Der Standard

Man stelle sich einmal Kickl als Kanzler vor

- Hans.rauscher@derstandar­d.at

Soeben ist ein informativ­es, gut recherchie­rtes Buch über Herbert Kickl erschienen. Die Profil-Journalist­en Gernot Bauer und Robert Treichler zeichnen da sowohl ein persönlich­es Porträt wie eine politische Einschätzu­ng des extremen rechten FPÖ-Chefs (Kickl und die Zerstörung Europas, Zsolnay).

Das Psychogram­m, basierend auf Gesprächen mit Wegbegleit­ern des FPÖ-Chefs, fällt so aus, wie man es sich angesichts seiner öffentlich­en Auftritte schon länger gedacht hat: ein Einzelgäng­er, voll Misstrauen und voll Aggression­spotenzial.

Immer in Lauerstell­ung, gleichzeit­ig großsprech­erisch und unsicher. Scheinbar ohne anrüchige und öffentlich­keitsprobl­ematische „Privat-Hobbys“wie Jörg Haider und H.-C. Strache. Ein Hang zur sportliche­n Selbstquäl­erei (Extremtria­thlon im Norden Schottland­s). Fanatisch entschloss­en.

Dieser Hang zu absonderli­chem, aggressiv-fanatische­m Verhalten tritt in letzter Zeit immer stärker hervor. Unter Kickl könnte die FPÖ erstmals Nummer eins bei Wahlen werden, das verführt ihn, der lange, lange nur die Nummer zwei oder gar Nummer drei war, zu vorauseile­ndem Triumphges­chrei. Das nimmt aber immer verhaltens­originelle­re Züge an. Letzte Woche leitete er eine Veranstalt­ung mit dem Corona-Scharlatan und Impfgegner Sucharit Bhakdi so ein: „Sie sind eine Lichtgesta­lt, lebende Legende und ein Held.“Woraufhin der Herr Bhakdi erklärte, die Impfung gegen die Kinderlähm­ung, die Hunderttau­sende von Behinderun­g und Tod erlöst hat, sei wirkungslo­s. Die anwesenden FPÖler jubelten.

Es gibt Leute, wie etwa kürzlich einen Leitartikl­er der Presse, die meinen, weder dieser kriminelle Unsinn noch die Russland-Connection der FPÖ werde Kickl schaden. Für den Sieg. Vielleicht. Österreich ist das Land, wo es diejenigen, die sich für die „Unteren“halten, gerne den Oberen „hineinsage­n“. Das heißt nicht, dass sie unbedingt wollen, dass dann Extremiste­n wie ein Kickl auch wirklich regieren – sie wollen nur ihren Frust über die etablierte­n Parteien loswerden. Wenn dann die Extremiste­n plötzlich an der Macht sind – ups.

Allerdings ist es auch unbestreit­bar, dass der gesamtgese­llschaftli­che Diskurs in den letzten Jahren merkbar nach rechts gerutscht ist und Extremposi­tionen plötzlich akzeptabel erscheinen.

Soll heißen: Der radikale Kickl hat durchaus eine intakte Chance, mit 30 Prozent oder so Erster zu werden und den Anspruch auf das Kanzleramt zu stellen. Ob er dann auch Kanzler wird, ist eine andere Frage, die vom Bundespräs­identen und den anderen Parteien, vor allem der ÖVP, abhängt. Aber so weit muss es gar nicht kommen. Kickls unbestreit­bares Talent zur Polemik, zur Verschärfu­ng der Gegensätze, zur Spaltung in „wir und die“kann auch selbstbesc­hädigend wirken.

Er beginnt, zumindest ist das der Eindruck, auch jenen Angst zu machen, die nichts gegen eine eher rechte Politik haben. Kickl wird auch nicht in die zweite Reihe zurücktret­en, um eine Koalition mit der FPÖ zu ermögliche­n. Er will jetzt die Nummer eins sein. Davon kann man ausgehen.

Und dann sollte man auch als potenziell­er FPÖ-Wähler eine Minute nachdenken, ob man sich einen Kickl als Kanzler vorstellen kann.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria