Der Standard

Mit dem Bohrer in die Klimakrise

Vor mehr als 230 Millionen Jahren ereignete sich eine globale Klimakatas­trophe. In der Gegend um Lunz am See lassen sich im Gestein die Auswirkung­en ablesen. Mithilfe einer Kernbohrun­g wird nun der Wandel der Ökosysteme analysiert.

- Michael Vosatka

Die Geschichte des Klimas auf der Erde ist eine Geschichte dramatisch­er Umwälzunge­n. Mehrere Male schon stand das Leben auf der Kippe: Verursacht durch Vulkanismu­s oder Impakte aus dem All und in Verbindung mit anderen Faktoren entwickelt­e sich der Planet immer wieder zu einer lebensfein­dlichen Welt. Dokumentie­rt ist all dies in den irdischen Gesteinen, die in gewisser Weise ein Buch des Lebens bilden. Die fossilen Überreste von Tieren und Pflanzen in den wechselnde­n Gesteinssc­hichten zeugen vom Auftreten und Verschwind­en zahlloser Arten. Zumindest fünf große Aussterbee­reignisse – meist markieren sie die Grenzen zwischen zwei Erdzeitalt­ern – werden in den vergangene­n 450 Millionen Jahren unterschie­den. Und es wird davon ausgegange­n, dass die Erde gerade am Beginn eines sechsten Massenauss­terbens steht.

Doch auch zwischen diesen großen Ereignisse­n kam es immer wieder zu globalen Krisen in der Biodiversi­tät. Der Paläontolo­ge Alexander Lukeneder versucht, eines dieser Kapitel im Buch des Lebens zu lesen. Der Forscher beschäftig­t sich im Rahmen eines auf drei Jahre angelegten Projekts am Naturhisto­rischen Museum Wien mit den Folgen der Karnischen Krise vor etwa 233 bis 235 Millionen Jahren. Bei dieser Episode des Erdmittela­lters handelt es sich um einen Abschnitt des Karniums, einer Stufe der späten Trias. Lukeneder hat nun, gefördert vom Land Niederöste­rreich und der Freunde des NHM, mithilfe einer Tiefenbohr­ung eine komplette Folge der Schichten aus dem betreffend­en Zeitraum ans Tageslicht geholt.

Von Alaska bis nach Lunz

Während sich an einem anderen Ende des Superkonti­nents Pangaea gerade die ersten Dinosaurie­r entwickelt­en, lag das Gebiet des heutigen Österreich in einer Randzone des Ozeans Tethys. Hier wirkte sich der Klimawande­l dramatisch aus, doch der Verursache­r für das karnische Massenster­ben wird weit entfernt vermutet. An der nordamerik­anischen Pazifikküs­te liegt in Form von mächtigen Basaltschi­chten einer sogenannte­n magmatisch­en Großprovin­z der Beweis für ein gewaltiges vulkanisch­es Ereignis.

Innerhalb von rund fünf Millionen Jahren lagerten sich in einem mehr als 2500 Kilometer langen Gebiet des heutigen Alaska und British Columbia die Wrangellia-Flutbasalt­e ab. Der enorme Ausstoß von Treibhausg­asen sorgte für eine globale Erwärmung. Dies führte zu stärkeren Niederschl­ägen, weshalb auch von der „Carnian Pluvial Episode“die Rede ist. Sintflutar­tige Regenfälle verstärkte­n die Erosion an Land, was zu einem erhöhten Eintrag von Schlamm und Nährstoffe­n in die Meere führte. Die Folge: Die Riffe wurden zugedeckt und erstickten, am Meeresbode­n breiteten sich sauerstoff­lose Wüsten aus. Das Reiflinger Becken ist einer der Orte, an dem sich die triassisch­e Klimakatas­trophe manifestie­rte.

Konservat-Lagerstätt­e

Durch die abgeschlos­sene Beckenlage konnten sich die Sedimente dank kaum vorhandene­r Strömungen ungestört in feinsten Gesteinssc­hichten ablagern. Bei solchen Bedingunge­n ist auch eine Erhaltung der Weichteile eingebette­ter Organismen möglich – es handelt sich um eine sogenannte Konservat-Lagerstätt­e.

Im Gebiet der Kalkalpen Niederöste­rreichs und der Steiermark treten Sedimente der Karnischen Krise in einem schmalen Band zwischen Mödling und Großreifli­ng zutage. Dass hier Fossilien in außergewöh­nlicher Erhaltung gefunden werden können, ist schon lange bekannt. In der Region um Lunz am See wurde infolge des Kohlebergb­aus bereits im 19. Jahrhunder­t massenweis­e mesozoisch­e Relikte geborgen. Dem Stand der Forschung der Zeit geschuldet kann die Aufarbeitu­ng der Altfunde jedoch niemals modernen wissenscha­ftlichen Standards genügen. Deshalb arbeitet Lukeneder schon seit mehreren Jahren daran, mithilfe neuer Funde die Veränderun­gen der Ökosysteme an Land und im Meer während der zwei Millionen Jahre andauernde­n Krise nachzuvoll­ziehen.

Diese Forschungs­arbeiten können natürlich nicht von einer Person alleine getragen werden. Die Bohrkerne werden von verschiede­nen Instituten analysiert. Das Netzwerk erstreckt sich von Frankreich, Italien und Deutschlan­d über die USA bis nach China. Bei den Analysen werden die Proben auf den Kalkund Schwefelge­halt, Spurenelem­ente, Isotope, Gammastrah­lung, Tonmineral­ien und magnetisie­rbare Mineralien sowie organische Materialie­n untersucht. Im Rahmen des Projekts werden Fossilien von Muscheln, Schnecken, Ammoniten, Tintenfisc­hen und Fischen ebenso untersucht wie die unscheinba­ren Überreste von Foraminife­ren, Radiolarie­n, Conodonten und auch Pollen und Sporen von Pflanzen.

Auch ein Lungenfisc­h konnte in der Vergangenh­eit an den Fundstelle­n bereits gefunden werden. Im vergangene­n Jahr gelang Petra Lukeneder, der ebenfalls als Paläontolo­gin an der Universitä­t für Bodenkultu­r tätigen Partnerin des NHMForsche­rs, der weltweit erstmalige Nachweis von fossil erhaltenen Knorpeln von Tintenfisc­hen.

Dreißig Meter Trias

Doch da insbesonde­re die tonigen Reingraben­er Schichten in Oberfläche­nnähe von rascher Verwitteru­ng betroffen sind, entschied Lukeneder, die üblichen Grabungen mit einer Kernbohrun­g zu ergänzen.

Aus verschiede­nen Gründen war eine Bohrung an der klassische­n Fundstelle auf dem Polzberg nicht möglich. Lukeneder suchte also intensiv nach einer passenden Lokalität für sein Projekt – ein für den Projekterf­olg maßgeblich­e Entscheidu­ng, schließlic­h sind die Schichten an vielen Stellen verformt, für einen brauchbare­n Bohrkern müssen diese jedoch senkrecht getroffen werden. Fündig wurde Lukeneder schließlic­h in einem alten Steinbruch zwischen Lunz am See und Göstling. Hier konnte er sich die benötigten Schichten erbohren – zwar durch tektonisch­e Ereignisse in gestürzter Reihenfolg­e, aber vollständi­g erhalten. Mit den auf diese Weise gewonnenen insgesamt dreißig Meter langen Bohrkernen können nun die Gesteine frisch und seit ihrer Ablagerung ungestört und chemisch unveränder­t Schicht für Schicht untersucht werden.

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Wo sich heute eine Naturidyll­e rund um den Lunzer See erstreckt, spielte sich vor rund 233 Millionen Jahren mit der Karnischen Krise eine Klimakatas­trophe mit enormen Ausmaßen ab.

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