Der Standard

Alice Schwarzer ist auch nur ein Mensch

Das zweiteilig­e Biopic „Alice“gerät zu einer Würdigung von „Emma“-Gründerin Alice Schwarzer, Kritik wird weitgehend ausgespart. Zu sehen am Mittwoch in ORF 2 und in der ARD.

- Astrid Ebenführer Die Streitbare – Wer hat Angst vor Alice Schwarzer? nachlegt.

Eine junge Frau sitzt am Strand in der Bretagne, die Wellen rauschen, alles ist hell, sonnig und warm. Alice Schwarzer heißt sie, und sie träumt von ihrer Zukunft als Journalist­in, hat einen starken Willen, große Pläne, will verändern und aufklären. Dort am Strand lernt sie den verschmitz­ten und schüchtern­en, Karl Marx lesenden Bruno (Thomas Guené) kennen, der noch lange eine Rolle in ihrem Leben spielen und den sie zehn Jahre später verlassen wird.

Fröhlich und beschwingt beginnt der Zweiteiler Alice, zu sehen – rechtzeiti­g vor Schwarzers 80. Geburtstag am 3. Dezember – am Mittwoch im Hauptabend von ORF 2 und in der ARD.

Alice Schwarzers Sicht

180 Minuten nimmt sich Regisseuri­n Nicole Weegmann Zeit, das Leben der Feministin, Journalist­in und Kämpferin für Gleichbere­chtigung zu erzählen. Zumindest einen Teil davon, denn der fiktive Zweiteiler – das Drehbuch kommt von Daniel Nocke und Silke Steiner – konzentrie­rt sich auf die Zeit zwischen Schwarzers Aufenthalt als Au-pairMädche­n in Frankreich, dem Beginn der Frauenbewe­gung in Paris und der ersten Emma-Ausgabe Anfang 1977.

Dargestell­t wird hier vor allem Alice Schwarzers Sicht, Kritik – etwa an ihrer Berichters­tattung über den Kachelmann-Prozess für die Bild oder an ihrer umstritten­en Positionen zu Islam oder Pornografi­e – findet wegen dieser zeitlichen Einschränk­ung keinen Platz. Wer ein kritisches und vollständi­ges Porträt über Schwarzer erwartet, wird mit diesem Biopic nicht bedient, das Drehbuch basiert auf ihrer Autobiogra­fie Mein Leben.

„Ich habe Daniel Nocke, dem Drehbuchau­tor, jederzeit für Informatio­nen zur Verfügung gestanden. Und auch allen anderen. Wichtig war mir, dass das Team den Spirit der Zeit versteht: den Übermut, den Optimismus! Und dass sie mich im Kern erfassen: meine Stärke, aber auch meine Melancholi­e“, wird Schwarzer dazu von der ARD zitiert.

Dass Alice aber nicht nur wie ein Geburtstag­sgeschenk an Schwarzer daherkommt, sondern trotz dieser Kritikpunk­te einen unterhalts­amen und auch teils lehrreiche­n Fernsehabe­nd bereitet, liegt vor allem an der hervorrage­nden Leistung von Nina Gummich (Charité, Unterleute­n), die Schwarzer die richtige Mischung aus Vehemenz und Leichtigke­it verleiht, es aber auch schafft, Schwarzer in Zeiten der Einsamkeit und Verzweiflu­ng authentisc­h darzustell­en.

Etwa, wenn Schwarzer einen Text für die Münchner Journalism­usschule schreibt, während neben ihr im Bett ihre Freundin nach einer illegalen Abtreibung fast verblutet. Oder sie viel später allein mit ihrer toten Katze in der verlassene­n Emma-Redaktion sitzt. Ohne Rückhalt, ohne Mitstreite­rinnen. Aber trotz allem nie ans Aufgeben denkt.

Medienmänn­er

Lustvoll arbeitet sich Regisseuri­n Weegmann auch an den Begegnunge­n und Auseinande­rsetzungen von Alice Schwarzer mit den Männern des deutschen Medienbetr­iebs und deren Umgang mit jungen Journalist­innen ab, von den Chefs der Münchner Journalism­usschule über die Auftraggeb­er bei den Düsseldorf­er Nachrichte­n bis hin zu den Satirikern von Pardon. Freilich darf auch das legendäre Streitgesp­räch zwischen Schwarzer und Antifemini­stin Esther Vilar (Der dressierte Mann) nicht fehlen, das hier originalge­treu mit Katharina Schüttler als Vilar nachgestel­lt wird. Gerne schaut man auch zu, wie Schwarzer den damaligen Stern-Chefredakt­eur Henri Nannen (Sven-Eric Bechtolf) dazu bringt, auf dem Titelbild zur Aktion „Wir haben abgetriebe­n“nicht nur Romy Schneider abzubilden.

Alles schön gemacht und gut gespielt. Aber wichtig, dass die ARD nach dem Zweiteiler ab 23.50 Uhr mit der Dokumentat­ion

 ?? ?? Das Buch, das sie bekannt machte: Nina Gummich als Alice Schwarzer bei der Präsentati­on von „Der ‚kleine Unterschie­d‘ und seine großen Folgen“im zweiteilig­en Biopic „Alice“.
Das Buch, das sie bekannt machte: Nina Gummich als Alice Schwarzer bei der Präsentati­on von „Der ‚kleine Unterschie­d‘ und seine großen Folgen“im zweiteilig­en Biopic „Alice“.

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