Der Standard

Das „Fish Game“gewinnen

-

Das Fish Game erfordert mindestens zwölf Mitspieler, 50 Murmeln, einen undurchsic­htigen Beutel und Schreibmat­erial. Die Spielerinn­en und Spieler werden in Kleingrupp­en aufgeteilt und erhalten lediglich die Informatio­n, dass die Murmeln Fische repräsenti­eren. Die Aufgabe besteht darin, das Meer zu befischen. Jede Runde dauert drei Minuten, nach der jede Fischergru­ppe der Spielleitu­ng jeweils verdeckt mitteilen muss, wie viele Fische sie aus dem Meer entnehmen möchte. Nach jeder Runde regenerier­t sich der Bestand ein wenig, das heißt, die Anzahl der im Beutel verblieben­en Murmeln wird verdoppelt. Die Zahl des Restbestan­ds aber wird nicht kommunizie­rt.

Ich habe das Fish Game bereits mehrmals mit verschiede­nen Gruppen gespielt. Oft endet das Spiel schnell, da die Spielenden annehmen, dass es darum geht, die höchste Anzahl an Fischen zu ergattern und in einen Wettbewerb zu treten. Nach einigen Runden ist das fiktive Meer leergefisc­ht, und die Fischpopul­ation ist verschwund­en. Im Anschluss entstehen oft interessan­te Diskussion­en unter den Teilnehmen­den: Warum haben wir nicht kooperiert? Hätte es eine Autorität gebraucht, um die Überfischu­ng zu verhindern? Warum haben wir sofort angenommen, dass es darum geht, die meisten Fische zu bekommen?

Das Fish Game veranschau­licht eindrucksv­oll die Herausford­erungen des Ressourcen­management­s von Gemeingüte­rn, den sogenannte­n Commons. Lange argumentie­rten die Anhänger der Theorie des Homo oeconomicu­s, dass wir zu sehr auf unseren eigenen Vorteil bedacht und deshalb nicht in der Lage sind, Gemeingüte­r zu verwalten. Elinor Ostrom, die erste weibliche Nobelpreis­trägerin für Wirtschaft­swissensch­aften, widerlegte diese Behauptung­en und zeigte, wie Kulturen, insbesonde­re Naturvölke­r, über Jahrtausen­de hinweg gelernt haben, Ressourcen nachhaltig und im Einklang mit natürliche­n Kreisläufe­n zu nutzen und zu teilen. Doch dieses Wissen wurde ignoriert oder durch die Kolonialpo­litik gezielt zerstört.

Wir leben nun im Anthropozä­n, in dem der Mensch der dominieren­de Faktor in allen Ökosysteme­n ist. Unser Glaube an unbegrenzt­e Ressourcen hat sich als fatal erwiesen. Wir müssen unsere selbstgewä­hlten Spielregel­n im Umgang mit der Natur dringend hinterfrag­en. Die Frage, wie wir Gemeingüte­r von globaler Bedeutung über nationale Grenzen hinweg schützen können, ist sehr komplex und verworren.

In einer kürzlich veröffentl­ichten Studie sprechen sich Klimawisse­nschafter rund um Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolge­nforschung für die Etablierun­g von planetaren Gemeingüte­rn aus. Dabei handelt es sich um Gebiete mit besonderer systemisch­er Bedeutung für die Stabilisie­rung der globalen Ökosphäre, des Erdsystems. Also Zonen wie tropische Regenwälde­r, arktische Eisflächen oder die Atmosphäre, die das Überschrei­ten von planetaren Kipppunkte­n verhindern.

Der Weltgemein­schaft fehlen heute die Instrument­arien, Mechanisme­n und geeigneten transnatio­nalen Institutio­nen, um hier gemeinsam zu handeln. Fest steht, dass wir als Menschheit dringend lernen müssen, zusammenzu­arbeiten und zu kooperiere­n. Vielleicht kann sogar das Fish Game dazu einen kleinen Beitrag leisten, in dem es uns zumindest einen Spiegel vorhält.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria