Auf Biegen und Brechen
Für fünfmal fünf Minuten wird Narges Mohseni zu einem geschlechtslosen Etwas. Sie richtet noch einmal das Haargummi, zieht es fester um die langen, schwarzen Haare. Sitzt. „Üsh“, ruft sie. Ihr gegenüber steht ein Bär von einem Mann. Das Shirt hauteng, bei jeder Handbewegung spannt der Bizeps, bildet einen kleinen Berg aus Haut und Muskeln. Auch er wird für Mohseni zu einem geschlechtslosen Etwas – für fünfmal fünf Minuten.
Trainer Jamal Ouzarida schlendert noch einmal zu seinem Handy, gibt letzte Anweisungen: „Kein Wasser in der Pause.“Fünfmal fünf Minuten. Die Musik legt los, die ersten Takte von Tá OK wummern durch das Souterrain-Studio im zweiten Bezirk. Eine typische Baile-Funk-Nummer. Brasilianisch. Das passt zu Brazilian Jiu-Jitsu. Die fünf Männer und Mohseni legen los, auf drei Paare verteilt verkeilen sie ihre Körper ineinander, werfen sich, hebeln, drücken, kontern. Sparring.
Auf den ersten Laienblick wirkt es wie eine fast liebevolle Schulhofrauferei, was sich da auf den grauen Matten in der Alpha-Academy abspielt. Der Eindruck täuscht natürlich. In der Competition-Group trainieren die Besten der Besten. Man kennt einander in der Wettkampfgruppe. Man vertraut einander. Keine Verletzungen, jede Handbewegung, jeder Fußhebel sitzt. Wenn man sich in einer ausweglosen Situation wiederfindet, reicht ein kurzer Klopfer, und der Hebel wird gelöst. Und dennoch: Die Anstrengung ist schon nach wenigen Momenten offensichtlich. Für die Kämpfer und die Kämpferin werden schon die ersten Momente zur Ewigkeit.
Das Jiu-Jitsu-Training am Donnerstagabend ist für Mohseni nur ein Teil des großen Ganzen. In knapp zwei Wochen wird die 32Jährige ihren zweiten MMA-Kampf bestreiten. MMA steht für Mixed Martial Arts und kombiniert mehrere klassische Kampfstile, etwa Boxen, Thaiboxen, Ringen, Judo und eben Jiu-Jitsu.
In den vergangenen Jahren wurde MMA zum weltweiten Phänomen, der Kampfsport erobert die Massen und bringt Millionen, vor allem Ultimate Fighting Championship (UFC) aus den USA. Der Ex-Fighter Conor McGregor aus Irland zählte zu den bestverdienenden Athleten weltweit, in Österreich gilt der Wiener Aleksandar Rakić als Aushängeschild. Die Stars sind Popstars – vor allem unter jungen Männern. Und doch finden auch immer mehr Frauen in den Sport, der auf den ersten Blick so wild, so konfus und für das ungeübte Auge brutal wirkt. Ihren ersten Kampf, vergangenes Jahr, hat Mohseni verloren. Durch Pech, wie sie im Nachhinein sagt: „Eigentlich hatte ich sie schon und dachte dann, dass sie aufgibt. Ich habe mich getäuscht.“Am 10. Februar soll es bei der Veranstaltung „Savage 2“in Schwechat anders, also siegreich laufen.
Zulauf
Die ersten fünf Minuten sind vorbei. Die Partner werden durchrotiert, der Bär von einem Mann zieht weiter, weiter zurück in den länglichen Raum, zu einem neuen Sparringspartner. Mohseni kniet auf der grauen Matte, ihr Gesicht ist leicht gerötet. Sie atmet schwer, auch die anderen Kämpfer sind erschöpft. Fünfmal fünf Minuten. Langsam, aber stetig füllt sich die Academy. Immer mehr Teenager und junge Männer strömen von der Straße in den Raum, viele Hauben und Kapuzen sitzen tief im Gesicht. Alle ziehen sich die Sneaker aus, quasi alle strecken die Hand zur Begrüßung aus. Im Anschluss an die Competition-Group findet ein normales Training statt, für einigen ist es das erste überhaupt: „Wir haben einen enormen Zulauf“, sagt Trainer Jamal.
Als Frau im Kampfsport ist Narges Mohseni immer wieder mit Vorurteilen konfrontiert. Aber auch Mixed Martial Arts ist mit einer ordentlichen Portion an Klischees behaftet. Im zweiten Wiener Gemeindebezirk trainiert die 32-Jährige und klärt bei einem Besuch über ihren Sport auf.
Wie viele andere Kämpfer stieg Mohseni nicht direkt in die MMA-Welt ein. Alles begann mit Judo: „Mein Vater war früher im Iran Judo- und Ringtrainer. Als ich sechs oder sieben war, wollte er wieder einsteigen.“Zunächst begann er mit Kindertraining. „Wie das bei vielen Migrantenfamilien so ist, hat man keine Hobbys, außer es ist gratis. Judo war für mich gratis“, sagt sie.
Mohsenis Eltern kamen ein Jahr vor ihrer Geburt nach Österreich. Das Feuer für Kampfsport war in Mohseni schnell entfacht: „Es waren immer nur sehr wenige Mädchen im Kurs“, erinnert sie sich. „Und als ich den stärksten Jungen, den besten des Kurses besiegt hatte, dachte ich mir: O Gott, das ist genau meins.“Später wurde sie Staatsmeisterin, nahm an internationalen Wettkämpfen teil.
Ein Mann kauert an der Wand, kräftig, aber nicht ganz so imposant wie der erste. Er ist Mohsenis nächster Sparringspartner. Kurz blickt er zur Frau im schwarzen Shirt und der schwarzen Hose. Er lächelt: „Fetz ma?“Die nächsten fünf Minuten stehen an. Fetz ma. Mohseni ist die einzige Frau im Raum, sonst gibt es eine eigene Frauengruppe. Für manche Sportlerinnen ist das Sparring mit den Männern nichts. Ob manche Partner die Körperlichkeiten, die Nähe ausnützen? „Ja, das ist schon vorgekommen, aber selten. Generell vertraue ich hier jedem“, sagt Mohseni: „Man wird geschlechtslos.“
Respekt wird wie in so vielen Kampfsportarten groß und mit Rufzeichen geschrieben. Es ist die Regel, die über allen anderen Regeln steht. „Es gibt auch Teenager, die mir nicht die Hand geben wollen, weil ich eine Frau bin. Das akzeptiere ich, solange ich mit Respekt behandelt werde.“Manchen steht das Ego sogar über der Gesundheit. Einmal, so erzählt Mohseni, wollte ein Teenager partout nicht austappen – also ihr mittels eines Klopfens anzeigen, dass es genug ist: „Dann hat plötzlich die Schulter gekracht.“
MMAma
Von ihrem Sport, ihrer Leidenschaft kann Mohseni nicht leben. Im Brotberuf ist die junge Frau bei der Polizei. Mit Vorurteilen wurde Mohseni immer wieder konfrontiert. Sei es im Sport, im Beruf, im Alltag – oder als Mutter: „Ich wurde schon Rabenmutter genannt, weil ich meine Tochter in so ein Umfeld mitnehme. Sie ist oft beim Training dabei und hier eine richtige Königin“, sagt sie. Wenn Mohseni davon erzählt oder davon, wie sie von Buben im Judokurs rassistisch beleidigt wurde, wirkt sie nicht verbittert, nicht enttäuscht oder wütend. Immer wieder lächelt sie, holt aus, ohne sich in Belanglosem zu verlieren.
„Küss mich“ist das Letzte, das manche Sparringspartner sehen. Oder immer wieder sehen: Mara Beboos. Der Songtitel einer alten iranischen Schnulze: „Mein Vater hat es mir immer vorgesungen, also ließ ich es mir auf den Fuß tätowieren“, erklärt Mohseni. Ihren Alltag teilt sie auch mit ihren rund 50.000 Fans auf Instagram: „Ich weiß selbst nicht genau, wie das so gewachsen ist. Und wen das überhaupt interessiert.“
Dass MMA mitunter einen zweifelhaften Ruf genießt, ist Mohseni bewusst. Die Welt der Mixed Martial Arts ist eine große – und manchmal dubiose. „Mir ist wichtig, dass das Umfeld passt und nicht unseriös ist. Wenn es nach Wirtshausschlägerei riecht, bin ich raus.“
In der Alpha Academy wird es enger. Immer mehr junge Männer lehnen an den Wänden, warten auf ihr Training und sind teils beeindruckt vom Geschehen auf der Matte.
Währenddessen starten Mohseni und die Competition-Group noch einmal in die letzten fünf Minuten. Oder für sie in eine Ewigkeit.