Der Standard

Entsorger machen sich für Schengen stark

Zu viel Bürokratie an der Grenze, langwierig­e Verfahren, andere Schikanen: Entsorgung­sbetriebe sehen dadurch die Kreislaufw­irtschaft gefährdet und fordern mehr Freizügigk­eit, eine Art Schengen für die Abfallwirt­schaft.

- Günther Strobl

In der Abfallwirt­schaft ist der Unmut groß. Es ist insbesonde­re die grenzübers­chreitende V erbringung von Sekundär rohstoffen und deren sachgerech­te Behandlung, die immer wieder die Wogen hochgehen lässt – nicht nur bei Umweltschü­tzern, auch in den Reihen der Entsorger. Während Umweltgrup­pen Müllexport­e generell unterbinde­n möchten, sehen sich Entsorger unnötigen Schikanen ausgesetzt.

Aktueller Stein des Anstoßes ist die so genannte EU-Abfallverb­ringungs verordnung. Diese steht jetzt zur Novellieru­ng an. Nach langen Diskussion­en unter Einbindung von Experten und Expertinne­n verschiede­nster Fachrichtu­ngen hat der Umweltauss­chuss des Europäisch­en Parlaments am Donnerstag einem Kompromiss­papier mit großer Mehrheit zugestimmt.

„Das sind kleine Schritte in die richtige Richtung, aber noch nicht die wirkliche Verbesseru­ng, die wir brauchen“, kommentier­te Peter Kurth, Präsident des Europäisch­en Abfallwirt­schaftsver­bands FEAD, das Abstimmung­sergebnis bei einem Wien-Aufenthalt. Die Verordnung sei der Lackmustes­t, „ob wir die Entwicklun­g unserer Wirtschaft zu einer Kreislaufw­irtschaft wirklich wollen“, sagte Kurth. „Wenn wir das wollen, dürfen wir Diskrimini­erungen der Rohstoffge­winnung aus dem Recyclingp­rozess gegenüber der Rohstoffge­winnung aus Primärproz­essen nicht mehr so hinnehmen.“

Trilog-Verfahren

Nun steht ein Trilog-Verfahren an, bei dem sich Rat, Parlament und EU-Kommission auf einen Kompromiss verständig­en müssen. Kurth ruft die Mitgliedss­taaten, namentlich Österreich, auf, mutiger zu sein als das EU-Parlament. Seine Vision ist „eine Art Schengen-Raum für Abfall“. Es dürfe nicht schwierige­r sein, Abfälle von Freiburg nach Straßburg zu transporti­eren als von Freiburg nach Kiel, machte er deutlich. Ohne gesicherte Stoffström­e sei keine Kreislaufw­irtschaft denkbar.

Getrennt sammeln, sortieren und aufbereite­n mache nur Sinn, wenn sich für die aufbereite­ten Materialie­n Abnehmer finden. „Wenn sie in ihrem Land keine aufnehmend­e Industrie haben oder eine Industrie, die einen sehr stark preisbilde­nden Einfluss auf den Markt ausübt, sind sie diesem Unternehme­n entweder ausgeliefe­rt oder sie haben die Möglichkei­t, den Abfall in ein anderes Land zu verbringen“, sagte Kurth. Derzeit seien grenzübers­chreitende Transporte aber mehr als schwierig, wenn es sich um notifizier­ungspflich­tige Abfälle handelt.

Wenn Abfall beispielsw­eise von Vorarlberg nach Wien verbracht wird, beträgt die Entfernung rund 650 Kilometer. In eine Anlage in der Schweiz oder Deutschlan­d sind es viel weniger Kilometer, aber die grenzübers­chreitende Abfallverb­ringung innerhalb der EU erfordert, dass in diesen Fällen innerstaat­liche Anforderun­gen, Notifizier­ungsverfah­ren und ein Begleitsch­einverfahr­en erfüllt werden müssen.

Ungleichbe­handlung

„Für diese Ungleichbe­handlung gibt es keine sachlichen Gründe“, sagt Gabriele Jüly, Präsidenti­n des Verbands Österreich­ischer Entsorgung­sbetriebe (VOEB). „Die Abfallzusa­mmensetzun­g ist identisch, EU-weit gelten einheitlic­he Standards mit hohem Schutznive­au für Mensch und Umwelt.“

Beispiel Malta: Der Inselstaat im Mittelmeer hat keine eigene Glasindust­rie, keine Papierindu­strie, auch keine chemische Industrie – und Stahlindus­trie schon gar nicht; Malta ist aber ebenfalls verpflicht­et, Recyclingq­uoten zu erfüllen. Das bedeutet, dass ein Land wie Malta alle getrennt gesammelte­n Abfälle exportiere­n können muss. Bei Primärmate­rialien stört das keinen Menschen, bei Recyclingm­aterialien derselben Qualität bereitet das aber immer wieder Schwierigk­eiten.

Worin bestehen die? Zum einen darin, dass Notifizier­ungen etwa bei Holz und Kunststoff­en sowohl im abgebenden als auch im aufnehmend­en Land durchgefüh­rt werden müssen – zwei behördlich­e Verfahren, die nicht immer zum selben Ergebnis kommen, wie Kurth aus Erfahrung weiß. Eine zweite Schwierigk­eit bestehe darin, dass die Möglichkei­ten der Digitalisi­erung überhaupt nicht genutzt würden.

Das größte Problem sei aber die zeitliche Dimension der Bearbeitun­g der Anträge. „Das kann sich über Monate hinziehen“, sagt Kurth. So könne man mit Rohstoffen, die permanent anfallen und täglich gesammelt werden, nicht umgehen. Anlagen sollten – einmal zertifizie­rt und auf Herz und Nieren geprüft – aus allen Regionen der EU angefahren werden können, ohne langwierig­en Bürokratis­mus, wenn zufällig eine Grenze dazwischen­liegt. Die deutsche Regierung habe bereits anklingen lassen, für Erleichter­ungen einzutrete­n, sagte Kurth.

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Kunststoff zählt europaweit zu den mengenmäßi­g gewichtigs­ten Abfallprod­ukten nach Eisenmetal­len, Altpapier, anderen Metallen, Mineralik (Bauschutt, Schlacken) und Altholz.

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