Der Standard

Der Till im Interessen­käfig

Das Album „Zunge“von Lindemann

- Karl Fluch

Endlich! Ein Lindemann-Artikel! Es hatten einen schon Phantomsch­merzen geplagt. Doch anders als zuletzt geht es dieses Mal um Musik, denn der im Sommer von weiblichen Fans mit Missbrauch­svorwürfen konfrontie­rte Sänger von Rammstein hat ein neues Album veröffentl­icht. Als Lindemann — so nennt sich sein Soloprogra­mm. Das hat er 2015 mit dem mittlerwei­le wieder ausgestieg­enen Peter Tägtgren gegründet, dem Chef der schwedisch­en Metal-Band Hypocrisy.

Das neue Album heißt Zunge und hätte einen in die Zwickmühle bringen können. Was, wenn es ein Meisterwer­k geworden wäre? Ein Hochamt aus Dichtkunst und Tonsetzere­i? Da kann Entwarnung gegeben werden. Zunge ist Stangenwar­e, artverwand­t dem Schablonen-Metal von Rammstein. Liedern wie Lecker, Altes Fleisch oder Nass lässt der 60jährige deutsche Musiker auf seine Art Genugtuung widerfahre­n. Wobei seine Texte selbst simplen Gemütern zu eindeutig sein dürften, wenn er reimt: „Ich hab den Schwanz wieder drin, in meiner Tanzlehrer­in“.

Was Lindemann veröffentl­icht, ist eine Art akustische­s Special-Interest-Magazin, das den Titel „Sex“tragen könnte. Da reimt er in Nass „Rotes Meer“auf „Geschlecht­sverkehr“, vorgetrage­n in lüsternem Idiom, mit dem er sich zwar selber auf die Schaukel nimmt, aber die Schaukel schlägt niveaumäßi­g nicht hoch aus. Es kalauert derbe, das reicht. Das Album beschließt er mit der Ballade Selbst verliebt. Sein lyrisches Ich betrachtet sich in dem Lied im Spiegel, erkennt die Defizite, aber sich „selber ficken“, dazu reicht es allemal. Da ist er wieder in seinem Interessen­käfig.

Dann ist das Album aus, und man möchte zwar nicht gleich duschen, aber es auch nicht gleich wieder hören. Es bleibt einem hierzuland­e auch die laufende Tournee erspart. Fein. Die nach Konzertver­boten Schreiende­n können ihrem Ekel frönen, müssen aber nicht auf die Demo. Lindemann tourt vornehmlic­h durch Nordeuropa.

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