Ionenfalle für Computer
Trotz diverser Erfolge können Quantenrechner herkömmliche Computer in der Praxis kaum übertrumpfen. Das könnte sich aber schon sehr bald ändern – nicht zuletzt durch Forschung aus Österreich.
Er ist so etwas wie der heilige Gral der Technologieforschung: der Quantencomputer. Für Außenstehende ist die Funktionsweise mysteriös. Die Suche nach der besten Gerätelösung läuft über verschlungene Wege. Und heilbringend wiederum scheinen die Versprechungen, die mit ihm eingelöst werden sollen. Denn durch das enorme Rechenpotenzial könnte man künftig selbst Wechselwirkungen von Molekülen verstehen und damit völlig neue Materialien, aber auch Medikamente entdecken.
Im alltäglichen Gebrauch könnte der Quantencomputer unser Leben erleichtern, indem er komplexe Routenplanungen spielerisch bewältigt, aber auch genauere Wetter- und Klimasimulationen ermöglicht. Und ein Stück weit unheimlich ist er auch, indem er bestehende Verschlüsselungstechnologien auszuhebeln droht. Doch so weit ist es noch nicht. Denn dafür müsste ein Computer mit weit über 1.000 fehlerfrei funktionierenden Quanten-Bits (Qubits) gebaut werden.
Was sind Qubits?
Anders als die Bits in herkömmlichen Computern, die nur mit zwei möglichen Zuständen – 0 und 1 – rechnen können, können einzelne Qubits durch quantenmechanische Verschränkungen mehrere Zustände gleichzeitig annehmen und dadurch deutlich schneller rechnen. Doch mit der steigenden Anzahl an Qubits in einem System steigt auch die Fehleranfälligkeit, was Quantencomputer in der Praxis bisher kaum einsetzbar machte.
Ein Weg, um möglichst viele makellose Qubits in ein Gerät zu packen und die Fehlerquote in Schach zu halten, sind Prozessoren mit sogenannten Ionenfallen. Bei dieser Entwicklung vorn mit dabei ist der Halbleiterhersteller Infineon, der zusammen mit Forschungspartnern wie der Universität Innsbruck und Joanneum Research und kommerziellen Auftraggebern am Standort in Villach an entsprechenden Prozessoren mit integrierter Optik forscht. Dort wurde vor zwei Jahren auch ein Quantentestlabor eröffnet, in dem Tests von Modulen an nur einem Tag statt in mehreren Wochen durchgeführt werden können.
„Einzelne Ionen schweben zu sehen hat etwas sehr Erhabenes“, erklärt Clemens Rössler, Quanten-Team-Leiter bei Infineon Austria. Er vergleicht die Funktionsweise derartiger Ionenfallenchips mit einem Verschiebebahnhof. Die Ionen, die gleichsam als Qubits fungieren, werden elektromagnetisch etwa 100 Mikrometer über dem Chip in Schwebe gehalten und können so zwischen den verschiedenen Zonen – zum Rechnen, Auslesen oder Speichern – hin- und hergeschoben werden.
„Der Vorteil der Technologie ist, dass alle Ionen identisch und makellos sind. Über den Einsatz von Laser- oder Mikrowellentechnologie erhält man folglich perfekte Qubits, die sich nicht voneinander unterscheiden“, erklärt Rössler. Das Design solcher Chips habe etwas sehr Skalierbares. Wenn man ein Ion fangen könne, klappe das auch mit 1.000, der angestrebten Qubit-Anzahl.
Ganz so trivial ist das Ganze natürlich nicht, etwa was die Lichtführung betrifft. Da ein externer Laser beim Anstrahlen eines Ions unweigerlich auch andere treffen würde, muss die Lichtführung in den Chip integriert werden. In einem photonisch integrierten Schaltkreis wird Licht stattdessen in den Chip geleitet und direkt unter dem anvisierten Ion ausgekoppelt und nach oben gestrahlt. Eine weitere Herausforderung ist der Anschluss von 10.000 Elektroden, die in einem 1000-Ionen-Chip notwendig sind. „Man kann natürlich nicht 10.000 Kabel anschließen, zumindest die Zuordnung der Spannungen auf die vielen Elektroden muss in den Chip integriert werden“, erklärt Rössler.
Die Umsetzung dieses Unterfangens ist auch Teil des Forschungsprojekts Optoquant, das im Juni 2021 startete und noch bis Mitte dieses Jahres läuft. Neben Infineon, das Teil der Plattform Photonics Austria ist, sind das Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck und das Joanneum-ResearchInstitut Materials an dem Projekt beteiligt. Das Fördervolumen beträgt 2,7 Millionen Euro und wird von der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) und der Nationalstiftung für Forschung, Technologie und Entwicklung finanziert. Die Geldmittel werden vom Bund, etwa durch das Wissenschafts- und das Klimaschutzministerium, beigesteuert.
Österreichs Rolle
Dass Österreich nicht zuletzt mit Nobelpreisträgern wie Anton Zeilinger und Ferenc Krausz, aber auch den Uni-Zentren in Wien und Innsbruck eine starke Tradition und führende Stellung in der Quantenforschung einnimmt, ist unbestritten. Ob das im Wettlauf mit China und den USA reicht, wo mit IBM und Google gleich zwei Tech-Giganten die kommerzielle Vorherrschaft bei Quantencomputern erringen wollen, ist unklar. Rössler zufolge dürfe sich Österreich und auch Europa nicht kleiner machen, „als wir sind“.
Ungeachtet des Hypes und der überzogenen Erwartungen der vergangenen Jahre seien nutzbringende Quantencomputer mittlerweile in greifbarer Nähe. Schon Systeme mit 40 bis 50 Qubits können einen echten Mehrwert gegenüber herkömmlichen Supercomputern liefern – vorausgesetzt, die Fehleranfälligkeit wird minimiert. Als Zwischenschritt könnten sich aber auch Systeme mit weniger Qubits durchsetzen, glaubt Rössler, einfach weil sie bestehende Aufgaben deutlich energieeffizienter lösen können als ein Servercluster. „Ein Quantencomputer auf Basis von Ionenfallen benötigt wenige Kilowatt, egal ob er mit 20 oder 100 Qubits ausgestattet ist.“
Für den endgültigen Durchbruch der Technologie könnte ein Aha-Erlebnis sorgen, wie es im Bereich Künstlicher Intelligenz mit ChatGPT der Fall war. „Wenn durch einen Quantencomputer ein konkretes Medikament entwickelt würde, das vielen Menschen hilft oder sogar Leben rettet, würde das jeder verstehen“, sagt Rössler. In welchem Bereich so ein Durchbruch gelingt, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt natürlich nicht vorhersagen. „Es wird aber nur mehr wenige Jahre dauern.“