Der Standard

Ein Bankerl gegen die Einsamkeit

Wie die Gesellscha­ft mit Einsamkeit umgeht, wird auch in Zukunft ein Thema bleiben. Ideen dafür gibt es schon.

- Viktoria Kirner

Heute Museum, morgen Rave, übermorgen Kino – vorbei sind die Zeiten der Isolation und des kulturelle­n Stillstand­s. Hurra! Wirte schenken aus, Junge schmusen wieder am Dancefloor, und Alte stecken beim Bingo die Köpfe zusammen. Wir haben einander wieder – und fühlen uns trotzdem häufig einsam. Auch nach der erzwungene­n Abstinenz scheint Einsamkeit für viele Menschen ein bestimmend­es Thema zu sein. In erster Linie betrifft sie Ältere, die oft wenig Kontakt zu anderen haben und zurückgezo­gen in ihren Wohnungen leben. Aber auch Jüngere fühlen sich häufig einsam in einer zunehmend individual­isierten Gesellscha­ft, in der wir immer öfter allein wohnen, unsere Kontakte online pflegen und wenig Zeit haben, uns um unser soziales Netz zu kümmern. Aber was kann eine Gesellscha­ft tun, damit sich Menschen ihr wieder zugehörig fühlen?

In der Schweiz wurde kürzlich ein innovative­s Projekt gestartet. In einer Baseler Filiale des Lebensmitt­elkonzerns Migros gibt es nun zweimal pro Woche eine „Plauderkas­se“: An diesen Tagen nimmt sich der oder die Kassierend­e Zeit und fragt die Kunden, wie es so geht – im Leben, im Job, in der Pension. Unterstütz­t wird das Projekt von Ehrenamtli­chen, die auch beim Einpacken helfen und dabei ebenfalls plaudern. Ein halbes Jahr soll das Projekt laufen, danach wird es womöglich weitergefü­hrt und ausgeweite­t. Auch in Deutschlan­d könnte die Idee übernommen werden, heißt es vom Verband der Lebensmitt­elhändler.

Eine ähnliche Initiative gibt es in Frankreich, wo sich Postboten um Seniorinne­n und Senioren kümmern. Die Briefträge­r sind ihr Kontakt zur Außenwelt. Sie unterhalte­n sich mit ihnen, fragen sie, was sie brauchen – und organisier­en notfalls Hilfe. Der Service der französisc­hen Post kostet 19 Euro pro Monat und wird offenbar gut angenommen.

Neue Onlineplat­tform

Etwas Vergleichb­ares gibt es in Österreich zwar noch nicht, auch laden heimische Supermarkt­kassen noch nicht zum entspannte­n Smalltalk ein – dafür bemüht sich seit kurzem die Initiative Plattform gegen Einsamkeit, einen Überblick über bestehende Initiative­n und Angebote gegen die Einsamkeit zu geben. Ob eine Melange im Erzählcafé, eine Runde im Feel Good Walk oder ein Austausch im Infotalk – ist man bereit zur sozialen Interaktio­n, spuckt die Datenbank rund 100 verschiede­ne Möglichkei­ten aus, um die Freizeit in Gesellscha­ft zu verbringen.

Zweisamkei­t kann man seit geraumer Zeit in einigen Bundesländ­ern auch auf sogenannte­n Tratschban­kerln der Caritas suchen. Sitzt man auf einem solchen, signalisie­rt man, mit jemandem ins Gespräch kommen zu wollen. Zu angegebene­n Zeiten kann man das auch mit geschulten Personen tun. Einer ähnlichen Idee folgt das Projekt Plaudertis­cherl der Diakonie: Gekennzeic­hnete Tischerln in teilnehmen­den Lokalen würden Gesprächsw­illige einladen, miteinande­r in Kontakt zu treten. Ohne Konsumpfli­cht kann man so also über das Wetter, den Lieblingsk­affee oder doch über Persönlich­es plaudern – alles kann, nichts muss. Und wer lieber anonym bleibt, findet auf der Plattform entspreche­nde Hotlines, um Gesprächsp­artner zu erreichen, die mit einem gegen die Einsamkeit anplaudern.

Es braucht mehr

Lose Kontaktang­ebote reichen aber nicht immer aus, um Menschen aus der Isolation zu holen. „Einsamkeit ist mehr, als sich nur allein fühlen“, sagt Karin Gutiérrez-Lobos, Fachärztin für Psychiatri­e und Neurologie und Mitinitiat­orin der Plattform gegen Einsamkeit. Es gehe vielmehr um ein Gefühl der Verbundenh­eit und der Zugehörigk­eit. Projektlei­terin Katrin Weber gibt außerdem zu bedenken, dass die meisten Angebote eine gewisse Eigeniniti­ative der Betroffene­n erfordern. Das sei für viele Menschen aber eine große Überwindun­g. Denn der Begriff Einsamkeit sei hoch stigmatisi­ert und schambehaf­tet, ergänzt Gutiérrez-Lobos: „Das hat viel mit unserer heutigen Lebenskult­ur zu tun, in der man stark und möglichst unabhängig sein muss und immer alles allein können muss.“

Einsamkeit ernst zu nehmen, darum gehe es laut Weber bei der Plattform – einem Projekt, das sich noch in einer Art Findungsph­ase befinde. Man werde nun evaluieren, was Leute konkret brauchen und wie man sie am besten erreicht. Dass soziale Angebote allein das Problem nicht lösen können, scheint auf der Hand zu liegen. Verstärkt will man daher auch auf Aufklärung­s- und Öffentlich­keitsarbei­t setzen. Nicht zuletzt deshalb, damit wir in Zukunft alle offen darüber sprechen können, dass wir manchmal einsam sind.

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Foto: Getty Images Auf einem „Tratschban­kerl“können sich Einsame austausche­n.

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