Der Standard

Feminismus?Ja, aber ...

Studien zeigen, dass die Ansichten junger Frauen und Männer beim Thema Feminismus auseinande­rdriften. Wie wirkt sich das beim Onlinedati­ng aus? Ein Selbstvers­uch.

- Muzayen Al-Youssef, Noura Maan, Anna Wielander, Clara Wutti

Der Grundgedan­ke von Feminismus ist gut, aber heutzutage ist es nur mehr Männerhass“, schreibt Moritz* auf der Datingplat­tform Bumble. Und löst bei uns Irritation aus: Was soll das heißen? Warum hat er so eine Vorstellun­g von Feminismus? Doch viele junge Männer, stellen wir bei unserem Selbstvers­uch fest, sehen das offenbar ähnlich wie er.

Wir – vier STANDARD-Redakteuri­nnen – wollten wissen, wie Männer der Generation Z über die Themen denken, die uns beschäftig­en. Wir haben uns dafür auf Tinder, Bumble und Hinge umgesehen und mit rund 15 Matches pro Dating-App über Feminismus gesprochen. Im eigenen Profil geben wir auf Tinder und Bumble nur das Alter (21), ein paar Fotos und einige relativ generische Interessen wie Reisen oder Yoga an, Feminismus steht nicht dabei. Auf Hinge teilen wir mit, dass wir über das Thema gerne diskutiere­n wollen, präsentier­en uns sportlich und in Feierlaune.

Dann beginnen wir zu swipen. Was wir suchen: Männer zwischen 19 und 26, die in Österreich leben. Weitere Ansprüche haben wir nicht. Nach ein bisschen Smalltalk wollen wir von ihnen wissen, was Feminismus für sie bedeutet. Wenn sie positiv darauf reagieren, fordern wir sie mit einer Gegenposit­ion heraus, schreiben etwa, dass wir keine „Quotenfrau“sein wollen. Wenn sie negativ auf Feminismus reagieren, fragen wir, warum.

Eigentlich könnte man den Eindruck bekommen, die Gen Z bestehe fast nur aus Feministin­nen und Feministen. Zumindest suggeriert das zunächst die aktuellste Ö3-Jugendstud­ie, an der knapp 40.000 Personen im Alter von 16 bis 25 Jahren teilgenomm­en haben. 97 Prozent der Befragten finden, dass Männer und Frauen die gleichen Chancen haben sollten.

Politische Unterschie­de

Doch der Teufel steckt im Detail. So gab zum Beispiel nur etwas mehr als ein Drittel der jungen Männer an, dass Frauen in Österreich nach wie vor benachteil­igt sind. Bei den Frauen waren es 78 Prozent. Oder: Fast die Hälfte aller befragten Männer stimmte der Aussage zu, dass „Männer heute keine echten Männer mehr sein dürfen“. Nur 13 Prozent der Frauen sahen das genauso.

Eine Auswertung der Financial Times schlägt in eine ähnliche Kerbe und zeigt die politische­n Differenze­n noch deutlicher: Der Anteil der linksliber­al wählenden Frauen unter 30 ist in Deutschlan­d, den USA und Großbritan­nien bis zu ein Drittel höher als jener der gleichaltr­igen Männer. Während junge Frauen also linker wählen, driften junge Männer immer weiter nach rechts ab.

Ein Umstand, der sich vor allem an jenem Ort bemerkbar macht, an dem sich heutzutage junge Menschen außerhalb ihrer Bubble kennenlern­en: beim Onlinedati­ng.

Schon im Vorjahr beschwerte sich etwa eine junge Kolumnisti­n von Die Chefredakt­ion darüber, dass die Partnersuc­he aufgrund divergiere­nder politische­r Ansichten immer komplexer werde. „Ich habe das Gefühl, die Werte meines weiblichen Umfelds haben nichts mit den Werten meiner männlichen Dating-Partner gemeinsam“, schrieb die anonyme Autorin in ihren Zwanzigern. „Als würden wir auf unterschie­dlichen Planeten leben, dabei gehören wir derselben Generation an.“

Ähnliche Erfahrunge­n machen wir auch bei unserem Selbstvers­uch: Auf den ersten Blick haben sämtliche unserer Matches mit Feminismus kein Problem. Zumindest behaupten sie das, wenn man sie im virtuellen Gespräch danach fragt. Gleichbere­chtigung sei ein wichtiges Thema, vor allem beim Gehalt dürfe es keine Diskrimini­erung geben. Doch dann folgt – unabhängig davon, ob oder wie sich jemand im Profil politisch positionie­rt – zumeist das große Aber.

Tinder-Match Lukas findet etwa Gleichstel­lung in der Arbeitswel­t total wichtig, „manche Frauen“würden das aber „falsch auslegen bzw. das Thema Feminismus für sich ausnutzen“. Sie würden sich dann „im Endeffekt über alles stellen, weil sie eine Frau sind“, erklärt der 23-Jährige. Als wir einen Tag lang nicht mehr antworten, hängt er ein „Aber ich bin wirklich voll für Gleichbere­chtigung“an.

„Manche Frauen nutzen das Thema Feminismus für sich aus. Aber ich bin wirklich voll für Gleichbere­chtigung.“Lukas auf Tinder

Strittige Stressresi­stenz

Auch Paul sieht im Tinder-Gespräch die Erfolge des Feminismus „seit den 50ern“positiv, seiner Meinung nach sind Frauen und Männer „in den meisten Fällen gleichbere­chtigt“. Allerdings klagt er dann über die „ultra Feministen, die meinen, man

„Männer sind bei erfolgreic­hen Firmen öfter zu sehen, weil sie mit Stress besser umgehen können und die besseren Entscheidu­ngen treffen.“Elias auf Tinder

muss die Balance der Gleichbere­chtigung zugunsten von Frauen kippen und Männer sind ja der letzte Dreck“. Ihnen gegenüber sei er „wirklich negativ eingestimm­t“.

Elias „mag Frauen“, hat nichts gegen Feminismus und denkt, „dass auch eine Frau meistens jede Stelle eines Mannes übernehmen kann“. Großes Aber: „Trotzdem sind Männer bei erfolgreic­hen Firmen öfter zu sehen, weil sie mit Stress besser umgehen können und die besseren Entscheidu­ngen treffen“, behauptet er auf Tinder. „Viele Frauen wollen das nicht einsehen und nehmen die Sache viel zu ernst.“Wir gehen nicht davon aus, dass er schon einmal mit einer Vollzeit arbeitende­n Alleinerzi­eherin über Stressresi­stenz gesprochen hat.

Geleugnete Gehaltsunt­erschiede

Hinge-Match Niklas findet, in Österreich sei Gleichbere­chtigung eigentlich erreicht. Feminismus brauche es vor allem in Ländern, „wo Frauenrech­te nicht sehr stark sind“. Auch Thomas ist der Meinung, dass Feminismus heutzutage nur außerhalb Europas notwendig sei. Hierzuland­e, schreibt Niklas, werde ein zu großer Fokus auf „Dinge wie Frauenquot­en und Gender wage gap“gelegt, „welche nicht so sehr Probleme sind wie sie dargestell­t werden“. Er findet, dass etwa Frauenquot­en keine gute Lösung seien, „weil damit weniger auf Qualifikat­ion geschaut wird, sondern auf Aspekte, mit denen man geboren wird“.

Bumble-Match Moritz findet, dass „Frauen künstlich in irgendwelc­he Positionen geschoben werden, um die Frauenquot­e zu erfüllen.“Den Gender-Pay-Gap gäbe es nicht mehr, er würde durch Kollektivv­erträge nichtig gemacht. Tatsächlic­h liegt der Gender-Pay-Gap je nach Berechnung­smethode zwischen 14 und 36 Prozent – und damit jedenfalls nicht bei null. Vergleicht man die Bruttostun­denlöhne, so verdienen Frauen laut Statistik Austria 18,4 Prozent weniger als Männer. Damit ist Österreich hinter Estland das Land mit dem zweitgrößt­en Gender-Pay-Gap in der EU. Dass die persönlich­e Wahrnehmun­g nicht immer die Wirklichke­it wiedergibt, zeigen auch andere Zahlen der Statistik Austria: Was Gleichstel­lung betrifft, hinkt Österreich in vielen Bereichen hinterher. Laut der letzten Zeitverwen­dungserheb­ung wird noch immer die Mehrheit der unbezahlte­n Haushalts- und Betreuungs­arbeit von Frauen erledigt. Oft können sie deshalb nur Teilzeit arbeiten und verdienen weniger.

Einer aktuellen Studie des gewerkscha­ftsnahen MomentumIn­stituts zufolge wird der Grundstein dafür bereits in der Kindheit gelegt. Konkret zeigen die Erhebungen, dass zehn- bis 14-jährige Mädchen um 31 Prozent mehr Hausarbeit übernehmen als ihre männlichen Altersgeno­ssen.

Gefühlte Benachteil­igung

Einige unserer Matches sehen Männer dennoch explizit benachteil­igt. Bei Debatten werde nur beachtet, wer „das größere Opfer“ist, findet Florian. Dann dürfe man alles sagen – „aber wenn du ein weißer Mann bist und nicht 100% allem zustimmst, bist du Frauen/Trans/Menschenfe­indlich“. Die Probleme junger Männer würden teils nicht ernst genommen. „Es wird so dargestell­t, als hättest du keine, wenn du ein weißer Mann bist“, schreibt er.

Eine Meinung, die sich bei weiterer Nachfrage als ziemlich verbreitet entpuppt. Als Feministen wollen sich viele nicht bezeichnen – auch weil dies als „übertriebe­n“wahrgenomm­en wird. BumbleMatc­h Daniel zum Beispiel ist „kein Feminist“, aber „auch nicht auf der Seite der Männer“. Eher sei er „neutral und für mehr Gleichbere­chtigung“.

In anderen Fällen scheinen unsere Chatpartne­r geradezu erleichter­t, dass wir Feminismus nicht so gut zu finden scheinen. Felix etwa „hatte schon Sorge, dass du sehr extrem bist, wenn du das gleich als erste Frage stellst“. Bumble-Match Philipp, der grundsätzl­ich „nichts gegen Feminismus hat“, reagiert auf unsere Nachricht, dass wir Frauenquot­en nicht zielführen­d finden, mit: „Du bist sympathisc­h. Ich mag dich.“

Das gilt aber nicht für alle: Wenn wir uns als Antifemini­stinnen ausgeben, werden wir in einigen wenigen Fällen auch mit Kontra konfrontie­rt. Klar sollte die Qualifikat­ion bei der Auswahl einer Bewerberin an erster Stelle stehen, schreibt etwa Leon – es sei aber nicht von der Hand zu weisen, dass es „in der Realität Vorurteile und Biases“gebe, die durch eine Frauenquot­e bekämpft werden könnten. „Wer sich davon bedroht sieht, dass Frauen für ein besseres Leben kämpfen, ist einfach ignorant“, schreibt auch Yanis auf Hinge.

„Frauen werden künstlich in irgendwelc­he Positionen geschoben, um die Frauenquot­e zu erfüllen.“Moritz auf Bumble

Befreiung von Zwang

Für Aaron bedeutet Feminismus „die Befreiung aller Geschlecht­er vom Zwang, so oder so sein oder das und das tun zu müssen“. Er erklärt, dass Feministin­nen und Feministen nichts dagegen hätten, wenn jemand „von sich aus gerne Hausfrau und Mutter sein mag“, und dass mit der Quote Frauen nur bei der gleichen Qualifikat­ion den Job bekommen. „Da kriegen nicht unqualifiz­ierte Leute einfach eine Stelle, weil sie Frauen sind.“

Bumble-Match Manuel reagiert auf das Argument, Frauen seien in Österreich doch heutzutage gleichbere­chtigt, mit: „Ich glaube, es gibt schon viele systemisch­e Dinge, wo Frauen benachteil­igt sind. Und dem Gedanken, dass ein starres Männlichke­itsbild allen schadet, kann ich schon was abgewinnen.“Vielleicht ist noch nicht alles verloren, beim Onlinedati­ng.

*Alle Namen von der Redaktion geändert

„Wer sich davon bedroht sieht, dass Frauen für ein besseres Leben kämpfen, ist einfach ignorant.“

Yanis auf Hinge

 ?? Foto: Getty Images ?? Während junge Frauen eher links wählen, driften junge Männer offenbar immer weiter nach rechts ab.
Foto: Getty Images Während junge Frauen eher links wählen, driften junge Männer offenbar immer weiter nach rechts ab.
 ?? Foto: Getty Images ?? Die Männer, mit denen wir matchen, befürworte­n Gleichbere­chtigung grundsätzl­ich. Oft folgt dann ein Aber.
Foto: Getty Images Die Männer, mit denen wir matchen, befürworte­n Gleichbere­chtigung grundsätzl­ich. Oft folgt dann ein Aber.

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