WIE GEHT ES EIGENTLICH DER
Die schnellen deutschen Straßen sind weltbekannt. Aber vor einem Jahr bekam die A20 plötzlich ein Loch, das immer größer wurde. Es ist nicht das einzige Problem auf Deutschlands Autobahnen.
... Autobahn?
Es waren Bilder wie nach einem Erdbeben. Im September vergangenen Jahres war in der Autobahn bei Tribsees (Mecklenburg-Vorpommern) plötzlich ein Loch in der Fahrbahn. 40 Meter breit. Der Asphalt – zerschnitten wie Papier. Die Leitplanken – verschwunden im Boden. Zuerst fuhren noch Autos am Loch vorbei. Dann sperrte das Landesamt für Straßenbau und Verkehr in Mecklenburg-Vorpommern die A20. Auch die andere Fahrbahnhälfte brach weg. Das Loch war nun 100 Meter lang, 45 Meter breit und zweieinhalb Meter tief. Seitdem ist Stille auf der Autobahn. Der gesamte Verkehr fährt nun auf einer Länge von elf Kilometern auf Umleitungsstraßen.
Einer der Orte, durch die die Strecke führt, ist Langsdorf. 200 Menschen wohnen dort. In Langsdorf ist die Stille seitdem verschwunden. Mehr als 10 000 Autos und Lastwagen fahren täglich durch, vorbei an Vorgärten, Gartenzäunen und am Haus von Hartmut Kolschewski. „Es rauscht den ganzen Tag“, sagt der Bürgermeister. „Besonders schlimm ist es nach dem Wochenende, wenn das Fahrverbot für die Lkws endet und diese die verlorene Zeit wieder aufholen wollen.“Rund
300 Mal am Tag wird der im Ort aufgestellte Blitzer ausgelöst. „An Schlaf ist dann nicht mehr zu denken“, sagt der 64-Jährige.
Die A20 ist eine der Hauptverkehrsverbindungen nach Rügen, Usedom und in die Urlaubsregionen der Ostsee. Zwar hatte das Landesamt vor Ferienbeginn alternative Routen an die Ostsee ausgeschildert. Genützt hat es wenig. „Am Wochenende hatten wir den bislang längsten Stau. Wir wollten schon Eis an die Autofahrer verkaufen“, erzählt Kolschewski. Galgenhumor. Zu oft schon hatte er schlechte Nachrichten für die Langsdorfer. Eine Umgehungsstraße sollte es noch vor dem Sommer geben. Inzwischen spricht das Landesamt von einer „Realisierung im Laufe des Jahres“. „Wir wurden oft nicht ehrlich informiert“, sagt Kolschewski.
Warum die A20 schon nach zwölf Jahren wegbrach, ist noch nicht genau bekannt. Die Ostseeautobahn war auch ein Produkt der deutschen Einheit. Schnell sollte der Osten an den Westen angebunden werden. Bei Trib - sees hat man deshalb auf dem Moorboden eine neue, aber nicht geprüfte Technologie eingesetzt.
Es ist nicht der einzige Fehler, den man beim Verkehrsprojekt Deutsche Einheit gemacht hat. In Sachsen-Anhalt und Brandenburg müssen rund 115 Kilometer Autobahn saniert werden: Bei ihrem Bau wurde ein Beton verwendet, der jetzt die Fahrbahn aufquellen lässt. Zum Symbol einer falschen Infrastrukturpolitik aber ist die Autobahnbrücke bei Leverkusen geworden. Die baufällige Brücke, über die eine der wichtigsten Verkehrsverbindungen Deutschlands läuft, muss neu gebaut werden. Das dauert zehn Jahre. So lange wird die Brücke jedoch nicht mehr halten. Für schwere Fahrzeuge ist sie deshalb schon gesperrt. Müsste man die Brücke auch für Autos sperren, wäre das Verkehrschaos im Raum Köln und Leverkusen perfekt.
Fast 13 000 Kilometer Autobahn durchziehen das Land. Für manche heißt das Geschwindigkeit und
Freiheit. Es gibt kein generelles Tempolimit in Deutschland, aber diese Freiheit bedeutet längst nicht mehr freie Fahrt. Oft geht es auf der Autobahn nur im Schneckentempo voran. Nach Angaben des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs (ADAC) standen die Autound Lkw-Fahrer im vergangenen Jahr 457 000 Stunden im Stau. Das sind neun Prozent mehr als im Vorjahr. 723000 Mal gab es 2017 einen Stau auf der Autobahn. Gesamtlänge der Staus: 1 448 000 Kilometer. Das ist 36 Mal um die Erde. Zwei Drittel aller Staus gab es in Baden-Württemberg (elf Prozent), Bayern (18 Prozent) und Nordrhein-Westfalen (35 Prozent). Im bevölkerungsreichsten Bundesland, Nordrhein-Westfalen, wuchsen die Staukilometer im vergangenen
Jahr sogar um 17 Prozent auf
455 000 Kilometer. An der Spitze – gemessen an der Länge des Autobahnnetzes – standen Hamburg und Berlin. Die längsten Staus gibt es normalerweise im Juni und September, jeweils pünktlich zu Ferienbeginn und -ende. Ein Grund dafür ist auch, so der ADAC, dass die Deutschen wieder häufiger mit dem Auto in den Urlaub fahren.
Deutschland hat ein Verkehrsproblem. Laut ADAC sind für ein Drittel aller Staus die Baustellen verantwortlich. Und davon gibt es derzeit genug: 586 sind es zwischen dem 1. Juni und dem 1. Oktober. Aber warum ist das so? Zu wenig investiere die Bundesregierung in die Rettung der Verkehrsinfrastruktur, kritisierten schon 2012 in einer gemeinsamen Erklärung der Bundesverband der Deutschen Industrie, der Lobbyverband Pro Mobilität und andere Verbände der Verkehrs- und Logistikwirtschaft. Nicht nur der Lkw-Verkehr auf den Autobahnen nimmt seit Jahren zu und belastet den Straßenbelag. Es gibt auch immer mehr Autos.
1960 waren noch 4,5 Millionen Wagen in Deutschland unterwegs. 2018 stieg die Zahl laut Kraftfahrtbundesamt auf 46,5 Millionen. 77,3 Prozent der privaten Haushalte haben laut Umweltbundesamt mindestens ein Auto, 30 Prozent der Haushalte sogar zwei oder mehr Pkws. Die Zahl der Doppelverdiener-Haushalte wächst, und auch das Pendeln zur Arbeitsstelle am Morgen und Abend nimmt zu. Laut einer Studie des Instituts Infas fährt jeder Deutsche pro Tag im Durchschnitt 39 Kilometer mit dem Auto, 16 davon zur Arbeit.
Jetzt drängt die Zeit. 8,6 Milliarden Euro gibt die Bundesregierung in diesem Jahr für das Autobahnnetz aus, fast eine Milliarde mehr als im Jahr davor. Bis 2030 will der Staat rund 270 Milliarden Euro in die Infrastruktur investieren. Mit knapp der Hälfte des Geldes, 132,8 Millionen Euro, sollen die Straßen saniert werden. Außerdem sollen die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern neu verteilt werden. Noch gibt der Bund das Geld und setzt Prioritäten. Die Länder planen und bauen.
„Wir treiben die größte Reform in der Geschichte der Autobahn voran und ordnen das System neu“, erklärte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer im April. Ab 2021 ist der Bund für die Finanzierung, die Planung und den Bau der Autobahnen zuständig. Und für den Bundesverkehrsminister kommt mit dem Aufbau dieser Behörde eine weitere Baustelle hinzu. Andrea Lacher
8,6 Milliarden Euro gibt die Regierung in diesem Jahr für das Autobahnnetz aus.