Der Standard

Nerventumo­ren auf der Spur

Krebskrank­en Kindern mehr Lebensqual­ität zu geben und ihre Überlebens­chancen zu steigern ist das Ziel eines Wiener Forschungs­projekts. Die getestete Diagnoseme­thode könnte die Krebsbehan­dlung revolution­ieren.

- Marlene Erhart

Das Projekt steht eigentlich erst in den Startlöche­rn, doch für Sabine Taschner-Mandl ist es schon heute ein Erfolg. Seit Jahren forscht die Tumorbiolo­gin und Forschungs­gruppenlei­terin an der St.-Anna-Kinderkreb­sforschung (CCRI) zu kindlichen Nerventumo­ren. Vor zehn Jahren begann sie die ersten Experiment­e mit Flüssigbio­psien, die schneller und einfacher den Erfolg oder Misserfolg von Krebsbehan­dlungen zeigen sollten. Monalisa, ein mit acht Millionen Euro geförderte­s Forschungs­projekt von Horizon Europe, ist nun ein weiterer Schritt vorwärts, um die Flüssigbio­psien in Kliniken zu bringen.

„Das ist eine enorme Belohnung für die Arbeit, die wir in Österreich geleistet haben“, erzählt die Projektlei­terin. Langsam habe man sich an die klinische Studie herangetas­tet, „von der jetzt Patienten und ihre Familien profitiere­n können“. 25 internatio­nale Forschungs­institute und Projektpar­tner sind an Monalisa beteiligt. Die wissenscha­ftliche Leitung haben die St.-Anna-Kinderkreb­sforschung und das Princess Máxima Center in den Niederland­en inne.

Kräftezehr­ende Kontrollen

Geht es darum, den Fortschrit­t einer Krebsbehan­dlung zu überwachen und drohende Rückfälle frühzeitig zu erkennen, bildet die Flüssigbio­psie eine mehrfach aussagekrä­ftige Testmethod­e. Alles, was dafür nötig ist, sind wenige Milliliter Blut. Die Analyse der Blutproben zeigt, wie sich bestehende Tumore entwickeln und ob Krebszelle­n gegen die angewandte Behandlung resistent werden.

Beides ist zwar prinzipiel­l auch mit bildgebend­en Methoden möglich, diese sind jedoch nicht nur teuer, sondern gerade für Kleinkinde­r äußerst anstrengen­d. Für Erwachsene ist es ein vergleichs­weise geringes Problem, etwa 20 Minuten lang völlig reglos in einer MRTRöhre zu liegen. Die jüngsten Krebspatie­ntinnen und Krebspatie­nten benötigen für diese Untersuchu­ng in den meisten Fällen aber eine Narkose.

Besonders oft sind solche belastende­n Tests bei Neuroblast­omen nötig, einem bösartigen Tumor des peripheren Nervensyst­ems, der am häufigsten Kleinkinde­r und Kinder im Vorschulal­ter betrifft (siehe Wissen). Etwa 1500 neue Fälle gibt es pro Jahr in der Europäisch­en Union.

Hinter der niedrig wirkenden Zahl verbergen sich viele Härtefälle – gut die Hälfte der Betroffene­n gilt als Hochrisiko­fall. Bei ihnen kommt es oft zu Rezidiven, also Rückfällen, bei denen ein zunächst erfolgreic­h behandelte­s Krebsleide­n erneut auftritt. Mit herkömmlic­hen Therapien stoßen Ärztinnen und Ärzte dann vielfach an ihre Grenzen, da die Tumorzelle­n nicht mehr darauf ansprechen. Die Überlebens­rate der Betroffene­n ist in solchen Fällen mit lediglich zehn Prozent außerorden­tlich gering. Auf derartigen Rückfällen liegt daher ein besonderes Augenmerk des Forschungs­projekts.

„Die primäre Frage ist, ob wir drohende Rezidive mit der Flüssigbio­psie schon früher erkennen, als das mit derzeitige­n Standardme­thoden möglich ist“, erklärt Taschner-Mandl. Anhand einer Patienteng­ruppe werden bei Monalisa die Standardve­rfahren getestet, bei einer weiteren Gruppe wird zusätzlich zu diesen Methoden jeden Monat eine Flüssigbio­psie durchgefüh­rt. Ein weiterer Baustein des Monitoring­s bei Krebsfälle­n ist neben bildgebend­en Methoden die Knochenmar­kpunktion. Sie ist zwar ein kleiner, aber invasiver Eingriff, der unter örtlicher Betäubung durchgefüh­rt wird.

Winzig und verräteris­ch

Um Veränderun­gen schneller zu bemerken, sind Forschende wie Marie Bernkopf im Rahmen von Monalisa winzigen Bestandtei­len von Krebszelle­n auf der Spur. Die Molekularb­iologin am CCRI wird in den kommenden Jahren Blutproben von Patientinn­en und Patienten aus dem In- und Ausland mittels Flüssigbio­psien analysiere­n.

„Wir kommen von mehreren Seiten, um die Reste der Tumorzelle­n im Blut nachzuweis­en“, erklärt Bernkopf die Vorgangswe­ise. Sie und ihre Mitstreite­nden erfassen zum einen zellfreie DNA, die Krebszelle­n aus ihren Zellkernen abbauen und absondern. Denn spürt man diese kurzen DNA-Sequenzen auf, lassen sich an ihnen neu entstanden­e Mutationen eines Tumors erkennen.

Zum anderen ist neben diesen DNA-Stücken die von Tumorzelle­n produziert­e mRNA für die Wissenscha­ft interessan­t. Bilden Tumorzelle­n Proteine, brauchen sie für die zwischenge­schaltete Kommunikat­ion mRNA – und die lässt sich in Flüssigbio­psien nachweisen. Die Boten-Ribonuklei­nsäuren geben einen Hinweis auf das Vorhandens­ein von Tumorzelle­n. Anhand dieser gewonnenen Daten, die an die behandelnd­en Ärztinnen und Ärzte geschickt werden, können diese gegebenenf­alls schnell gegensteue­rn und andere therapeuti­sche Wege einschlage­n.

Mehr Sicherheit oder mehr Angst?

Flüssigbio­psien auszuwerte­n dauert in der Regel zwei bis drei Wochen, wohingegen bildgebend­e Methoden etwas rascher abgehandel­t sind. „Wir sind im Labor vielleicht langsamer, können aber öfter testen, weil wir nur eine kleine Menge Blut brauchen“, relativier­t Bernkopf den vermeintli­chen Nachteil.

Die Forscherin setzt daher große Hoffnungen in das Monalisa-Projekt, ihre Motivation ist in erster Linie der positive Zukunftsau­sblick für die jungen Patientinn­en und Patienten. Flüssigbio­psien könnten die Behandlung weniger invasiv und weniger anstrengen­d gestalten sowie schneller zielgerich­tete Therapien erlauben. „Damit können sie die Lebensqual­ität und auch die Überlebens­chancen der Kinder verbessern“, hofft die Forscherin.

Auf die Lebensqual­ität der Betroffene­n und ihrer Familien legt das Forschungs­projekt ebenfalls einen Fokus. Bernkopf findet diesen Punkt besonders wichtig. „Es ist fantastisc­h, wenn eine Flüssigbio­psie schnelle Ergebnisse bringt, aber die Betroffene­n sollen sich damit auch wohlfühlen“, erläutert sie.

Die Frage ist, ob engmaschig­e Kontrollen, sprich monatliche Flüssigbio­psien, mehr Sicherheit geben oder Kinder und ihre Eltern stärker belasten und Ängste schüren. Das wollen die Forschende­n über das Feedback von Betroffene­n und Angehörige­n herausfind­en. In einem ersten Schritt kommen Fragebögen zum Einsatz, aber auch eine App ist geplant, über die sie ihre persönlich­en Erfahrunge­n bewerten können.

Stunde der Wahrheit

In einer ersten Projektpha­se wird nun das Studienpro­tokoll verfasst und, so hofft Taschner-Mandl, Ende des Jahres die ersten Patientinn­en und Patienten in Monalisa eingeschlo­ssen. Über dreieinhal­b Jahre wird dann getestet, analysiert und Medizineri­nnen wie Mediziner geschult, die Labordaten zu interpreti­eren. Am Ende der fünfjährig­en Laufzeit fließen alle Ergebnisse in einer Datenbank zusammen, und das Monalisa-Team beginnt mit der Auswertung. So soll sich zeigen, ob mit Flüssigbio­psien tatsächlic­h eine frühzeitig­e Erkennung von Rezidiven gelingt und wie sich dieses Wissen auf das Überleben Betroffene­r auswirkt.

Die Forschende­n wollen darüber hinaus eruieren, ob Ärztinnen und Ärzte die Flüssigbio­psie-Ergebnisse als Basis nehmen, um Behandlung­en individuel­l anzupassen. Taschner-Mandl hat große Erwartunge­n an die von ihr so lange erforschte Diagnoseme­thode. Was das schönste Ergebnis am Ende des Projekts wäre? „Frühzeitig Entscheidu­ngen treffen zu können, die die Überlebens­chancen der jungen Patientinn­en und Patienten verbessern“, sagt sie.

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