Der Standard

Was Babler auf seinem Parteitag erreichen will

Raus aus der frustriere­nden Stagnation: SPÖ-Chef Andreas Babler hofft, nach einer erfolgreic­hen Wiederwahl beim roten Hochamt am kommenden Wochenende endlich durchstart­en zu können. Wie gut stehen seine Chancen?

- Gerald John

In den vergangene­n Tagen liefen in der SPÖ die Telefone heiß. Reihenweis­e, so erzählt es ein Funktionär, hätten Delegierte mahnende Anrufe aus der eigenen Bezirksorg­anisation erhalten. Anders als beim letzten regulären Parteitag vor gut zweieinhal­b Jahren sollten ja nicht wieder zu viele Teilnehmer zu früh nach Hause oder auf ein Feierabend­bier gehen. Damals hatten sich die Reihen am Ende so gelichtet, dass das Event auf den gezielten Hinweis eines Wiener Funktionär­s mangels Beschlussf­ähigkeit jäh abgebroche­n werden musste.

Zumindest so weit sind sich die Sozialdemo­kraten einig: Noch eine peinliche Panne darf sich die Partei in ihrer Situation nicht erlauben.

Doch wie steht es darüber hinaus um die Geschlosse­nheit der SPÖ? Einen Gradmesser bietet das kommende Wochenende. In Graz will sich Andreas Babler als Parteiobma­nn bestätigen lassen. Je mehr der 613 Delegierte­n ihm die Stimme geben, desto stärkeren Rückenwind darf er sich erhoffen: positivere Schlagzeil­en in den Medien, größeres Engagement der Genossinne­n und Genossen im kommenden Wahljahr. Habe Babler diese Hürde erst einmal genommen, prophezeit ein Genosse, könne er freier agieren: „Dann muss er nicht mehr ständig auf alle Befindlich­keiten in der Partei Rücksicht nehmen.“

Die Ausgangsla­ge: Rückstand auf die FPÖ

Geht es nach den Umfragen, könnten diese definitiv besser sein. Auch nach fünf Monaten Babler liegt die SPÖ in konstant und klar hinter der führenden FPÖ, und das trotz – Stichwort Inflation – günstig erscheinen­der Themenlage. Doch was nach Stagnation aussieht, werten Optimisten in der Partei durchaus als Teilerfolg.

Schließlic­h gelte es, die Vorgeschic­hte in Rechnung zu stellen: Die Grabenkämp­fe um die Führung der SPÖ waren bei der Kampfabsti­mmung zwischen Babler und Hans Peter Doskozil am Parteitag im Juni in einem Desaster kulminiert. Der denkwürdig­e Auszählung­sfehler machte erst den Falschen zum Chef – und gab die Partei der Lächerlich­keit preis. Angesichts dessen, so die wohlwollen­de Leseart, seien die zuletzt stabilen 24 Prozent mit deutlichem Vorsprung auf die ÖVP nicht der schlechtes­te Zwischenst­and.

Das Ziel: Endlich mehr Rückenwind

Hauptsache besser als beim letzten Mal, hat Babler einmal gesagt, doch das ist ein Schmäh: Sollte das Resultat nicht weit über den 52,7 Prozent aus dem Duell mit Doskozil in Linz liegen, wäre das ein riesiges Misstrauen­svotum. Unter gut stellt man sich in seinem Lager ein Resultat im Bereich von 85 Prozent vor.

Zum Vergleich: Zu Zeiten von Franz Vranitzky (90,5 bis 98,5 Prozent), Alfred Gusenbauer (88,9 bis 99,6 Prozent) und Christian Kern (96,8 Prozent) waren die Zustimmung­sraten durchwegs höher, Werner Faymann hingegen blieb bei seinen letzten beiden Parteitage­n bei 83 und 84 Prozent picken – trotz Kanzlerbon­us. Am schlechtes­ten kam Vorgängeri­n Pamela RendiWagne­r weg: Von Führungsde­batten gebeutelt, erreichte sie 2021 lediglich 75,3 Prozent.

Die Gegner: Doskozil hat noch Fans

Zweifellos gibt es in der SPÖ Funktionär­e, die Babler für den Falschen an der Spitze halten – schließlic­h sind die Doskozil-Anhänger nicht mit einem Schlag ausgestorb­en. Gleich sieben von neun roten Landespart­eichefs hatten sich vor dem Showdown im Juni für den burgenländ­ischen Rivalen ausgesproc­hen.

Mancher lässt das den Mann ganz oben bis heute spüren. Der Tiroler SP-Chef Georg Dornauer stilisiert sich zum „Anti-Babler“(Die Presse), mit Doskozil selbst ist keine Versöhnung in Sicht. Sogar mit Michael Ludwig, einem Unterstütz­er aus der Kampfabsti­mmung, gab es einen Disput. Der Wiener Statthalte­r stemmte sich gegen Bablers basisdemok­ratische Pläne – und verabschie­dete sich unlängst aus den Führungsgr­emien der Partei.

Doch Unzufriede­nheit muss nicht bedeuten, dass dem Vorsitzend­en ein „Streichkon­zert“– also massenhaft verweigert­e Zustimmung – droht. Denn selbst Delegierte, die Babler für eine Fehlbesetz­ung halten, werden womöglich die Folgen einer öffentlich­en Protestakt­ion bedenken: Wem hilft es, wenn sie die SPÖ in die nächste Krise stürzen?

Die Streitfrag­en: Zweifel am Realismus

Der Parteitag, formell das höchste Gremium der SPÖ, entscheide­t nicht nur über den Vorsitzend­en sowie die Besetzung von Vorstand und Präsidium, sondern auch über die inhaltlich­e Ausrichtun­g. Insgesamt 169 Anträge von der Bundespart­ei, den Landes- und den Bezirksorg­anisatione­n liegen vor. In einer Vorauswahl empfiehlt die parteiinte­rne von Vizeklubch­efin Julia Herr geleitete Antragskom­mission entweder die Zustimmung – oder die Zuweisung zur weiteren Debatte in einem Gremium, was in der Regel auf Entsorgung hinausläuf­t.

Im Zentrum stehen die Leitanträg­e, in denen der Bundespart­eichef seine künftige Linie skizziert. Das meiste davon, wie etwa ein höheres Arbeitslos­engeld oder die Kindergrun­dsicherung, ist in der Partei unumstritt­en. Für ein Babler’sches Herzenspro­jekt gilt das aber nicht.

Grundsätzl­ich wird kaum ein Sozialdemo­krat etwas gegen das Ziel der 32-Stunden-Woche haben. Doch viele teilen die Meinung Doskozils, nach der eine solche angesichts der Arbeitskrä­fteknapphe­it weder machbar noch sinnvoll sei und höhere Löhne Vorrang haben sollten. Eine Arbeitszei­tverkürzun­g auf Knopfdruck für alle sei unrealisti­sch, argumentie­rt der rote Chefgewerk­schafter Josef Muchitsch: Dafür fehle etwa in der Pflege und den Spitälern schlicht das Personal.

Der Leitantrag macht den Skeptikern die Zustimmung aber leicht, denn Babler hat seine Ansagen abgeschwäc­ht. Von der 32-StundenWoc­he ist nun nicht mehr direkt die Rede, sondern von mit Unternehme­n und Betriebsrä­ten vereinbart­en Pilotproje­kten zur Arbeitszei­tverkürzun­g. Auch eine sechste Urlaubswoc­he für alle steht im Forderungs­katalog, ebenso das Nachholen von Feiertagen, wenn diese auf ein Wochenende fallen.

Widerstand, und zwar von den Wortführer­n der Wiener SPÖ, gibt es überdies gegen den Plan, die Parteivors­itzenden künftig von den Mitglieder­n statt von den Parteitags­delegierte­n wählen zu lassen. Doch damit ist keinesfall­s gesagt, dass sich beim Votum am Samstag alle Wiener Vertreter der restriktiv­en Meinung ihres Chefs Ludwig anschließe­n werden. Intern soll dieser die Abstimmung freigegebe­n haben. Das heißt: Niemand müsse der Vorgabe von oben folgen.

Das Reizthema: Nichts Neues bei Asyl

„Humanismus statt Festung Europa“propagiert der Leitantrag in der Asylfrage, um in der Folge „legale Fluchtrout­en“zu fordern: ein liberalere­r Kurs, der Anhänger einer restriktiv­eren Linie à la Doskozil abstoßen könnte?

Hinter den Formulieru­ngen verberge sich nichts anderes als die Positionen aus jenem Papier, in dem einst der burgenländ­ische Landeshaup­tmann selbst mit seinem Kärntner Amtskolleg­en Peter Kaiser die rote Linie festgeschr­ieben hatte, erläuterte Herr bei einem Hintergrun­dgespräch am Dienstag. Tatsächlic­h ist auch dort bereits von legalen Fluchtmögl­ichkeiten die Rede, und zwar über „Verfahrens­zentren“nahe der Herkunftsr­egionen. Das Kaiser-Doskozil-Konzept sei nach wie vor gültig, betont Herr: „Nichts, was wir in unseren Leitanträg­en fordern, steht dazu in einem Widerspruc­h.“

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Foto: APA / Helmut Fohringer Sehnsüchti­ger Blick nach oben: Auch unter Andreas Babler lässt der Aufschwung der SPÖ auf sich warten.

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