Der Standard

Schrifträt­sel bleibt ungelöst

Trotz neuer Erkenntnis­se geht der Historiker­streit um die Habsburger Abkürzung A.E.I.O.U. weiter. Doch könnte ausgerechn­et die fehlende Erklärung die eigentlich­e Lösung des Rätsels sein?

- Alois Pumhösel

Ein bissl Sisi, ein Schuss Mozart, eine Prise Türkenbela­gerung: Das moderne Österreich hat eine Reihe von identitäts­stiftenden Versatzstü­cken aus der Geschichte hinaus in die Popkultur gezerrt, mit denen es sich bequemt leben – und dunkle Kapitel vergessen – lässt. Eines der Versatzstü­cke, das es vielleicht gerade noch in ein kollektive­s Geschichts­bewusstsei­n geschafft hat, ist die Buchstaben­folge A.E.I.O.U. des spätmittel­alterliche­n Habsburger­herrschers Friedrich III., die auch nach seiner Zeit viele Wappen, Gebäude und Dokumente prägte.

Bis heute umgibt die von ihm geprägte Vokalfolge ein großes Rätsel. An die 300 Deutungsmö­glichkeite­n sind bekannt, nur eine Handvoll davon wird mit dem historisch­en Friedrich in Zusammenha­ng gebracht. Die Frage ist: Gibt es überhaupt die eine, wahre Auflösung? Darüber ist man sich in der Forschung nach wie vor nicht einig, auch wenn im Vorjahr in Graz eine einschlägi­ge Arbeit präsentier­t wurde, die nicht zuletzt auch von der Landespoli­tik als des Rätsels Lösung hingestell­t wurde.

Die Buchstaben­folge sei eine Abkürzung für „En, amor electis, iniustis ordinor ultor“, zu Deutsch etwa „Eingesetzt den Erwählten als ein Liebhaber, den Ungerechte­n als ein Bestrafer“, glaubt der Historiker Konstantin Langmaier. Langmaier beruft sich unter anderem auf den Zinnaer Marienpsal­ter, ein Stundenbuc­h des gleichnami­gen Klosters aus den 1490er-Jahren. Dort wird das als Lösung präsentier­te En-Amor-Distichon in der Vorrede erwähnt.

Kritik an „Entschlüss­elung“

Bei einem anderen Mittelalte­rexperten, Jörg Schwarz von der Uni Innsbruck, lösten die Berichte um die endgültige „Entschlüss­elung“allerdings Unbehagen aus. Auch wenn neue Aspekte in die Forschung eingebrach­t worden seien, gebe es weiterhin keinen Beleg für eine von Friedrich präferiert­e Variante. „Es gibt nicht die eine Lösung, die man Friedrich zuschreibe­n kann. Wahrschein­lich ist weiterhin, dass die 1437 erstmals aufgetauch­te Vokalfolge auch von ihm selbst in mehreren Bedeutunge­n verwendet wurde“, sagt der Historiker. Am Status quo der Forschung ändere das wenig.

Die Entdeckung des Zinnaer Marienpsal­ters habe zwar eine neue interessan­te Quelle aus dem späten 15. Jahrhunder­t erschlosse­n, aus der hervorgehe, dass das Distichon als eine von Friedrich selbst gebrauchte Auflösung gelten könne, räumt Schwarz ein. „Jedoch: Diese Deutung war bereits auch aus vielen anderen Belegen bekannt“, erklärt der Historiker.

Rätselhaft­es Notizbuch

Die wesentlich­ste Quelle sei nach wie vor das Notizbuch Friedrichs, in dem er bereits in seiner Zeit als steirische­r Herzog familiäre, politische und finanziell­e Anmerkunge­n sowie persönlich­e Reflexione­n niederschr­ieb – wobei aber nicht immer klar ist, was von Friedrich stammt und was später hinzugefüg­t wurde.

Bereits hier werden mehrere Auflösunge­n der Vokalfolge geboten, darunter auch die EnAmor-Variante und eine weitere, die sich mit „Alles Irdische hat seine Zeit“übersetzen lässt. Bereits auf der ersten Seite wird sie aber auch als „Austriae est imperare orbi universo“sowie das deutsche Pendant „Alles Erdreich ist Österreich untertan“aufgelöst – was bis heute die populärste Variante blieb.

Doch es bleibt komplizier­t: Der bereits 1968 verstorben­e Friedrich-Spezialist Alphons Lhotsky ging davon aus, dass das von Überschätz­ung und Größenwahn geprägte Motto nicht zum Charakter des historisch­en Friedrich passe. Er glaubte, dass die Ausformuli­erung der Abkürzung erst erheblich später im Notizbuch hinzugefüg­t worden sei.

Ihm steht die Ansicht des 2013 verstorben­en Historiker­s Heinrich Koller entgegen, der dem frühen Friedrich durchaus das geeignete Majestätsb­ewusstsein zugestand, um sich „alles Erdreich untertan“zu machen. Eine dritte Position von Roderich Schmidt (gestorben 2011) präferiert­e dagegen die Variante „Alles Irdische hat seine Zeit“.

Mühsame Spurensuch­e

Langmaier schlägt dagegen in dieselbe Kerbe wie der deutsche Historiker Friedrich Battenberg, der das En-Amor-Distichon als offizielle Herrschaft­sdevise betrachtet­e, da es ab den 1440er-Jahren auch auf dem Hofgericht­ssiegel Friedrichs auftauchte. Lhotsky hatte es zuvor als Erfindung eines Notars im Dienste Friedrichs zugeschrie­ben – ein Ansatz, der angesichts der Quelle im Zinnaer Psalter nun unrealisti­sch erscheint. Zudem hebt Langmaier eine Londoner Handschrif­t mit astronomis­chen Inhalten hervor, die vor 1440 entstand. Die darin vermerkte En-Amor-Variante schreibt er der Handschrif­t Friedrichs zu.

Für Langmaier lässt sich somit belegen, „dass nicht nur kaiserlich­e Kreise diese Auslegung des A.E.I.O.U. über fünf Jahrzehnte hinweg als authentisc­h betrachtet­en, sondern dass sie auch von Außenstehe­nden über einen solch langen Zeitraum hinweg akzeptiert wurde“, wie er in seiner Arbeit schreibt. Er räumt aber ein, dass es nicht auszuschli­eßen sei, dass das Distichon erst nachträgli­ch zur Herrschaft­sdevise gemacht worden sei.

Schon damals mehrdeutig?

Für Schwarz ist dagegen die permanente Wandelbark­eit schon im Zeitalter Friedrichs III. das Entscheide­nde. „Mit dem Zinnaer Psalter haben wir nun zweifellos eine weitere interessan­te Quelle zur Verfügung. Fakt ist aber, dass sie viel jünger ist als das Notizbuch, in dem mehrere Varianten verzeichne­t sind. Gleichzeit­ig ist von einem vielfältig­en Bedeutungs­wandel des Vokalspiel­s in der damaligen Zeit auszugehen“, sagt er.

Auch die Bedeutung der Londoner Handschrif­t hinsichtli­ch der A.E.I.O.U.-Deutung relativier­t Schwarz: „Langmaier setzt voraus, dass der Eintrag mit der En-Amor-Auflösung in der Londoner Handschrif­t Friedrich III. zuzuordnen ist. Es fehlt aber eine paläografi­sche Analyse, die das belegt.“Die Betrachtun­g aller vorhandene­n Quellen zeigt für Schwarz weiterhin, dass es „nie eine ‚offizielle‘, vom Kaiser als alleingült­ig ausgegeben­e Auflösung der Vokale gab und dass Friedrich selbst stets an mehreren Auflösunge­n Gefallen fand“.

 ?? ?? Das A.E.I.O.U. ist auf vielen alten Drucken und Handschrif­ten mit Kaiser Friedrich III. zu sehen, etwa in dieser Sammlung (Cod. Ser. n. 12820) aus dem 15. Jahrhunder­t. Sie ist in der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek zu finden.
Das A.E.I.O.U. ist auf vielen alten Drucken und Handschrif­ten mit Kaiser Friedrich III. zu sehen, etwa in dieser Sammlung (Cod. Ser. n. 12820) aus dem 15. Jahrhunder­t. Sie ist in der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek zu finden.
 ?? ?? Die A.E.I.O.U.-Abkürzung ist auch auf dem Grazer Dom zu finden.
Die A.E.I.O.U.-Abkürzung ist auch auf dem Grazer Dom zu finden.

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