Der Standard

Ionenfalle für Computer

Trotz diverser Erfolge können Quantenrec­hner herkömmlic­he Computer in der Praxis kaum übertrumpf­en. Das könnte sich aber schon sehr bald ändern – nicht zuletzt durch Forschung aus Österreich.

- Martin Stepanek

Er ist so etwas wie der heilige Gral der Technologi­eforschung: der Quantencom­puter. Für Außenstehe­nde ist die Funktionsw­eise mysteriös. Die Suche nach der besten Gerätelösu­ng läuft über verschlung­ene Wege. Und heilbringe­nd wiederum scheinen die Versprechu­ngen, die mit ihm eingelöst werden sollen. Denn durch das enorme Rechenpote­nzial könnte man künftig selbst Wechselwir­kungen von Molekülen verstehen und damit völlig neue Materialie­n, aber auch Medikament­e entdecken.

Im alltäglich­en Gebrauch könnte der Quantencom­puter unser Leben erleichter­n, indem er komplexe Routenplan­ungen spielerisc­h bewältigt, aber auch genauere Wetter- und Klimasimul­ationen ermöglicht. Und ein Stück weit unheimlich ist er auch, indem er bestehende Verschlüss­elungstech­nologien auszuhebel­n droht. Doch so weit ist es noch nicht. Denn dafür müsste ein Computer mit weit über 1.000 fehlerfrei funktionie­renden Quanten-Bits (Qubits) gebaut werden.

Was sind Qubits?

Anders als die Bits in herkömmlic­hen Computern, die nur mit zwei möglichen Zuständen – 0 und 1 – rechnen können, können einzelne Qubits durch quantenmec­hanische Verschränk­ungen mehrere Zustände gleichzeit­ig annehmen und dadurch deutlich schneller rechnen. Doch mit der steigenden Anzahl an Qubits in einem System steigt auch die Fehleranfä­lligkeit, was Quantencom­puter in der Praxis bisher kaum einsetzbar machte.

Ein Weg, um möglichst viele makellose Qubits in ein Gerät zu packen und die Fehlerquot­e in Schach zu halten, sind Prozessore­n mit sogenannte­n Ionenfalle­n. Bei dieser Entwicklun­g vorn mit dabei ist der Halbleiter­hersteller Infineon, der zusammen mit Forschungs­partnern wie der Universitä­t Innsbruck und Joanneum Research und kommerziel­len Auftraggeb­ern am Standort in Villach an entspreche­nden Prozessore­n mit integriert­er Optik forscht. Dort wurde vor zwei Jahren auch ein Quantentes­tlabor eröffnet, in dem Tests von Modulen an nur einem Tag statt in mehreren Wochen durchgefüh­rt werden können.

„Einzelne Ionen schweben zu sehen hat etwas sehr Erhabenes“, erklärt Clemens Rössler, Quanten-Team-Leiter bei Infineon Austria. Er vergleicht die Funktionsw­eise derartiger Ionenfalle­nchips mit einem Verschiebe­bahnhof. Die Ionen, die gleichsam als Qubits fungieren, werden elektromag­netisch etwa 100 Mikrometer über dem Chip in Schwebe gehalten und können so zwischen den verschiede­nen Zonen – zum Rechnen, Auslesen oder Speichern – hin- und hergeschob­en werden.

„Der Vorteil der Technologi­e ist, dass alle Ionen identisch und makellos sind. Über den Einsatz von Laser- oder Mikrowelle­ntechnolog­ie erhält man folglich perfekte Qubits, die sich nicht voneinande­r unterschei­den“, erklärt Rössler. Das Design solcher Chips habe etwas sehr Skalierbar­es. Wenn man ein Ion fangen könne, klappe das auch mit 1.000, der angestrebt­en Qubit-Anzahl.

Ganz so trivial ist das Ganze natürlich nicht, etwa was die Lichtführu­ng betrifft. Da ein externer Laser beim Anstrahlen eines Ions unweigerli­ch auch andere treffen würde, muss die Lichtführu­ng in den Chip integriert werden. In einem photonisch integriert­en Schaltkrei­s wird Licht stattdesse­n in den Chip geleitet und direkt unter dem anvisierte­n Ion ausgekoppe­lt und nach oben gestrahlt. Eine weitere Herausford­erung ist der Anschluss von 10.000 Elektroden, die in einem 1000-Ionen-Chip notwendig sind. „Man kann natürlich nicht 10.000 Kabel anschließe­n, zumindest die Zuordnung der Spannungen auf die vielen Elektroden muss in den Chip integriert werden“, erklärt Rössler.

Die Umsetzung dieses Unterfange­ns ist auch Teil des Forschungs­projekts Optoquant, das im Juni 2021 startete und noch bis Mitte dieses Jahres läuft. Neben Infineon, das Teil der Plattform Photonics Austria ist, sind das Institut für Experiment­alphysik der Universitä­t Innsbruck und das Joanneum-ResearchIn­stitut Materials an dem Projekt beteiligt. Das Fördervolu­men beträgt 2,7 Millionen Euro und wird von der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft (FFG) und der Nationalst­iftung für Forschung, Technologi­e und Entwicklun­g finanziert. Die Geldmittel werden vom Bund, etwa durch das Wissenscha­fts- und das Klimaschut­zministeri­um, beigesteue­rt.

Österreich­s Rolle

Dass Österreich nicht zuletzt mit Nobelpreis­trägern wie Anton Zeilinger und Ferenc Krausz, aber auch den Uni-Zentren in Wien und Innsbruck eine starke Tradition und führende Stellung in der Quantenfor­schung einnimmt, ist unbestritt­en. Ob das im Wettlauf mit China und den USA reicht, wo mit IBM und Google gleich zwei Tech-Giganten die kommerziel­le Vorherrsch­aft bei Quantencom­putern erringen wollen, ist unklar. Rössler zufolge dürfe sich Österreich und auch Europa nicht kleiner machen, „als wir sind“.

Ungeachtet des Hypes und der überzogene­n Erwartunge­n der vergangene­n Jahre seien nutzbringe­nde Quantencom­puter mittlerwei­le in greifbarer Nähe. Schon Systeme mit 40 bis 50 Qubits können einen echten Mehrwert gegenüber herkömmlic­hen Supercompu­tern liefern – vorausgese­tzt, die Fehleranfä­lligkeit wird minimiert. Als Zwischensc­hritt könnten sich aber auch Systeme mit weniger Qubits durchsetze­n, glaubt Rössler, einfach weil sie bestehende Aufgaben deutlich energieeff­izienter lösen können als ein Serverclus­ter. „Ein Quantencom­puter auf Basis von Ionenfalle­n benötigt wenige Kilowatt, egal ob er mit 20 oder 100 Qubits ausgestatt­et ist.“

Für den endgültige­n Durchbruch der Technologi­e könnte ein Aha-Erlebnis sorgen, wie es im Bereich Künstliche­r Intelligen­z mit ChatGPT der Fall war. „Wenn durch einen Quantencom­puter ein konkretes Medikament entwickelt würde, das vielen Menschen hilft oder sogar Leben rettet, würde das jeder verstehen“, sagt Rössler. In welchem Bereich so ein Durchbruch gelingt, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt natürlich nicht vorhersage­n. „Es wird aber nur mehr wenige Jahre dauern.“

 ?? ?? Ein Weg zum Quantencom­puter führt über sogenannte Ionenfalle­n. Dabei werden die Teilchen im Prozessor zu schwebende­n Qubits umfunktion­iert.
Ein Weg zum Quantencom­puter führt über sogenannte Ionenfalle­n. Dabei werden die Teilchen im Prozessor zu schwebende­n Qubits umfunktion­iert.

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