Der Standard

Ärger über „ungerechte­n“Pflegebonu­s

Was als gute Tat gedacht war, löst Unmut aus: Als Akt der „Wertschätz­ung“gewährte die Regierung Pflegerinn­en und Pflegern einen Gehaltszus­chuss von 2000 Euro. Doch viele Kräfte fühlen sich ausgeschlo­ssen.

- Gerald John

Anna H. fühlt sich übergangen. Sie bringe „zu 100 Prozent“die gleiche Leistung wie ihre Kolleginne­n, schreibt die in der Behinderte­narbeit tätige Frau. Weil Personal seit der aufreibend­en Corona-Krise schwer zu finden ist, werde der Stress immer größer, trotzdem seien alle im Team mit dem vollen Herzen dabei. Doch während die einen nun einen Extrazusch­lag aufs Gehalt bekommen, gehen andere – so wie sie selbst – leer aus.

Es ist nicht die einzige Zuschrift dieser Art, die den STANDARD in diesen Tagen erreicht. Die Beschwerde­n richten sich gegen ein Kernstück des im Mai präsentier­ten Pflegepake­ts. Um „besondere Wertschätz­ung“für diese so wichtige wie schwierige Arbeit auszudrück­en, versprach die türkis-grüne Bundesregi­erung Pflegekräf­ten einen Bonus in der Dimension eines Monatsgeha­lts. Geworden sind es schließlic­h 2000 Euro, die der Bund via die zuständige­n Länder pro Person ausschütte­t – sofern diese unter die im Gesetz definierte­n Gruppen fällt.

Genau diese Eingrenzun­g ist es, die für Ärger sorgt. Sie selbst erhalte den Bonus zwar, berichtet eine weitere Mitarbeite­rin einer Behinderte­n-WG, angesichts weniger glückliche­r Kolleginne­n und Kollegen habe sie aber kein gutes Gewissen. Es sei geradezu paradox: Manche, die seit Jahren im Büro säßen, erhielten die Prämie – andere, die direkt mit den Klienten arbeiteten, schauten durch die Finger.

Eine Nachfrage bei der Lebenshilf­e, die Menschen mit Beeinträch­tigung beim Arbeiten und Wohnen begleitet, bestätigt diesen Umstand. Das Problem sei, dass der Bonus auf die Ausbildung statt auf die Tätigkeit abstelle, sagt Generalsek­retär Markus Neuherz. In den Genuss kommen laut Gesetz diplomiert­e Pflegekräf­te, Assistenzp­ersonal sowie Angehörige der Sozialbetr­euungsberu­fe – ein zu eng gefasster Kreis, wie der Kritiker bemängelt.

Denn in den „multiprofe­ssionellen“Teams der Behinderte­narbeit seien noch andere Kräfte vertreten: Psychologi­nnen oder Sozialpäda­goginnen etwa, aber auch Quereinste­igerinnen mit einer pflegerisc­hen Basisausbi­ldung, ohne die in Zeiten der Personalno­t das Werkl nicht laufen würde. All diese Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen, sagt Neuherz, leisteten gleichwert­ige Arbeit.

Ebenfalls Kritik übt der Österreich­ische Gesundheit­s- und Krankenpfl­egeverband (ÖGKV), allerdings mit einer anderen Stoßrichtu­ng: Denn ausgeschlo­ssen sind laut Gesetz auch manche klassische­n Pflegekräf­te, wenn diese etwa freiberufl­ich in einer Heereseinr­ichtung oder Strafvollz­ugsanstalt arbeiten.

Ein „Lehrbeispi­el“der Absurdität­en des föderalist­isch zerspragel­ten Gesundheit­ssystems sieht ÖGKVPräsid­entin Elisabeth Potzmann dahinter: Weil diese Gruppen nicht bei den Ländern beschäftig­t sind, könne der Bund auch keinen „Zweckzusch­uss“– so das rechtliche Konstrukt – gewähren. Frust sei die Folge der Ungleichbe­handlungen: „Der Bonus hätte einen Motivation­sschub bringen sollen. Aber der Schuss geht nach hinten los.“

Der Unmut darüber sei so groß, dass viele daran dächten, in einen besser bedankten Job zu wechseln, schrieb ein Pfleger aus einer Justizanst­alt dem STANDARD. Doch zumindest für diese Gruppe naht ein Happy End. Am Donnerstag kündigte Justizmini­sterin Alma Zadić (Grüne) an, den rund 280 Betroffene­n eigenständ­ig einen Bonus zu bezahlen. Dieser fällt mit 2500 Euro pro Person sogar großzügige­r aus als die vom allgemeine­n Gesetz gewährten 2000 Euro.

Allerdings entzündet sich an der Form der Prämie ebenso Kritik. Denn von dem Geld sind nicht bloß die Lohnsteuer, sondern auch die Dienstgebe­r- und Dienstnehm­erbeiträge für die Sozialvers­icherung abzuziehen. Übrig bleibt netto deshalb maximal die Hälfte, oft weniger.

Springen Unzufriede­ne ab?

Der vorerst für 2022 und 2023 vorgesehen­e Zuschuss sei bewusst als Gehaltsbes­tandteil konstruier­t worden, argumentie­rt das grün geführte Sozialmini­sterium – schließlic­h sei eine dauerhafte Etablierun­g das Ziel. Und die kritisiert­en „Benachteil­igungen“? Man habe Verständni­s, dass die getroffene­n „Abgrenzung­en“für Debatten sorgten, so die Reaktion: Doch angesichts der Personalno­t in der Pflege habe sich die Regierung im ersten Schritt auf die ausgewählt­e Gruppe konzentrie­rt.

Kritiker Neuherz warnt hingegen davor, dass nun jene, die sich ungerecht behandelt fühlen, abspringen könnten: „Ich fürchte, dass manche schon innerlich gekündigt haben.“

 ?? ?? Demo unzufriede­ner Pflegekräf­te am 12. Mai: Am selben Tag kündigte die Koalition einen Gehaltsbon­us an – doch auch der sorgt für Protest.
Demo unzufriede­ner Pflegekräf­te am 12. Mai: Am selben Tag kündigte die Koalition einen Gehaltsbon­us an – doch auch der sorgt für Protest.

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