So feiern die Deutschen
Von der Babyparty bis zur Trennungsfeier: Jede neue Lebensphase wird heute in Deutschland zum Fest. Egal, was es kostet. Von Nadine Oberhuber
Von der Babyparty bis zur kaputten Ehe: Inzwischen wird jede neue Lebensphase in Deutschland gefeiert. Das darf dann auch ziemlich teuer sein.
Früher, da gab es nur einen schönsten Tag im Leben: die eigene Hochzeit, was sonst? Heute heiraten zwar viele gar nicht mehr, aber andere tun es dafür gleich mehrmals. Auch sonst finden die Deutschen mehr als genug Anlässe, aus denen sie ganz große Tage machen, die man möglichst ein Leben lang nicht vergisst. Inzwischen ist das zu einer Mode geworden, findet der Soziologe Ronald Hitzler. Er hat dafür als Erster einen eigenen Begriff gefunden: die Eventisierung des Lebens. „Vermutlich fing diese Mode mit der Eventisierung von Hochzeiten an und schwappte aus den Vereinigten Staaten zu uns herüber“, sagt er. „Inzwischen werden auch Taufen, Altersjubiläen, bestandene Prüfungen, Trauerfeiern, ja Kindergeburtstage angereichert und aufgepeppt.“
Die Deutschen zelebrieren den Junggesellenabschied genauso wie den Beginn der Ehe, den Anfang der Schulzeit und ihr Ende, das erste Kind, das eigene Haus. Und sie tun immer mehr, um aus diesen Ereignissen nicht nur für sie selbst, sondern auch für die Gäste einzigartige Momente zu machen. Deshalb feiern die Deutschen dann nicht nur im engsten Familienkreis, sondern laden möglichst viele andere dazu ein. Natürlich haben die Menschen schon immer wichtige Lebensübergänge gefeiert, vor allem die Geburt und das Erwachsenwerden. Aber selten taten es die Deutschen so üppig wie heutzutage – und vor allem so professionell organisiert.
Der Abiturball, den alle nur Abiball nennen, ist ein schönes Beispiel dafür: Noch in den 80er- oder 90er-Jahren fanden viele Abiturienten die Abschlussfeier mit Anzug und Standardtanz ziemlich spießig. Man feierte in der Turnhalle der Schule, selbstorganisiert, improvisiert und ohne Erwachsene. Wenn noch dazu ein Ball für Angehörige geplant war, buchten Abschlussklassen einen Gaststätten-Saal und bestellten kaltes Essen vom Metzger. Die Musik kam vom Band.
Heute machen Abiturientenjahrgänge erst einmal Organisationskomitees. Die beschäftigen Locationscouts, um möglichst außergewöhnliche Veranstaltungsorte zu finden. Schick soll es sein, jeder Raum wird aufwendig illuminiert, Caterer werden engagiert und natürlich eine Band. Am Ende kosten solche Abschlussbälle schnell 20 000 bis 25 000 Euro.
Auch ohne Essen sollte man rund 15 000 Euro für das Event kalkulieren und der Eintritt mindestens 35 Euro kosten, so raten die Organisatoren in speziellen Foren wie Abitipps und Unicum. Abendkleid oder Anzug ist natürlich absolut nötig. Die Absolventen gehen vor dem großen Auftritt selbstverständlich zum Friseur und zum Stilberater. Und sie bestellen passenden Schmuck und Blumen. Inklusive Kleidung kommen da schnell mehrere Hundert Euro pro Abiturientenfamilie zusammen.
Trotzdem soll der Planungsstress neben dem Prüfungsstress nicht zu groß werden. Abitur schreibt man ja auch noch. Deshalb gibt es in Großstädten auch Eventagenturen, die sich auf die Organisation solcher Feiern spezialisiert haben. Die organisieren für die Abschlussklassen auf Wunsch alles, so wie die Agentur Abidreams, die Münchener Abiturienten den „perfekten Abend“verspricht und natürlich ein außergewöhnliches Erlebnis. Sie organisiert selbst Luxusfeiern in „ehrwürdigen Gemäuern“, mit Shuttleservice für die Feiernden. Die Versicherung für spätere Partyschäden und ein Online-Ticketsystem sind inklusive.
Der Schulabschluss ist das wichtigste Symbol für das Erwachsenwerden. Daran lässt sich auch am einfachsten erklären, warum Menschen solche Ereignisse so gern feiern: Soziologen sprechen von einem menschlichen Grundbedürfnis, Lebenswenden zu zeigen. Weil jede dieser Wenden immer auch Unsicherheit bringt – wie geht es weiter? –, feiern Menschen das Ende einer Lebensphase gemeinsam. Das gibt moralische Unterstützung und Orientierung. Denn durch das Feiern bestätigen Menschen ihre Gemeinschaft. Rituale sind dabei dafür da, dass sich alle sicherer fühlen.
Über Tausende von Jahren haben solche Rituale am Übergang von einer Lebensphase zur nächsten den Menschen gegen die Unsicherheit des Übergangs geholfen. Rituale stabilisieren Menschen in solchen Momenten psychisch und integrieren sie sozial. Besonders bei Lebenswenden brauchen und pflegen die Deutschen deshalb ihre Feiern. Sogar die Hirnforschung kann zeigen, dass Rituale eine tiefere Bedeutung haben: Wenn wir ganz bewusst handeln und dabei vorher festgelegten Prozessen folgen, dann ist auch der Stress kleiner, erklärt Neurobiologe und Buchautor Gerald Hüther.
Nun ist es im Vergleich zu früheren Zeiten so, dass es viele traditionelle Formen des Zusammenhalts in modernen Gesellschaften nicht mehr gibt. Zum Beispiel den Familienbund über mehrere
Generationen. Vor allem aber die Religion, die bis jetzt für viele festgelegte Feiern den Anlass gab. Genau deshalb überrascht es Soziologen nicht, dass es überall neue Feierrituale gibt. Mit denen versuchen die Menschen, wieder mehr Zusammenhalt zu erreichen.
Der Soziologe Hitzler sieht es so: Gerade die modernen Trends der Säkularisierung, Pluralisierung, Optionalisierung und Individualisierung lassen besonders erwarten, „dass wir alle vielfältige Ideen zur originellen Gestaltung unseres Lebens entwickeln. Dem ist aber nicht so. Vor allem wohl deshalb, weil Individualität und Originalität anstrengende Ambitionen sind.“Viel einfacher und auch ökonomischer ist es, mit kleinen Variationen von Ideen anderer Menschen Individualität und Originalität zu erreichen.
Das heißt: Die Deutschen feiern wie früher, nur ein bisschen anders. Sie zelebrieren nicht mehr die kirchliche Taufe, sondern mit „Babyshower“oder „Babybier“die Geburt ihrer Kinder. Die oft wenig feierliche standesamtliche Hochzeit wird kombiniert mit einem teuren Junggesellenabschied, zu dem man mit Freunden nach Amsterdam, London oder Mallorca reist und es sich oft mehrere Tage im kollektiven Rausch gutgehen lässt. Und mancher feiert nicht nur den Anfang seiner Ehe ganz groß, sondern auch deren Ende – wenn das Ende für ihn positiv ist. Inzwischen werden Scheidungspartys ähnlich aufwendig zelebriert wie die vorherige Hochzeit: inklusive Scheidungstorte, Fotograf und Wahrsager, der eine fantastische Prognose liefern soll. Möglichst tröstet er auch gleich darüber hinweg, dass so eine Feier am Ende mehrere Tausend Euro kosten kann. Auch für dieses Event finden sich Organisationsprofis, die die „Traumscheidung“inszenieren. Eine Agentur heißt sogar so.
Warum aber machen die Deutschen diese Feiern immer öfter zu professionell organisierten Großereignissen? Es soll ein besonderer Tag werden, schon klar. Aber das ist nicht der wahre Grund, weiß Gesellschaftsforscher Hitzler: Gerade weil die Menschen den Konsens über die Bedeutung solcher Rituale verloren haben, brauchen sie den Aufwand, findet er. „Wenn sich allerdings alle nur noch selbst feiern, brauchen wir auch kaum etwas notwendiger als Gäste, die noch mitfeiern. Und Publikum, das dabei zuschaut.“Je mehr, desto besser.
Feiern ist auch ein Versuch, die Aufmerksamkeit anderer zu bekommen. Das funktioniert nach dem „Celebrity“-Prinzip: Die Schönen, Reichen und Berühmten zeigen, wie man Aufmerksamkeit bekommt. Über deren Exzesse berichtet ja täglich die Klatschpresse genug.
Wichtig ist aber auch das Wir-Gefühl, diagnostiziert Cornelia Kelber vom Zukunftsinstitut. Sie sieht diesen Trend: Gerade der Gruppe der „Neo-Hippies“, wie sie sie nennt, ist es wieder wichtiger, die Zeit in Gemeinschaft zu verbringen. Deshalb laden sie nicht mehr nur Großeltern, Eltern und Paten ein, wenn das Kind seinen Schulbeginn feiert. Sondern
auch Spielfreunde, Nachbarn und Bekannte, die sie nicht einmal besonders gut kennen. Die Hauseinweihung findet nicht mehr im Kreis der Umzugshelfer und engsten Freunde statt. Eingeladen werden möglichst viele Menschen, auch wenn sie noch keine engen Freunde sind.
Dabei widersprechen sich einerseits die immer stärkere Individualisierung und Ich-Bezogenheit und andererseits der starke Wunsch nach Gemeinschaft gar nicht, finden Soziologen und Trendforscher: Die Individualisierung ist ja erst dadurch möglich, dass Menschen sich in der Gruppe bewegen, aber in ihr zeigen wollen, wie besonders sie sind.
Das merken sie immer deutlicher, sagen Eventplaner. Denn gerade in der Art, wie die Deutschen inzwischen ihre Feste inszenieren, zeigen sie viel von sich selbst. Am besten sieht man das bei den Hochzeitsfeiern, erzählt Eventmanagerin Nikola Stiefelhagen, die Vorsitzende des Bunds deutscher Hochzeitsplaner: „Früher lud man ganz klassisch Familie und Freunde ein. Heute wird nicht nur immer größer gefeiert, sondern auch immer persönlicher. Die Paare wollen sich individuell ausdrücken und zeigen, wer sie sind.“
Dafür suchen sie für ihre Feier „den roten Faden“. So nennen Hochzeitsplaner das. Manche wählen eine Farbe, die sich durch Karten, Blumen und Hochzeitskleidung zieht. Andere dekorieren alles mit einem persönlichen Monogramm. Wieder andere feiern gleich eine Mottoparty, das Vintage Wedding inklusive Oldtimer oder die Rockabilly-Hochzeit.
Eventmanagerin Stiefelhagen hat alles schon erlebt. Die Gastgeber zeigen ja auch eine besondere Wertschätzung gegenüber ihren Gästen, wenn sie sich an diesem Tag viel Mühe geben, findet sie. Das Event lassen sich ihre Kunden öfter 30 000 Euro oder mehr kosten. Unter 10 000 Euro muss man bei einer professionell inszenierten Hochzeit mit mehr als 30 Gästen gar nicht mehr anfangen.
Die Liebe zum Besonderen kommt daher, dass deutsche Paare heute viel später heiraten, sagt die Hochzeitsplanerin – Männer im Durchschnitt mit 34 und Frauen mit 31 Jahren. Außerdem arbeiten oft beide und verdienen ihr eigenes Geld. „Deshalb haben sie auch stärker das Gefühl: Das gönnen wir uns jetzt“, sagt sie.
Andererseits liegt es auch daran, dass alle so viel gesehen haben von der Welt und besser vergleichen können, was ihnen gefällt. Wichtig ist dabei, findet Soziologe Hitzler, dieser Wunsch: Das Event soll „aus der ganzen Flut des Sich-wichtig-Machens hervorstechen“. Damit erklärt der Forscher auch das Bedürfnis, „sich permanent in den sogenannten sozialen Medien zu exhibitionieren“.
Online-Plattformen wie Instagram und Pinterest sind ein wichtiger Grund dafür, dass jeder Feiernde inzwischen
nach dem absolut Originellen sucht. Auf solchen Plattformen zeigen Tausende Nutzer, wie sie selbst gefeiert haben. Wer sich dort inspirieren lässt, hat oft das Gefühl: So ähnlich hätte ich es gern. Aber natürlich trotzdem ganz anders.
Denn aufwendig inszenierte Feiern sind auch Statussymbole, gerade weil sie für ein immer größer werdendes Publikum sind: Seht her, ich kann das bezahlen! Davon lebt inzwischen eine ganze Branche, die Partyplaner und Eventmanager.
Wer keinem Fachmann den Auftrag gibt, hat ganz schnell das Gefühl, dass ihm die Planung zu komplex wird. Das Gefühl, dass am Ende doch nicht alles so perfekt wird, wie es Hochglanzmagazine oder Freunde bei ihren Feiern schon gezeigt haben. Das wäre dann genau das Gegenteil von dem, was man mit so einem Tag will. So sind die Umsätze der Eventbranche in den letzten fünf Jahren um 31 Prozent gestiegen. Inzwischen gibt die Republik mehr als fünf Milliarden Euro jährlich fürs organisierte Feiern aus. Das meiste davon sind Firmenfeiern und Großveranstaltungen. Wie viel die Deutschen für die organisierten Privatfeiern ausgeben, wird leider nicht extra registriert.
Aus Amerika weiß man, dass rund 70 bis 90 Prozent aller Hochzeiten schon von Profis gemanagt werden. Und von dort kommen viele Trends verspätet zu den Deutschen herüber. In Deutschland gibt es inzwischen 7000 Eventfirmen, die auf diesem Markt ihr Geld verdienen. Fragt man die Profiausrichter selbst, so berichten zurzeit viele über sehr volle Auftragsbücher. Und auch davon, dass die Ausgaben pro Fest immer größer werden.
20 Prozent vom Feierbudget ist den Organisatoren die Hilfe der Profis wert oder 50 bis 150 Euro pro Stunde. Das lohnt sich oft trotzdem, weil die Profis bei den Dienstleistern meistens bessere Preise bekommen als Privatleute. Und so mancher, der seine Hochzeit professionell hat planen lassen, ist dadurch erst auf den Geschmack gekommen. Dann beschäftigt er einen Profi auch fürs nächste Gartenfest zum runden Geburtstag oder eben für die Einschulung, berichtet Hochzeitsplanerin Stiefelhagen.
Aber gehen manche Gastgeber nicht ein bisschen zu weit, wenn sie für die Einschulungsparty einen Eventplaner engagieren, sich neben Mehrgängemenü am Mittag noch eine Kutschfahrt zum Freizeitpark organisieren lassen und für den Abend noch ein Feuerwerk bestellen? Das bieten viele Partyplaner wirklich für die Feier eines Sechsjährigen an.
Man kann also auch zu aufwendig feiern, warnen Pädagogen und Lehrer. Gerade bei der Einschulung sollten sich Eltern überlegen, ob sie mit extremen Festen nicht auch extreme Erwartungen transportieren. Denn das Kind merkt, wie aufwendig sein großer Tag vorbereitet wird. Es könnte sehr gut sein, dass es sich dadurch auch unter Druck gesetzt fühlt. Weil es meint, dass es nach so einer Feier später auch gute Noten liefern muss.
Der Trend zum Megaevent setzt alle unter Druck, auch die Erwachsenen, sagt Soziologe Hitzler. Und er bringt neue Unsicherheiten: Kommen die Gäste wirklich wegen uns? Oder wollen sie nur mal wieder ein großes Feuerwerk sehen?
Es geht auch anders. Die Leipziger Volkshochschule bietet zum Beispiel Kurse für angehende Ehepaare an: „Heiraten ohne Stress“. Was sie dort lernen, hilft ihnen später bestimmt auch auf Taufen, Jubiläen und anderen Feiern.