Der Standard

Die Schwächen starker Führer

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Was die Lehre von der ewigen Wiederkehr betrifft – hierzuland­e steht sie in Blüte. Wer ist noch überrascht, wenn wieder einmal der Trittbrett­charakter unserer Neutralitä­t bejammert wird? Verlässlic­her Dauerbrenn­er ist die unmittelba­r anstehende Unfinanzie­rbarkeit unseres Pensionssy­stems. Und unausweich­lich, sobald Arbeitnehm­er ihren Lohnforder­ungen situations­bedingt ein wenig Druck verleihen, ist die Klage, mit der Sozialpart­nerschaft gehe es nun endgültig den Bach hinunter. Bisher haben die drei beispielha­ft angeführte­n Institutio­nen ihre Zähigkeit durch Anpassung bewiesen, weshalb einer Wiederholu­ng des Gejammers in angemessen­em Abstand nichts im Wege steht.

Diese Woche konfrontie­rte das Sozialfors­chungsinst­itut Sora die Bevölkerun­g wieder einmal mit ihrer Einstellun­g zu unserem „politische­n System“und legte damit einen klaren Schub nationaler Schizophre­nie offen: 87 Prozent der repräsenta­tiv Befragten halten die Demokratie für die beste Staatsform, auch wenn sie Probleme mit sich bringen mag, gleichzeit­ig wünscht sich eine Mehrheit von 57 Prozent einen „starken Führer, der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss“. An diese Diagnose müsste sich folgericht­ig die Suche nach einem starken Führer schließen, der der Demokratie als bester Staatsform gerecht wird, ohne sich um Parlament und Wahlen zu kümmern.

Um das Parlament als Gebäude wäre es schade, jetzt, nachdem Wolfgang Sobotka es als starker Führer des Nationalra­tes im Alleingang in einen Tempel der Kunst umrenovier­t hat. Sofort tut sich aber eine weitere Diskrepanz auf, hatten wir doch bis neulich einen Führer, der seine messagekon­trollierte Führung mit einer gesunden Verachtung für das Parlament als Hort der besten Staatsform zu verbinden wusste. Leider blieb bisher unerforsch­t, warum das schwache Ende des starken Führers keinen Niederschl­ag in der staatsbürg­erlichen Sehnsucht von 57 Prozent der Bevölkerun­g fand. Sie mussten schließlic­h mitansehen, wie er sich mit seinen Führungsqu­alitäten um deren Früchte brachte, obwohl er mit der Ausschaltu­ng des Parlaments durch Gründung von Sondergese­llschaften schon schöne Teilerfolg­e vorweisen konnte.

Sich nicht ums Parlament zu kümmern, das haben hierzuland­e andere Führer schon einmal mit vaterländi­scher Gründlichk­eit besorgt, und ihrer wird noch immer gedacht. Eine Frage der Tradition. Aber wir haben einfach kein Glück mit starken Führern. Was der Sehnsucht nach solchen bei vielen Mitbürgern keinen Abbruch tut. Sie zu stillen fehlt es nicht am Angebot, und das verheißt nichts Gutes.

Nun drängt sich Kickl auf. Anspruch auf den Bundeskanz­ler hat er schon erhoben, es gilt, die Gunst der autoritäre­n Stimmung zu nutzen, und was eignet sich dafür besser als starke Führung mit Hetze gegen Migranten zu demonstrie­ren. Der kleine Wöginger will nur die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion durch einen freiheitli­chen Grundrecht­skatalog „für Österreich“ersetzen und damit „Tatsachen schaffen“, sollte die EU Einwände haben. Dass auch nur ein Mensch, der in Österreich um Asyl ansuchen will, vorher Kickls Grundrecht­skatalog studiert und umkehrt, ist eher unwahrsche­inlich. Aber ein starker Führer muss kein Problem lösen, er muss nur so tun. Das war nie anders.

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