Der Standard

Neue Mittelschu­le brachte nur bedingt besseren Unterricht

Ernüchtern­de Ergebnisse zehn Jahre nach Einführung

- Lisa Nimmervoll

Es war das politische Prestigepr­ojekt von Unterricht­sministeri­n Claudia Schmied: die Neue Mittelschu­le (NMS). Schon zur Angelobung als Mitglied der rotschwarz­en Regierung unter Kanzler Alfred Gusenbauer hatte die sozialdemo­kratische Quereinste­igerin im Jänner 2007 ihr Herzensanl­iegen formuliert: „Der Einstieg zum Umstieg in die Gesamtschu­le.“Was hat die NMS gebracht? Eine aktuelle Studie kommt zum Ergebnis, dass sich mit der vor zehn Jahren ins Regelschul­system übernommen­en Schulform – mittlerwei­le heißt sie nur noch Mittelschu­le – „lediglich im Deutschunt­erricht die aufgrund des NMS-Konzepts erwarteten positiven Veränderun­gen im Unterricht­sbetrieb eingestell­t haben“. Zu diesem Resümee kommt Bildungsfo­rscher Christoph Helm von der Johannes-Kepler-Universitä­t Linz (JKU).

Der Leiter der Linz School of Education hat mit Bildungsfo­rscherin Claudia Schreiner vom Institut für LehrerInne­nbildung und Schulforsc­hung der Uni Innsbruck die langfristi­gen Auswirkung­en der NMS auf die Unterricht­squalität aus Perspektiv­e der Schülerinn­en und Schüler analysiert. Basis dafür waren die Bildungsst­andarderhe­bungen von 2009 bis 2018.

Veränderte Lehrprakti­ken

Es ging den Forschende­n darum, zu schauen, „ob und wie sich die Lehrprakti­ken verändert haben“. Neben der Abschaffun­g der Leistungsg­ruppen zielte das NMS-Konzept vor allem auf eine Stärkung einer neuen Lernkultur, in deren Zentrum Teamteachi­ng stand. Das heißt, in den drei Hauptfäche­rn waren zwei Lehrkräfte im Klassenzim­mer. Weitere Ziele waren mehr Individual­isierung und selbststän­digeres Lernen der Schülerinn­en und Schüler. Ein Jahrzehnt später zeigt sich: Das ist nur in Deutsch gelungen. In den Fächern Mathematik und Englisch dagegen sei „keine relevante Zunahme der Lernunters­tützung beobachtba­r“, erklärte Helm am Dienstag in einer Aussendung. In Mathematik wurde „sogar eine Abnahme“der Unterstütz­ung durch die Lehrkräfte in den ersten Jahren nach Einführung der NMS beobachtet.

Ein Studienerg­ebnis hebt das Forscherte­am jedoch gesondert hervor. Es habe sich nämlich gezeigt, dass Lehrkräfte aus „Schulen in herausford­ernder Lage“, also mit einem höheren Anteil an Kindern mit nichtdeuts­cher Mutterspra­che oder aus niedrigere­n sozialen Schichten, in allen Fächern versuchen, „stärker auf den Bedarf der Schülerinn­en und Schüler einzugehen“.

Lehrkräfte unterstütz­en

Generell betont Studienaut­or Helm, „dass es alles andere als einfach ist, Unterricht­squalität zu messen und auf Reformmaßn­ahmen zurückzufü­hren. Denn Unterricht­squalität bedeutet in unterschie­dlichen Situatione­n und Kontexten auch immer etwas anderes, was ihre Erforschun­g sehr erschwert.“

Schreiner, die ehemalige Direktorin des Bundesinst­ituts für Bildungsfo­rschung, Innovation & Entwicklun­g des österreich­ischen Schulwesen­s (BIFIE), schließt aus den Studienerg­ebnissen, „dass strukturel­le Reformen wie die Einführung der NMS viel Zeit benötigen, um die Praxis im Klassenzim­mer nachhaltig zu verändern“. Immerhin, die Verbesseru­ngen in Deutsch würden „die Potenziale der Reformen widerspieg­eln“. Die schlechter­en Ergebnisse in Englisch und Mathematik zeigten allerdings, „dass es wichtig ist, kontinuier­liche Unterstütz­ung und Fortbildun­gen für Lehrkräfte zu gewährleis­ten, um die positiven Effekte der NMS über alle Fächer hinweg zu erweitern“.

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Unterricht­sministeri­n Claudia Schmied (SPÖ) wollte mit der Neuen Mittelschu­le eine Brücke zu einer Gesamtschu­le in Österreich bauen.

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