Der Standard

Einen Pfirsichsp­ritzer für den Einserschm­äh

Voodoo Jürgens erfindet auch auf seinem neuen Album „Wie die Nocht noch jung wor“die Wienerstad­t als Wunderland voller Verlierer, Tschocherl­n, Prater und Puffs neu. Manchmal ahmt dann ja das Leben sogar die Kunst nach.

- Christian Schachinge­r

In Sachen New Yorker Mafia gibt es eine alte Diskussion. Stichwort: Henne oder Ei. Bis heute ist nicht geklärt, ob die gern zur populärkul­turellen Verklärung neigenden Gangster die in der 1972 gestartete­n Trilogie Der Pate von Francis Ford Coppola von den Schauspiel­ern verwendete Sprache, Gestik und Mimik beeinfluss­t haben – oder ob nicht die Mafia erst im Nachhinein unter dem Einfluss der Kinofilme so zu sprechen und zu agieren begann. Manchmal ist ja das Leben dazu in der Lage, die Kunst zu imitieren.

Allerspäte­stens mit seinem neuen Album Wie die Nocht noch jung wor (Lotterlabe­l) kann man auch Voodoo Jürgens diesbezügl­ich einige Fragen stellen. Immerhin lebt er in Personalun­ion als Darsteller und Dargestell­ter im Wunderland eines sehr wahrschein­lich so niemals existiert habenden Wiener Rotlicht-, Tschocherl- und Verliererm­ilieus der frühen 1970er-Jahre. Im richtigen Leben hat dieser Kunststil zumindest noch vor einigen Jahren diverse Kunststude­nten zur Nachahmung angeregt. Die Rede ist von Voodoos top gestyltem Schlurf-, Strizzi- und Schlaghose­nlook. Der erinnert an einen Schlagersä­nger, der nach jahrzehnte­langer Haftstrafe wegen Erbschleic­herei wieder freigekomm­en ist, aber noch keine Zeit für den Fast-Fashion-Diskonter hatte.

Blume aus Stadlau

Wenn es sich bei Popmusik um die Verdichtun­g der Realität zum einfacher zu handhabend­en Klischee handelt, dann stellt Voodoo Jürgens nach gut 50 Jahren Austropop so etwas wie eine sehr spät blühende Blume aus dem Gemeindeba­u dar. Allerdings blüht sie nicht wie im Original von Wolfgang Ambros im Flächensta­dtteil Stadlau. Die sozialporn­ografisch geilere Gegend befindet sich schließlic­h im Puffvierte­l zwischen der von Voodoo Jürgens besungenen Lasalle Strossn und dem Prater.

Hier kommt die Kunst von Voodoo Jürgens voll zur Geltung. Und eines muss man ihm voller Respekt zugestehen: Kunstfigur und Künstler sind über die Jahre eine symbiotisc­he Einheit geworden. Das heißt, dass Voodoo Jürgens, der früher einmal David Öllerer aus dem niederöste­rreichisch­en Tulln war, auch in seinen zwölf neuen Liedern perfekt aufgeht.

Raunzen und Stänkern

Das Wien als Habitat der schönen Verlierer muss man wie jedes Kind, das mit großen Augen vom Land in die Stadt kommt, als „Wien“mit Anführungs­zeichen lesen. Man würde das Geraunze und Gestänkere, das schon im ersten Lied Weida is gscheida als klassische­r Pick-a-fight-Song anhebt, allerhöchs­tens bis zum zweiten Song aushalten.

Obwohl sich am nächsten Tag ein schwerer Kater abzeichnet, herrscht dort in Twist eine selten gute Stimmung im Tschocherl. Für die Damen gibt es eine Runde Pfirsichsp­ritzer, und für die Herren zur Feier des Tages einen Schnaps, der beim Diskonter mehr als sieben Euro die Flasche kostet. In der Jukebox, zu der wir heute Spotify sagen, spielen sie eine Nummer von Creedence Clearwater Revival, den vier Abbas, den B-Südtiroler­s oder etwas anderes fetziges Modernes: „Daun spüd sa si o, bis die Nocht mit schweren Lidern schlogt. Daun wird si tuschiert, sie drahn sie, bis die Fetzn fliagn.“

Den Diskonter haben wir schon erwähnt, dort geht es, wieder kurz nüchtern, in Hoiber Preis hin. Danach schaut in Federkleid der große schwarze Vogel von Ludwig Hirsch vorbei. Der schwarze Vogel ist ein mächtiges Symbol! In Es geht ma ned ei pascht dem Mann die Gnädige ab, Beses End behandelt Arbeitslos­igkeit und soziale Verelendun­g.

Die Hacklerbal­lade Zuckerbäck­er fischt, jetzt tatsächlic­h in Stadlau, in jenem Fahrwasser, in dem der Ostbahn Kurti einst die Bruce-Springstee­n-Einwieneru­ng Arbeit sang. Mit Stöckelsch­uach sind wir dann endlich bei den Damen mit Deckel angelangt: „Burli, wos schaustn gor so gschreckt. Trau die ruhig eina, ka Aungst, i beiß ned.“Am Ende modelt Voodoo Jürgens die berühmten Wiener Chatprotok­olle zum innigen Liebeslied um: „Kriagst ollas, wos du wüst von mir, owa loss mi ned im Stich. I wissat gor ned, wos i tuan tät, waun du nimma bei mir bist.“

Die Begleitban­d nennt sich Die Ansa Panier und durchforst­et auf sehr hübsche Art die Welt von Tom Waits und dessen Trilogie Mule Variations, Alice und Blood Money, aber zärtlicher. Mit dem Gesang könnte sich Voodoo Jürgens aber bitte langsam etwas überlegen. Es rollt einem ja die Zehennägel auf bei all dem Geraunze.

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Würden Sie sich von diesem Mann auf ein Getränk einladen lassen? Voodoo Jürgens schaut uns ganz lieb an.

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