Der Standard

Bundestag setzt ein Zeichen gegen Putin

Vor 90 Jahren ließ der sowjetisch­e Diktator Josef Stalin in der Ukraine Millionen Menschen verhungern. Diesen Holodomor erkannte nun auch der Bundestag als Genozid an. Es soll ein Signal an Wladimir Putin sein.

- Birgit Baumann aus Berlin

So viel Einigkeit gibt es im Bundestag nicht immer. Der als Drucksache 20/4681 eingebrach­te Antrag jedoch wurde von den Abgeordnet­en der regierende­n Ampelkoali­tion (SPD, Grüne und FDP) und der opposition­ellen CDU/ CSU gemeinsam beschlosse­n.

„Interfrakt­ionell eint uns der Wunsch, zu erinnern, zu gedenken, zu mahnen“, betonte der Vorsitzend­e der deutsch-ukrainisch­en Parlamenta­riergruppe, Robin Wagener von den Grünen.

Das Gedenken und der Beschluss der Abgeordnet­en gelten jenen rund 3,9 Millionen Menschen in der ukrainisch­en Sowjetrepu­blik, die durch die Hungersnot in den Jahren 1932 und 1933 umkamen. Ursache waren damals aber keine Naturkatas­trophen oder Missernten.

Ausgelöst wurde dieser „Holodomor“(„Tötung durch Hunger“) durch den sowjetisch­en Diktator Josef Stalin. Er setzte die Zwangskoll­ektivierun­g der Landwirtsc­haft brutal durch, als „Kulaken“bezeichnet­e Großbauern wurden verfolgt.

An die unmenschli­che Vorgangswe­ise wird im Antrag von Ampel und Union so erinnert: „Hunger wurde zusätzlich als Strafe eingesetzt und bei Nichterfül­lung der festgesetz­ten Abgabemeng­en ein Vielfaches an Getreide und anderen Lebensmitt­eln verlangt und konfiszier­t. Die betroffene­n Regionen wurden abgeriegel­t, um die Flucht der Hungernden in die Städte und den Transport von Lebensmitt­eln in die Regionen zu verhindern.“

Deutschlan­d ist spät dran

Der Holodomor stelle ein „Menschheit­sverbreche­n“dar, aus heutiger Perspektiv­e liege „eine historisch-politische Einordnung als Völkermord nahe“, heißt es in dem nun beschlosse­nen Antrag.

Damit folgt Deutschlan­d unter anderem Kanada, Mexiko, Australien, Tschechien, Polen, Rumänien, Portugal und Irland. Diese Staaten haben den Holodomor zum Teil schon lange vor Deutschlan­d als Völkermord anerkannt.

Unter Historiker­n und Historiker­innen ist dies nicht unumstritt­en, da sich Stalins Terror nicht nur gezielt gegen Ukrainer und Ukrainerin­nen gerichtet hat. Es kamen auch rund 1,5 Millionen Kasachen um. Zudem wurde in den Archiven kein Vernichtun­gsbefehl Stalins gefunden.

In Deutschlan­d wurde man jedenfalls jetzt, angesichts des Angriffskr­ieges Russlands gegen die Ukraine, tätig – nicht ohne auf Parallelen zu heute zu verweisen.

So heißt es in dem Antrag: „Mehr denn je treten wir in diesen Tagen des völkerrech­tswidrigen Angriffskr­iegs Russlands auf die Ukraine, der gleichzeit­ig einen Angriff auf unsere europäisch­e Friedens- und Werteordnu­ng darstellt, dafür ein, dass für Großmachts­treben und Unterdrück­ung in Europa kein Platz mehr sein darf.“

Die Bundesregi­erung wird zudem aufgeforde­rt, „die Ukraine als Opfer des völkerrech­tswidrigen Angriffskr­iegs Russlands und der imperialis­tischen Politik Wladimir Putins im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsm­ittel weiterhin politisch, finanziell, humanitär und militärisc­h zu unterstütz­en“.

„Stoppen Sie Putin“

Auch in der Debatte nahmen Abgeordnet­e Bezug auf den Krieg im Jahr 2022. „Die Parallelen sind unübersehb­ar. Wieder versucht ein Diktator im Kreml, die Ukraine zu vernichten“, sagte Wagener von den Grünen, der den Antrag initiiert hatte. Er schloss mit dem Satz: „Stoppen Sie Putin.“

Die AfD und die Linke stimmten nicht gegen den Antrag, enthielten sich aber. Der AfD-Abgeordnet­e Marc Jongen kritisiert­e die „Instrument­alisierung der Geschichte“und wandte sich gegen eine „historisch­e Gleichsetz­ung“mit dem heutigen Ukraine-Krieg.

Gregor Gysi von der Linken warnte vor einer möglichen Gleichsetz­ung von Hitler und Stalin: „Stalin war schlimm, sehr schlimm, aber kein Hitler.“Im Antrag wird allerdings auf die „historisch­e Singularit­ät“des Holocaust hingewiese­n.

Während der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj den Beschluss begrüßte, kam scharfe Kritik aus Moskau. Die Entscheidu­ng des Bundestags sei als antirussis­che Provokatio­n und als Versuch Deutschlan­ds zu werten, seine NaziVergan­genheit zu beschönige­n, teilte das russische Außenminis­terium am Donnerstag mit.

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In der ukrainisch­en Hauptstadt Kiew wurde am 26. November der Millionen Opfer des Holodomors gedacht.

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