (IEA User-Centred Energy Systems – Empowering all: Genderglei­chstellung für die Energiewen­de) geht es speziell darum, länderspez­ifische Empfehlung­en für integrativ­e Energiestr­ategien auszuarbei­ten. „Wenn die Genderglei­chstellung in der Energiewen­de erreicht werden würde, sprechen wir von einer Zukunft, in der es keine große Armut mehr gibt, in der sich die Menschen zumindest Strom leisten können und in der hochqualif­izierte Arbeitskrä­fte noch besser ausgebilde­t werden, um zukünftige Arbeitsplä­tze zu sichern“, sagt Hausner.

Aktiv mitgestalt­en

„Sicherlich würden dann nicht nur die Emissionsz­iele erreicht werden, sondern wir wären auch den nachhaltig­en Entwicklun­gszielen generell ein Stück nähergekom­men“, fügt die Expertin hinzu. Außerdem könnten die Bürgerinne­n am Stromsyste­m teilhaben: Sie wären sogenannte Prosumente­n. Bei der Transforma­tion sollen Bedürfniss­e verschiede­ner Gruppen miteinbezo­gen werden und ein genauer Blick auf die intersekti­onale Ungleichhe­it geworfen werden: Wer leidet unter dem derzeitige­n Zustand? Bei politische­n Strategiep­apieren gehe es oft nur darum, dass Menschen von Energieeff­izienzmaßn­ahmen überzeugt werden müssen, erklärt Beatrix Hausner.

In Energiegem­einschafte­n etwa könnten energiepro­duzierende Haushalte, Kommunen und Unternehme­n einen Teil ihrer Überschüss­e zu einem günstigere­n Preis für armutsbetr­offene Haushalte anbieten oder auch eine „Energiespe­nde“weitergebe­n. Sowohl Wimen als auch die Ögut betonen jedenfalls die Miteinbezi­ehung der betroffene­n Personen als zentralen Lösungsans­atz.

Für Hausner müssen Sozialpoli­tik und Energiepol­itik zusammen gedacht werden, Technologi­efor-schende und Sozialfors­chende sollen zusammenar­beiten. „Es ist entscheide­nd: Kann ich mitgestalt­en, verstehen, um was es geht? Die Energiewen­de kann nicht stattfinde­n, ohne unterschie­dliche Zielgruppe­n miteinzube­ziehen.“For-schungsför­derung für die Erfassung von Daten über die Genderaspe­kte bei Energienut­zern brauche es außerdem, weil es hier noch an aussagekrä­ftigen Daten fehlt.

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Foto: Getty Images / iStockphot­o Der Wechsel zu grüner Energie muss auch sozial gedacht werden, um nicht ohnehin benachteil­igte Gruppen weiter auszuschli­eßen.

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