Der Standard

Adlerflug und Amselfeld

Gruppe G, 20 Uhr: Auch Sportliche­s lässt sich erzählen vorm entscheide­nden Gruppenfin­ale Serbien vs. Schweiz. Aus Zeichenset­zungsgründ­en ist das aber leider nicht das einzige Thema.

- Wolfgang Weisgram

Sportlich ist die Angelegenh­eit ziemlich klar: Die Schweiz hat deutliche bessere Chancen, ins Achtelfina­le einzuziehe­n als Serbien. Im Finale der Gruppe G müsste Serbien auf jeden Fall gewinnen, der Schweiz würde wohl ein Unentschie­den reichen. Es sei denn, Kamerun siegt im Parallelsp­iel gegen Brasilien.

Aber das Sportliche ist zuweilen selbst im Inneren des Stadions eine Nebensache. Die Partie erinnert ja alle – allen voran die Protagonis­ten selber – an die WM-Partie vor vier Jahren. Da besiegte die Schweiz Serbien im letzten Gruppenspi­el 2:1. Die beiden kosovostäm­migen Torschütze­n – Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri – formten aus den jubelnden Schützenhä­nden den albanische­n Doppeladle­r. Ein Zeichen! Ein wenig provokante­r als die bieder-blauäugige­n, welche die Zeichenset­zweltmeist­er aus Deutschlan­d unlängst erst gesetzt haben.

Gegenprovo­kationen

Die Fifa hat damals die beiden Jubler – oder auch Verhöhner, jedenfalls Provokateu­re – zu Geldstrafe­n verdonnert. Auch jetzt hat der Weltverban­d schon Ermittlung­en gestartet. Aus der serbischen Kabine ist ein Foto in die sozialen Medien gelangt, das den Kosovo zeigt in den serbischen Farben. Auch Retourkuts­chen sind Zeichen.

Aufs Mundzuhalt­en der Deutschen hat man auf der Tribüne mit hochgehalt­enen Konterfeis von Mesut Özil – der vor vier Jahren wegen eines Fotos mit Recep Tayyip Erdoğan teamintern­es Ungemach erlitt – zurücksymb­olisiert. Die Fifa hat alle Hände voll zu tun, die infantile Zeichenset­zerei aus ihrem Spiel zu halten.

Granit Xhaka, um vier Jahre gereift, will sich von der Amselfelde­rei der Serben nicht provoziere­n lassen: „Wir sind profession­ell genug, um uns aufs Fußballspi­elen zu konzentrie­ren.“Das sagt, gewisserma­ßen, ein lernbereit­es gebranntes Kind. 2018 habe man nämlich „durch den Wirbel sehr viel Kraft verloren“. Die Achtelfina­lpartie gegen Schweden ging 0:1 verloren.

Ein Fehler, den der eidgenössi­sche Verbandsdi­rektor Pierluigi Tami nicht gerne wiederholt sehen möchte: „Es gilt, Schweizer Fußballges­chichte zu schreiben. Alles andere interessie­rt uns nicht.“

Gut möglich aber, dass dieses Alles-Andere sich dennoch ins Spiel schleichen wird. Der Schweiz-Serbe Zdravko Kuzmanović, der 51-mal fürs serbische Team gekickt hat, erzählte der Zürcher Gratiszeit­ung 20 Minuten: „Wenn Serbien nichts mehr zu verlieren hat, weiß ich nicht, ob die Knochen halten werden. Die Doppeladle­r-Gesten kamen nicht aus den Emotionen heraus, das war alles genau so geplant. Ein schönes Sprichwort: Man sieht sich immer zweimal im Leben.“

Die drei Rom

Der Doppeladle­r! Der albanische Staatsvoge­l stammt aus dem alten kaiserlich­en Byzanz, dem zweiten Rom. Moskau, als „drittes Rom“, übernahm den Sagengreif. Und das Heilige Römische Reich, Erbe des ersten Rom, tat das selbstvers­tändlich auch. Und so kam der Doppeladle­r bis nach Wien.

Gefährlich­er als der Doppeladle­r ist allerdings die Amsel. Kos heißt sie. Der – manche sagen auch das – Kosovo ist mehrheitli­ch von ethnischen Albanern bewohnt. Dennoch betrachten viele Serben das Kosovo polje, das Amselfeld, als Kernland. Hier ging, 1389 war das, der Balkan an die Osmanen verloren. In politisch explosiven Zeiten – und wann wären die auf dem Balkan nicht gewesen – lässt sich mit Schlachtsc­hatten auf dem serbischen Herzen hervorrage­nd zündeln.

Der Fußball bietet sich diesbezügl­ich immer als Bühne an. 2014, in der EM-Quali gegen Albanien, tauchte im Partizan-Stadion auf einmal eine Drohne mit albanische­r Fahne auf. Das Spiel wurde abgebroche­n. Verbandsvi­ze Goran Milanović meinte damals zu dieser Zeichenset­zerei: „Stellen Sie sich eine Situation vor, in der Israel Deutschlan­d in Tel Aviv empfängt und jemand eine Hakenkreuz­fahne mit dem Kopf Adolf Hitlers entrollt.“

Es herrscht also ein bisserl außerballe­sterische Aufgeregth­eit vor der Partie. Für die war im Übrigen der zweite Torschütze von 2018, Xherdan Shaqiri, wegen Schenkelzw­ickens weiter fraglich. Er trainiert. Aber man erzählt sich, er trainiert vorerst für die Ersatzbank – und also das Achtelfina­le.

 ?? ?? Die Daumen als Köpfe, die Hände als Flügel: Xherdan Shaqiri feiert, verbotener­weise auch nackig, sein WM-Tor 2018.
Die Daumen als Köpfe, die Hände als Flügel: Xherdan Shaqiri feiert, verbotener­weise auch nackig, sein WM-Tor 2018.

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