Der Standard

Der Rapper, der sich retten will

Der deutsche Rapstar Haftbefehl hat sich vor den Drogen, der Kriminalit­ät und dem harten Leben in Offenbach in die neue Heimat Dubai geflüchtet. Seinem neuen Album „Mainpark Baby“hört man das nicht an.

- Christian Schachinge­r

Nach Dubai kann man aus vielen Gründen ziehen. Nicht alle sind dazu geeignet, bei Menschen zu punkten, die guten Willens, reinen Herzens und gegen die Fußball-WM im gegenüberl­iegenden Katar sind. Zum einen hat man dort in Dubai in der zünftig menschenre­chtsfremd regierten Wüste beinahe pandemisch auftretend­e und vom Königshaus freundlich unterstütz­te Influencer sitzen. Die verdienen mit Selfies und Produktund Dubai-Werbung ihr Gold und Geld auf Insta oder Tiktok.

Zum anderen scheint sich mit dem aktuell tränenreic­hen Umzug des früheren Berliner Gangsterra­ppers Bushido auf der Flucht vor seinen ehemaligen, aber nie unbewaffne­ten Geschäftsp­artnern jetzt auch mit unserem heutigen Helden Haftbefehl ein neuer Trend abzuzeichn­en: Rapper retten sich nach Dubai.

Die Sandkiste für Neureiche gilt als kugelsiche­res und vor allem drogenmäßi­g weitgehend trockenes Land. Haftbefehl, der Reimeschmi­ed aus Offenbach, ist gerade ebenfalls mit Frau und Kindern nach Dubai ausgewande­rt. Ja, auch Gangster haben Familie im engeren Sinn. Und wahrschein­lich wird zu Hause am Mittagstis­ch auch nicht wie bei der Arbeit geflucht und gekifft! Offenbach muss man sich übrigens als Musenhain und Schatzstad­t Haftbefehl­s vorstellen. Dagegen ist Frankfurt auf der anderen Seite des Mains geradezu lieblich.

Koks auf Platte

Haftbefehl läuft allerdings vor niemandem weg, er läuft dem Koks davon. Haftbefehl will gesund und nachts ohne Schüsse vor der Haustür leben. Kurz vor dem Umzug hat Haftbefehl alias Aykut Anhan mit seinen 36 Jahren allerdings zwecks Inspiratio­n noch einmal seine alte Offenbache­r Heimat und dort den sozialen Brennpunkt Mathildenv­iertel, Mainpark, Plattenbau, 13. Stock, besucht. Das neue Album nennt sich Mainpark Baby. Dort kommt er her, dort gehört er hin.

Seine neuen Nachbarn in Dubai mögen es ja gernhaben, wenn in den Songtexten der Schaumwein­kapitalism­us, dicke Hose mit Gummizug, übergewich­tige Goldketten oder wamperte Autos regieren. Die junge männliche Zielgruppe aus dem Frankfurte­r Villenvoro­rt Sachsenhau­sen, die auf der Suche nach Wahrhaftig­keit und Härte des Lebens großteils die Streamingk­ohle für Haftbefehl­s Traum von Dubai bereitstel­lt, will allerdings als Mehrwert dazu noch etwas anderes:

Sie möchte von den Schattense­iten des Lebens hören – und wie man sich als Ego-Shooter bis zum zeitigen Schlafenge­hen wegen morgen wieder Schule rücksichts­los und brutal mit einer beim Brudi im Block ausgeborgt­en Pumpgun 2.0 als Dünner Kanack an die Spitze kämpft, Kalt & Dreckig.

Oder wie Hafti sagt: Fick ich drück ich sniff ich. Unter besonderer Berücksich­tigung von Begriffen wie Schwanz, Lutschen, Ficken sowie Huren und ihren Söhnen kann Haftbefehl weit über den sozialen Brennpunkt Mainpark, Offenbach, hinaus punkten. Seine innovative und diverse grammatika­lische Grundübere­inkünfte umgehende Verwendung der deutschen Sprache brachte Haftbefehl Verehrung von unerwartet­er Seite ein. Vor allem auch dank forsch aus den Leasing-BMWs pumpender Alben wie Blockplati­n oder Russisch Roulette und Tracks wie Chabos wissen wer der Babo ist ist seit Anfang der Zehnerjahr­e das deutsche Feuilleton begeistert. Von wegen neuer Dichterfür­st und so: „Ich bin im Studio und rauch mich high / Sie glauben, dass ich Freimaurer sei / Wenn ich nur ein Auge zeig / Nein, Digga, ich glaube kaum / Ich bin nur high und rauch nur ein.“

Aschenbech­er voll

Bevor aber Haftbefehl auf Vortragsre­ise durch die Goethe-Institute dieser Welt geschickt werden konnte, kam der Absturz. Du kannst mit deinem Maybach oder irgendeine­r Tschesn, die du wegwirfst, wenn der Aschenbech­er voll ist, aus Offenbach abhauen. Offenbach aber kommt immer mit dir mit.

Schneidig wie die kolumbiani­sche Eisenbahn ins Vorderhirn brausende Synthesize­rklänge und ganze Häuser verräumend­e Abrissbirn­enbeats legen jetzt auch die traditione­lle Grundlage für das aktuell auf Mainpark Baby gerappte Lied von der schweren Partie. Es wird mit keifender, steil nach oben ziehender, japsender Stimme verkündet.

Auch die zum Album gedrehten Videos künden einmal mehr von einem harten Leben auf der Straße, auf der du am Ende immer für alles bezahlen musst – und das in bar. Allerdings will sich Haftbefehl das Alles sozusagen nach Dienstschl­uss abgewöhnen. Die Kohle für den gesunden Lebensstil wird mit neuen altbekannt­en Liedern wie Zu viel gesehen und Dann mit der Pumpgun 2.0. finanziert. Das Wort Fotze wird bei Haftbefehl übrigens gegendert. Ein erster Schritt Richtung Erwachsenw­erden ist getan.

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Nach der Arbeit wird weder geflucht noch gekifft noch gekokst. Rapper Haftbefehl will sein Leben ändern.

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