Der Till im Interessenkäfig
Das Album „Zunge“von Lindemann
Endlich! Ein Lindemann-Artikel! Es hatten einen schon Phantomschmerzen geplagt. Doch anders als zuletzt geht es dieses Mal um Musik, denn der im Sommer von weiblichen Fans mit Missbrauchsvorwürfen konfrontierte Sänger von Rammstein hat ein neues Album veröffentlicht. Als Lindemann — so nennt sich sein Soloprogramm. Das hat er 2015 mit dem mittlerweile wieder ausgestiegenen Peter Tägtgren gegründet, dem Chef der schwedischen Metal-Band Hypocrisy.
Das neue Album heißt Zunge und hätte einen in die Zwickmühle bringen können. Was, wenn es ein Meisterwerk geworden wäre? Ein Hochamt aus Dichtkunst und Tonsetzerei? Da kann Entwarnung gegeben werden. Zunge ist Stangenware, artverwandt dem Schablonen-Metal von Rammstein. Liedern wie Lecker, Altes Fleisch oder Nass lässt der 60jährige deutsche Musiker auf seine Art Genugtuung widerfahren. Wobei seine Texte selbst simplen Gemütern zu eindeutig sein dürften, wenn er reimt: „Ich hab den Schwanz wieder drin, in meiner Tanzlehrerin“.
Was Lindemann veröffentlicht, ist eine Art akustisches Special-Interest-Magazin, das den Titel „Sex“tragen könnte. Da reimt er in Nass „Rotes Meer“auf „Geschlechtsverkehr“, vorgetragen in lüsternem Idiom, mit dem er sich zwar selber auf die Schaukel nimmt, aber die Schaukel schlägt niveaumäßig nicht hoch aus. Es kalauert derbe, das reicht. Das Album beschließt er mit der Ballade Selbst verliebt. Sein lyrisches Ich betrachtet sich in dem Lied im Spiegel, erkennt die Defizite, aber sich „selber ficken“, dazu reicht es allemal. Da ist er wieder in seinem Interessenkäfig.
Dann ist das Album aus, und man möchte zwar nicht gleich duschen, aber es auch nicht gleich wieder hören. Es bleibt einem hierzulande auch die laufende Tournee erspart. Fein. Die nach Konzertverboten Schreienden können ihrem Ekel frönen, müssen aber nicht auf die Demo. Lindemann tourt vornehmlich durch Nordeuropa.