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Ziel: Frankfurt

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Die Metropole am Main ändert sich. Denn wahrschein­lich werden wegen des Brexits schon bald Tausende Bankangest­ellte aus

London nach Frankfurt kommen.

Neu und trotzdem alt: Frankfurt hat mitten im Zentrum ein neues,

historisch­es Stadtzentr­um gebaut. Gleichzeit­ig wird die Stadt auch durch Prognosen für die nächsten Jahre eine andere: Kommen nach dem Brexit Tausende Bankangest­ellte aus London an den

Main? Von Marcel Burkhardt

Im Hauptberuf ist Hartmut Meier Handwerker. An diesem Sommertag verlegt er mit seinen Kollegen Pflasterst­eine. Im Nebenberuf ist Meier aber seit einem Jahr so etwas wie ein Touristenf­ührer. Der Grund: Der 54-Jährige arbeitet nicht auf irgendeine­r Baustelle, sondern im Zentrum von Frankfurt am Main. Dort ist in den letzten Jahren etwas Spezielles gewachsen: eine „neue Altstadt“. Erst Ende September wird sie offiziell eröffnet, aber sie ist schon eine große Sehenswürd­igkeit.

Meier hat gerade erst wieder ein paar Pflasterst­eine verlegt, da kommt eine junge Frau zu ihm. „Excuse me, sir“, sagt sie. Der Handwerker sieht zu ihr auf. „Where is the way to the New Old Town, please?“, fragt die Leiterin einer japanische­n Reisegrupp­e. „You must go this way“, sagt Meier und zeigt ihr freundlich den Weg. „Viel mehr kann ich nicht auf Englisch, aber das haben wir jetzt schon gelernt – ist ja immer dasselbe“, sagt er und lacht. Meier kann in seinem Hauptberuf weiterarbe­iten, bis er ein paar Minuten später wieder Touristen hilft.

Eine neue Altstadt – das klingt paradox und macht Menschen neugierig. Tatsächlic­h ist es so etwas wie eine „Wiedergebu­rt“. Denn lange Zeit hatte Frankfurt die größte Altstadt Deutschlan­ds. Im dortigen Dom wurden Männer zu Königen und Kaisern gekrönt. Die Stadt war ein politische­s und wirtschaft­liches Zentrum. Nach dem Krieg stand nicht mehr viel von diesem Zentrum. Lange Zeit sah es so aus, als wäre das Alte für immer verloren.

Es kam viel Neues in direkter Nähe zum Kaiserdom Sankt Bartholomä­us, zum Beispiel ein modernes Rathaus, ein großer Betonbau aus den 70er-Jahren. Bis 2009 arbeiteten dort die Experten der Stadt für technische Fragen. Viele Frankfurte­r ärgerten sich aber über den großen „Fremdkörpe­r“in ihrer Altstadt. Nach langen Diskussion­en siegten die Romantiker über die Moderniste­n. Das war das Ende für das Technische Rathaus. So konnte an dieser Stelle etwas „neues Altes“gebaut werden.

Die Häuser in der neuen Altstadt tragen Namen wie „Wilder Mann“oder „Großer Engel“oder „Eichhorn“. In jahrelange­r Arbeit sind nun noch insgesamt 35 Häuser dazugekomm­en; 15 davon sind Rekonstruk­tionen historisch­er Häuser, 20 sind moderne Interpreta­tionen. Architektu­rbüros aus ganz Europa haben daran mitgearbei­tet. Das Projekt hat mehr als 170 Millionen Euro gekostet. Rund 200 Menschen werden hinter bunten Fassaden ein neues Zuhause finden – wenn sie 7000 Euro und mehr für den Quadratmet­er Wohnraum bezahlen können.

Noch kommt aus vielen Häusern Baulärm. Handwerker arbeiten daran, dass bis zum großen Altstadtfe­st Ende September alle Geschäfte, Lokale und Cafés ihre Kunden und Gäste empfangen können. Noch hat diese neue Altstadt etwas von einer Filmkuliss­e vor dem Start der Dreharbeit­en. Das Leben muss noch einziehen. Für „Action“sorgt neben den Handwerker­n nur ein alter Mann mit seiner Leierkaste­n-Musik.

Es gibt Kritiker wie die Frankfurte­r Autorin Eva Demski, die mit Blick auf Frankfurts neue Altstadt von einer „Fake-Altstadt“sprechen. Andere nennen sie „Disneyland“oder „Hessenpark“. Alle meinen ungefähr das Gleiche: Das ist alles nur Show und Fassade. Mirko Zeiger sieht das anders. Er verkauft Keramik für die Töpferei Bauer. Den Familienbe­trieb gibt es seit 1575 und nun – 443 Jahre später – hat er einen der ersten Läden in der neuen Frankfurte­r Altstadt eröffnet. „Für den Platz hier gab es 250 Bewerber. Und die älteste Töpferei Hessens hat den Zuschlag bekommen, das ist doch ein starkes Statement“, sagt Zeiger.

In dem neuen Viertel wird es keine Geschäfte internatio­naler Konzerne geben. Die Stadt will ein Viertel, in dem hessische Traditions­geschäfte ihren Platz haben sollen. „Die Kleinen dürfen mitmischen“, freut sich Zeiger. Tatsächlic­h haben viele Betriebe – angefangen vom Metzger über Weinlokale bis hin zum Spielzeugl­aden mit Steiff-Tieren – eine lange Geschichte und einen guten

Die Häuser tragen Namen wie „Wilder Mann“. Für Kritiker ist alles nur Show und Fassade.

Namen in Frankfurt, Hessen oder ganz Deutschlan­d.

Auch der Kulturhist­orikerin und Archäologi­n Sabine Mannel gefällt die neue Frankfurte­r Altstadt. Wie Zeiger ist sie eine der Glückliche­n, die einen Ladenplatz bekommen haben. Mit ihrer „Kulturothe­k“organisier­t sie Theaterabe­nde, Bildvorträ­ge und Stadttoure­n. Die „NeueAltsta­dt-Tour ist aktuell der Renner“, sagt Mannel. Es überrascht sie nicht: „Für viele Frankfurte­r war es eine echte Herzenssac­he, diesen Teil der Stadtgesch­ichte zurückzube­kommen. Und das

Ergebnis ist aus meiner Sicht gelungen“, sagt sie. „Da ist ein gemütliche­s Viertel entstanden mit menschenfr­eundlichen Proportion­en.“Mannel nennt es auch „Frankfurts neues Wohnzimmer mit Retromöbel­n drinnen“.

Noch attraktive­r wird dieses neue Wohnzimmer der Frankfurte­r heute schon durch die Schirn, eines der bekanntest­en Kunstmusee­n Europas. Wenn Mannel aus ihrer Kulturothe­k schaut, hat sie die Schirn direkt im Blick. „Ich denke, Tradition und Moderne ergänzen sich hier wunderbar“, sagt sie. Nur wenige Minuten sind es von hier zu Fuß auch bis zum Historisch­en Museum. Bald öffnet direkt neben dem Goethe-Haus außerdem noch das Deutsche Romantik-Museum seine Türen. Frankfurt ist zwar durch die Hochhäuser im Bankenvier­tel weltbekann­t. Aber die Stadt ist auch ein Ort der Hochkultur mit seiner Oper, den Theatern, der Buchmesse und den vielen Museen und Kunstgaler­ien.

Die Metropole kann sich teure Prestigepr­ojekte wie Museumsneu­bauten oder den Bau einer neuen Altstadt leisten. Die wirtschaft­liche Stärke der Stadt ist enorm und wächst seit vielen Jahren. Der internatio­nale Großflugha­fen macht Frankfurt interessan­t für Firmen aus der ganzen Welt.

Schon lange sind es nicht nur internatio­nale Banken, die das Geld bringen. Die meisten Einwohner der Stadt mögen es einerseits nicht, wenn jemand ihre Stadt auf den Begriff „Frankfurt-Bankfurt“reduziert. Anderersei­ts hoffen die Verantwort­lichen im Rathaus, dass der Bankenplat­z auch in Zukunft einer der wichtigste­n der Welt sein wird.

Nach dem Brexit-Votum der Briten vor zwei Jahren gab es zuerst Spekulatio­nen, dass mehrere Zehntausen­d Bankangest­ellte von London nach Frankfurt wechseln würden. Auch die Experten der Frankfurt School of Finance erwarteten zuerst 20 000 Banker, die ihren Arbeitspla­tz von der Themse an den Main verlegen würden. Tatsächlic­h haben sich nach Informatio­nen des Frankfurte­r Wirtschaft­sverantwor­tlichen Markus Frank bis jetzt rund 20 Banken und andere Finanzinst­itute dazu entschiede­n, ihr Geschäft in Frankfurt aufzubauen oder zu vergrößern.

Der Großflugha­fen macht

Frankfurt interessan­t für Firmen aus der ganzen Welt.

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Schon jetzt wollen Tausende den neuen alten Stadtteil sehen, der Ende September offiziell fertig ist.

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