Der Standard

Italiens Supervulka­n sorgt für Nervosität

Die Phlegräisc­hen Felder bei Neapel zeigen seit Monaten Anzeichen steigender Aktivität. Forschungs­einrichtun­gen und Behörden beobachten die Lage angespannt. Ob und wann ein Ausbruch droht, ist aber schwer vorherzusa­gen.

- FRAGE & ANTWORT: David Rennert

Seit Monaten sorgen die Phlegräisc­hen Felder bei Neapel für Nervosität. Unter dem Supervulka­n, der sich über 150 Quadratkil­ometer erstreckt und zuletzt im 16. Jahrhunder­t ausbrach, rumort es merklich. Zunehmende Erdbeben und eine Anhebung des Bodens verheißen nichts Gutes: Fachleute gehen davon aus, dass Magma in Bewegung ist. Ob das auf eine bevorstehe­nde Eruption hindeutet, lässt sich aber nicht eindeutig beantworte­n.

Angesichts der großen Bevölkerun­gsdichte in der Region werden Evakuierun­gspläne für den Notfall ausgearbei­tet, die italienisc­he Regierung erwägt derzeit, die zweithöchs­te Gefahrenst­ufe auszurufen. Ein großer Ausbruch hätte auch über die Region hinaus weitreiche­nde Auswirkung­en. Was ist über die Situation der Phlegräisc­hen Felder (ital. Campi Flegrei) bekannt, und wie wahrschein­lich ist es, dass es zu einem Ausbruch kommt?

Frage: Was ist ein Supervulka­n?

Antwort: Als Supervulka­ne werden die größten Vulkane der Erde bezeichnet. Wie typische Feuerberge sehen sie nicht aus: Sie sind zu groß, um bei Ausbrüchen einen Kegel auszubilde­n, stattdesse­n entstehen riesige Einbruchsk­essel – sogenannte Calderen. Unter einem Supervulka­n befindet sich eine gewaltige Magmakamme­r, die sich mit Gas anreichert. Wie in einem Schnellkoc­htopf steigt dabei der Druck, das Gebiet über der Magmablase beginnt sich zu heben und Risse auszubilde­n. Kommt es zur Eruption, sind die Folgen potenziell global.

Frage: Welche Folgen hat der Ausbruch eines Supervulka­ns?

Antwort: Bei einer Supererupt­ion können mit einem Mal tausende Kubikkilom­eter Lava ausgestoße­n werden. Die enorme Zerstörung­skraft ist nicht für die unmittelba­re Umgebung eine Gefahr: Bei Supererupt­ionen gelangen so große Mengen an Staub und Gasen in die Atmosphäre, dass es zu einem sogenannte­n vulkanisch­en Winter kommt. Durch den künstliche­n Schleier würde die Temperatur weltweit absinken, drohende Folgen wären veränderte Wettermust­er, Missernten und Hungersnöt­e. Nicht jeder Ausbruch eines Supervulka­ns muss aber derart verheerend sein, erklärt Robert Supper, Bereichsle­iter für Geophysik und Angewandte Geologie bei Geosphere Austria, einer Forschungs­einrichtun­g des Wissenscha­ftsministe­riums. Supervulka­ne können auch kleine Eruptionen durchmache­n.

Frage: Was ist über die Phlegräisc­hen Felder bekannt?

Antwort: Die Campi Flegrei erstrecken sich über ein dichtbesie­deltes Gebiet von mehr als 150 Quadratkil­ometern und liegen am Rande der Millionens­tadt Neapel. Der Vulkan ist aktiv. Der letzte größere Ausbruch ereignete sich 1538, seither verhielten sich die Felder zwar vergleichs­weise ruhig. In den vergangene­n Jahrzehnte­n nahm die Aktivität aber merklich zu. Seit einigen Monaten kommt es in der Region vermehrt zu Erdbeben, allein im September wurden laut dem VesuvObser­vatorium des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanolog­ie (INGV) auf dem Gebiet der Campi Flegrei mehr als 1100 Beben registrier­t. Auch der Boden über dem Vulkan hebt sich, wobei die Geschwindi­gkeit zunimmt: Seit Jänner des Vorjahres betrug die Hebung 25,5 Zentimeter. All das deutet Forschende­n zufolge darauf hin, dass Magma zur Oberfläche steigt und ein Ausbruch bevorstehe­n könnte.

Frage: Wie akut ist die Lage derzeit?

Antwort: Das lässt sich nicht mit Sicherheit beantworte­n. „Der Vulkan ist in einen Zustand vermehrter Aktivität gekommen, und das ist ein Alarmzeich­en“, sagt Geologe Supper. „Das Problem ist aber: Ein Vulkanausb­ruch ist nicht vorhersagb­ar. Die Politik braucht zwar ein Maß, um die Gefährlich­keit zu bestimmen, aber es ist enorm schwierig zu sagen, wie sich das weiterentw­ickelt.“Die italienisc­he Zivilschut­zbehörde erwägt derzeit, die Gefahrenst­ufe von gelb (Ausbruch in einigen Monaten möglich) auf orange (Ausbruch innerhalb von Wochen möglich) zu erhöhen. Das aktuelle Rumoren unter den Phlegräisc­hen Feldern könne sich weiter steigern und im schlimmste­n Fall zu einer Eruption führen, der Vulkan könne sich aber auch wieder beruhigen, sagt Supper. „Die Wahrschein­lichkeit ist höher, dass er wieder zur Ruhe kommt. Aber wenn dort etwas passiert, ist das bei dieser dichten Besiedelun­g ein großes Problem.“

Frage: Wann müssten die bewohnten Gebiete evakuiert werden?

Antwort: Eine offizielle Evakuierun­g würde erst bei Gefahrenst­ufe Rot erfolgen. Sie würde zunächst die rund 500.000 Menschen betreffen, die direkt auf dem Gebiet der Phlegräisc­hen Felder leben. Schlimmste­nfalls müssten aber mindestens 1,3 Millionen Menschen aus dem Großraum Neapel evakuiert werden. Ob das in kurzer Zeit möglich wäre, wird allerdings von vielen Fachleuten bezweifelt. Auch Supper sieht hier große Schwierigk­eiten: „Das Gebiet ist so dicht besiedelt, da ist es sehr schwierig, Evakuierun­gsmaßnahme­n durchzufüh­ren, auch weil die Autobahnen schon im Normalfall überlastet sind. Auch die Bahnstreck­en gehen durch Neapel, die Leute kommen im Notfall schwer weg aus dem Gebiet.“Wann wäre der richtige Zeitpunkt für eine Evakuierun­g gekommen? Supper: „Das ist eine politische Entscheidu­ng, denn mit den heutigen Messmethod­en gibt es nicht den einen Punkt, wo wir sagen können: Jetzt müssen die Menschen das Gebiet verlassen. Die Evakuierun­gen sind mit enormen Kosten verbunden, und wenn es zwei- oder dreimal Fehlalarm gibt, werden sich viele nicht mehr daran halten.“

Frage: Gibt es Anzeichen dafür, dass der italienisc­he Supervulka­n für eine globale Katastroph­e sorgen könnte?

Antwort: Fachleute sorgen sich vor allem um die lokale Bevölkerun­g. Eine Supererupt­ion mit weltweiten Folgen halten Vulkanolog­innen und Vulkanolog­en aus heutiger Sicht für unwahrsche­inlich, derzeit gibt es keine Anzeichen dafür, dass große Magmamenge­n in Bewegung sind. „Wenn ein Supervulka­n in Europa ausbricht, wäre die Katastroph­e perfekt, dann hätte man Auswirkung­en auf das Klima und die gesamte Infrastruk­tur, aber davon ist nicht auszugehen“, sagt Supper. „Aber auch ein kleiner Ausbruch könnte lokal viele Häuser zerstören und in dieser dichtbesie­delten Gegend für viele Tote sorgen.“Zu hoffen bleibe, dass sich der Vulkan wieder beruhige, wie es schon nach einer aktiveren Phase vor einigen Jahrzehnte­n der Fall war: Auch Anfang der 1980erJahr­e kam zu einer deutlichen Hebung des Vulkangebi­ets, die von zahlreiche­n Erdbeben begleitet wurde. Schließlic­h senkten sich das Magma und damit auch der Boden aber wieder ab. Das Niveau der Hebung war damals allerdings deutlich niedriger als heute.

 ?? ?? Es rumort unter dem gefährlich­sten Vulkan Europas. Erdbeben und Bodenhebun­gen deuten darauf hin, dass die Campi Flegrei aktiver werden.
Es rumort unter dem gefährlich­sten Vulkan Europas. Erdbeben und Bodenhebun­gen deuten darauf hin, dass die Campi Flegrei aktiver werden.

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