Gedruckte Augenlider
Die chirurgische Ausbildung erforderte bisher Spenderorgane, an denen Eingriffe gelernt werden können. Moderner 3D-Druck könnte diese Abhängigkeit schon bald obsolet machen.
Im Medizinstudium muss einerseits zwar außerordentlich viel Theorie gepaukt werden. Schon früh geht es in der langjährigen Ausbildung aber auch darum, das Gelernte in der Praxis anzuwenden und gewisse Handgriffe zu erlernen. Die Schulung bestimmter chirurgischer Eingriffe etwa ist nicht nur während des Studiums, sondern auch in der postpromotionellen Ausbildung zur Fachärztin oder zum Allgemeinmediziner ein essenzieller Bestandteil des Lehrplans.
Gegenwärtig ist man dazu allerdings vorwiegend auf Körperspenden von Verstorbenen angewiesen. Denn Haptik, Gewicht, Textur, mechanischer Widerstand und weitere Eigenschaften eines menschlichen Organs können weder ein Tierorgan noch ein künstliches Modell vollständig ersetzen. Das ist nicht unproblematisch. Denn es liegt in der Natur der Sache, dass ein Spender oder eine Spenderin der Medizin nur so viele Organe an die Nachwelt vermachen kann, wie er oder sie besitzt.
Ein Projekt von vier Partnern aus Tirol arbeitet deshalb daran, im 3D-Drucker Organe aus Kunststoff herzustellen, die hinsichtlich der relevanten mechanischen Eigenschaften so nah am menschlichen Original sind, dass sie in der medizinischen Ausbildung eingesetzt werden können. Damit ließe sich die Abhängigkeit von menschlichen Organspenden drastisch reduzieren.
Augenlid als erstes Projekt
Um die Idee in die Tat umzusetzen, wendet sich das Forschungsteam als Erstes den Augenlidern zu. Die Projektleitung liegt bei der Medizinischen Universität Innsbruck. Mit an Bord sind das Management Center Innsbruck (MCI) sowie die beiden Unternehmen Eyecre.at und Addion.
Das Projekt startete im Herbst 2023 und läuft zwei Jahre lang. Das Land Tirol fördert es mit 116.000 Euro.
Augenlider sind technisch eine besondere Herausforderung, erklärt Marko Konschake, Direktor des Instituts für Klinisch-Funktionelle Anatomie der Medizinischen Universität Innsbruck: „Das menschliche Augenlid besteht aus acht Schichten aus jeweils unterschiedlichem Gewebe, etwa Haut, Fett, Muskeln, Drüsen oder Bindegewebe. Und jede Schicht hat eine andere Textur, die man ermitteln muss, um sie dann im Drucker nachbauen zu können.“Der Weg vom Original zum fertigen künstlichen Produkt verläuft deshalb über mehrere Zwischenschritte.
Dreidimensionales Modell
Grundlage jedes gedruckten Lids sind computertomografische Bilder aus einer medizinischen Datenbank, die im standardisierten Dicom-Datenformat (Digital Imaging and Communications in Medicine) vorliegen. Daraus wird das dreidimensionale Basismodell erstellt. Zusätzlich fließen jedoch auch mechanische Materialeigenschaften der jeweiligen Lidschicht ein.
Um diese Eigenschaften überhaupt erst zu ermitteln, muss als Erstes eine Körperspende, also ein menschliches Augenlid, chirurgisch in seine einzelnen Schichten aufgetrennt werden. Jede Schicht wird dann in einen sogenannten Texture Analyzer eingespannt. Das ist ein Messgerät, das Gewebeproben mechanischem Druck oder Zug aussetzt und dabei Eigenschaften wie den Widerstand beziehungsweise die Elastizität der Probe misst. Sind diese Schritte durchgeführt, liegt eine Beschreibung der Materialeigenschaften der Probe in Form von numerischen Werten vor.
Kunststoff hält alles zusammen
„Auf Grundlage dieser Eigenschaften können wir dann das passende Material erzeugen“, sagt Addion-Geschäftsführer Alexander Hechenberger. Das Unternehmen zeichnet innerhalb des Projekts für den 3D-Druck verantwortlich. Um das haptische Feeling eines echten Augenlids möglichst exakt nachzubilden, suchen die Tiroler aus zehntausenden möglichen Materialkombinationen nach der für die jeweilige Schicht am besten geeigneten.
Damit die einzelnen Schichten nicht sofort auseinanderfallen, zugleich aber vom Arzt chirurgisch auf realistische Art gelöst werden können, muss eine ganz spezifische Form der Bindung zwischen den Schichten bestehen. Im menschlichen Körper übernimmt Bindeund Stützgewebe diese Aufgabe, im Kunststoffmodell stabilisierende Zwischenlagen. Die Besonderheit der eingesetzten Druckmaschine ist, dass sie eine große Bandbreite an verschiedenen Materialien verarbeiten und dadurch Objekte mit sehr vielseitigen Eigenschaften herstellen kann. Für die Augenlider kommen ausschließlich Materialien auf Kunststoffbasis zum Einsatz. Bisher wurden schon vielversprechende Prototypen hergestellt, betonen die Projektpartner. So fühle sich zum Beispiel die künstliche Haut schon sehr echt an, bei Fettgewebe hingegen sei noch Anpassungsarbeit nötig.
Fertiges Lid in wenigen Stunden
Der Druck eines Augenlides dauert circa vier Stunden. Sobald die Entwicklungsarbeit abgeschlossen ist und die Serienfertigung beginnen kann, sollen Chargen zu je 60 Lidern auf einmal produziert werden. Diese müssen dann lediglich gereinigt werden und sind sofort danach einsatzfähig.
Ein besonderer Vorteil künstlich hergestellter Augenlider und allgemein 3D-gedruckter Organe wäre die Standardisierbarkeit in der Ausbildung. Hat man einmal einen fertigen Datensatz für ein Organ erstellt, der alle Erwartungen erfüllt, kann dieses im Drucker beliebig oft in immer exakt gleicher Qualität reproduziert werden. So erhalten alle Lernenden die genau selben Übungsmodelle.
Ein weiterer Nutzen: Man könnte gezielt Organmodelle mit bestimmten pathologischen Merkmalen, im Fall des Augenlids beispielsweise einem Gerstenkorn, herstellen. Die Auszubildenden, aber auch Ärzte erhielten damit die Möglichkeit, sich speziell auf bestimmte chirurgische Eingriffe vorzubereiten und den Umgang mit möglichen Komplikationen zu trainieren.