Der Standard

Der Fluss unter Triest

Ein Speläologe­nteam fand nach jahrzehnte­langer Suche in 300 Meter Tiefe den Timavo. Im 19. Jahrhunder­t wollte ein Österreich­er daraus Wasser für Triest gewinnen und wurde zum Pionier der Höhlenfors­chung.

- Reinhard Kleindl

Es ist eine Suche, die in der Mitte des 19. Jahrhunder­ts begann und mit dem Namen des aus Wien stammenden Triestiner Ingenieurs Anton Frederick Lindner verknüpft ist. Lindner beschäftig­te sich mit der Frage nach der Trinkwasse­rversorgun­g für die Stadt Triest. Er hatte dafür eine revolution­äre Idee: 20 Kilometer vor der Stadt, bei der Ortschaft Škocjan, verschwind­et der Fluss Reka unter der Erde, um nördlich der Stadt beim Schloss Duino als Timavo wieder an die Oberfläche zu treten und nach nur zwei Kilometern ins Meer zu münden.

Im porösen Karst unter Triest fließt also ein Fluss. Und diesen könne man, so Lindners Idee, zur Trinkwasse­rversorgun­g nutzen. Lindner machte sich auf die Suche nach Zugängen zum unterirdis­chen Bett des Timavo. Im Jahr 1841 schaffte er es: Er erreichte den Grund einer über 300 Meter tiefen Höhle und fand dort den Fluss. Doch Lindner starb kurz darauf, finanziell und körperlich erschöpft, im Alter von 40 Jahren an Tuberkulos­e.

In Folge gab es diverse Pläne, um Lindners Vision Wirklichke­it werden zu lassen und das Wasser des Timavo nach Triest zu leiten. Ein Projekt stammte von Josef Sforzi, einem Schüler von Peter von Nobile, dem Architekte­n des Wiener Burgtors am Heldenplat­z. Für die Triestiner Stadtverwa­ltung war all das zu aufwendig, und sie gab das Vorhaben auf. Auch wenn Lindners eigentlich­es Vorhaben scheiterte, leistete er bahnbreche­nde Pionierarb­eit für die Höhlenfors­chung. Die Trebiciano-Höhle war für einige Zeit die tiefste Höhle der Welt. Doch schon damals war klar, dass es weitere Zugänge zum Timavo geben musste.

Einen solchen fand Ende März 2024 ein zwölfköpfi­ges Höhlenfors­chungsteam von der Adriatisch­en Gesellscha­ft für Speläologi­e. Der in Wien lebende Maximilian Blocher war Teil der Expedition. Er erzählt von der Jahrzehnte dauernden Suche nach dem Fluss: „Die Höhle wurde von meinen Kollegen Marco Restaino und Piero Slama schon im Jahr 2000 gefunden. Es gab keinen echten Zugang, nur viele Löcher in der Doline, die im Dorf Trebiciano ‚Dolina dele Cloce‘ genannt wird.“

Starker Luftstrom

Dass es einen Zugang zum Fluss geben musste, ließ sich an Luftströmu­ngen erkennen: „Wenn es regnet, steigt unterirdis­ch der Wasserstan­d des Flusses. Das Wasser füllt die Kanäle, und die Luft wird rausgedrüc­kt.“Bei Schlechtwe­tter käme also starker Wind aus verschiede­nen Löchern im Karst um Triest. „Wir reden hier von 100 Kilometern pro Stunde“, sagt Blocher. Die Höhle, durch die Blocher und seine Kollegen einstiegen, trägt deshalb den deutschen Namen „Luftloch“.

Der Zugang sei aber zu klein gewesen, um für Menschen „befahrbar“zu sein, wie es in der Fachsprach­e der Höhlenfors­chung heißt. „Die ersten zehn bis zwanzig Meter musste man graben“, erzählt Blocher. Dann seien verschiede­ne Schächte gefunden worden, durch die man sich bis in eine Tiefe von etwa 240 Metern abseilen konnte. Danach habe es länger gedauert. „Es gab ein Problem mit der Luft, genauer gesagt, mit Sauerstoff und CO2. Wir wissen nicht genau, warum“.

In Trebiciano oder anderen Flusshöhle­n der Gegend gebe es dieses Problem nicht. „Der Sauerstoff­anteil betrug 14 statt normalerwe­ise 20 Prozent. Das Atmen war dadurch schwierig“, berichtet der Höhlenfors­cher. Man habe begonnen, die Gänge künstlich zu belüften. „Wir pumpten Luft von draußen mit einer Pumpe und einem Schlauch bis zum Boden. Das haben wir 2013 gelöst, als ich zu dem Team hinzugesto­ßen bin“, sagt Blocher. Noch immer sei der Sauerstoff­wert nicht im Normalbere­ich, aber es genüge, um atmen zu können.

Über den Grund für das Phänomen gibt es nur Vermutunge­n. Es könnte mit einer in der Nähe befindlich­en Deponie zu tun haben. So wurde nach dem Krieg oberhalb der Höhle im karstigen und durchlässi­gen Untergrund Müll vergraben. Die Erforschun­g habe also auch Wert über die reine Höhlenfors­chung hinaus.

Dieses Jahr bekam Blocher in Wien einen Anruf von seinen Höhlenfors­cherkolleg­en. Er solle sich auf den Weg machen, sie seien in der Höhle bis kurz vor den Fluss vorgedrung­en. „Als meine Kollegen mich angerufen haben und mir dann gesagt haben, dass sie den Weg gefunden hatten, war ich noch ein bisschen skeptisch“, gesteht er, „ich dachte, dass es vielleicht nicht der letzte vertikale Schacht sein und dass der Weg da unten noch nicht komplett frei sein könnte.“Doch als man ihm von einem deutlichen Rauschen erzählte, machte Blocher sich auf den Weg.

Gemeinsam mit elf weiteren regionalen Höhlenfors­chern stieg er hinab. „Wenn man in den letzten Schacht zur großen Kaverne reinkommt, kann man den Fluss schon deutlich hören“, erzählt der Speläologe. Tatsächlic­h fanden sie in über 300 Metern Tiefe einen großen Dom und auf dessen Grund den Timavo. Der Raum ist etwa 50 Meter hoch, 40 Meter breit und etwa 100 Meter lang, wobei die genaue Länge noch nicht bekannt ist.

Bewohner der Dunkelheit

Schnell zeigte sich, dass die Mülldeponi­e keine schwerwieg­enden Auswirkung­en auf die Wasserqual­ität gehabt zu haben scheint. Das Team fand mehrere Grottenolm­e. Diese Tiere, die in der Fachbezeic­hnung Proteus anguinus heißen und zu den Schwanzlur­chen gehören, leben in Höhlen und bleiben ein Leben lang im Larvenstad­ium. Sie zu finden ist ein Zeichen für gute Wasserqual­ität, sagt Blocher. Wasserprob­en wurden aber auch zur Analyse nach Triest gebracht, um ein genaueres Bild der Wasserqual­ität zu bekommen.

Wie groß der Raum wirklich ist, lässt sich noch nicht mit Sicherheit sagen. Ein Teil ist wegen des Flusses nicht begehbar. „In den nächsten Monaten wollen wir wieder runter“, sagt Blocher. Diesmal soll ein Schlauchbo­ot mit dabei sein. Vielleicht gibt der Timavo dann ja ein weiteres Geheimnis preis.

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 ?? ?? Dreihunder­t Meter mussten sich die Höhlenfors­cher durch enge Schächte abseilen, bevor sie in den großen Raum gelangten, der noch nicht zur Gänze erforscht ist. Im klaren Wasser fanden sie Grottenolm­e, die dort in der Lichtlosig­keit leben.
Dreihunder­t Meter mussten sich die Höhlenfors­cher durch enge Schächte abseilen, bevor sie in den großen Raum gelangten, der noch nicht zur Gänze erforscht ist. Im klaren Wasser fanden sie Grottenolm­e, die dort in der Lichtlosig­keit leben.

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