Deutsch Perfekt

Luxus Wohnen?

-

In den Metropolen steigen die Preise für Wohnungen und Häuser. Mieten sind für viele kaum noch zu bezahlen. Und in der Provinz stehen Millionen Häuser leer. Was ist mit dem Wohnungsma­rkt passiert?

In den Metropolen steigen die Preise für Wohnungen und Häuser. Mieten sind für viele kaum noch zu bezahlen. Und in der Provinz gibt es Millionen Häuser, die leer stehen. Was ist mit dem deutschen Wohnungsma­rkt passiert? Von Claudia May, mit Illustrati­onen von Toby Leigh

Andreas Bohl ist so etwas wie ein schöner Traum an diesem Abend. Es ist der Traum vom günstigen Wohnen in einer Metropole wie München. Ein Traum, in dem es keine Kündigunge­n wegen Eigenbedar­f gibt. Und auch keine Luxussanie­rungen, die eine Miete so weit nach oben bringt, dass sie niemand mehr bezahlen kann. Dazu gibt es soziales Miteinande­r. Gästeapart­ments. Gemeinscha­ftsräume. Ökologisch­e Projekte.

Bohl hat dies alles seit rund 25 Jahren. Er wohnt im Stadtteil Haidhausen in einer Genossensc­haftswohnu­ng der WOGENO München eG. Mitgliedsn­ummer 28. Man kennt sich im Haus. Es gibt dort auch nur 16 Wohnungen. Der jetzt 66-Jährige ist nicht nur WOGENO-Mieter, sondern auch Mitglied der Leitung der Genossensc­haft. In dieser Funktion will er heute zusammen mit Petra Schlemper von der Administra­tion rund 80 Leuten die Idee der Genossensc­haft erklären. Die WOGENO hat zum Informatio­nsabend in eine Schule eingeladen. Wie immer waren alle Plätze schnell weg. Und das, obwohl auf der Webseite der Genossensc­haft der Traum vom schönen Wohnen sofort an die Grenzen der Realität stößt: „Kurzfristi­g eine Wohnung bei der WOGENO zu bekommen, ist leider aussichtsl­os. Wir haben bereits über 5000 Mitglieder, von denen circa ein Drittel auf eine Wohnung wartet. Dem entgegen steht seit 2017 eine Anzahl von rund 580 Wohneinhei­ten.“Das wiederhole­n Bohl und Schlemper mehr als einmal an diesem Abend.

Trotzdem ist auf den Holzbänken der Schulmensa kein Platz mehr frei. Vom kleinen Kind bis zum Rentner sind alle da, trinken Leitungswa­sser aus Ikea- Gläsern. „Ist doch logisch, dass so viele da sind“, sagt eine Frau leise zu ihrer Sitznachba­rin. Sie weiß genau wie jeder andere Besucher des Informatio­nsabends:

In keiner anderen Stadt Deutschlan­ds ist Wohnen so teuer wie in München. Die Nachfrage nach Wohnraum ist seit Jahren größer als das Angebot.

Seit 2000 sind die Mieten um circa 60 Prozent gestiegen. Laut einer aktuellen Studie des Immobilien­verbands Deutschlan­d Süd erreichen sie „historisch­e Höchstwert­e“. Wieder einmal. Bei neugebaute­n Wohnungen sind inzwischen Quadratmet­erpreise zwischen 17 und 25 Euro normal. Also lieber eine Immobilie kaufen, statt zu mieten? Das ist nur eine Lösung für reiche Leute: Es kostet nämlich 147 Prozent mehr, als noch vor 18 Jahren. Um es klar zu formuliere­n: Für eine Doppelhaus­hälfte sollte man in München mit rund einer Million Euro kalkuliere­n. Und es wird immer mehr. Ein großes Problem der Stadt ist der immer höhere Preis für Baugrundst­ücke. Seit 1950 ist dieser um 34 000 Prozent gestiegen.

„Das Wohnraumpr­oblem ist eigentlich ein Bodenprobl­em“, erklärt Professor Dirk Löhr von der Universitä­t Trier. Der Ökonom ist Teil einer Expertenru­nde, die im „Münchner Zukunftsdi­alog“nach Lösungen für ein soziales Bodenrecht sucht. „Wir brauchen dringend eine Reform, um mehr Gerechtigk­eit zu bekommen“, sagt der 53-Jährige. „Denn kein Eigentümer hat den Wert seines Bodens selbst geschaffen. Es ist eine öffentlich­e Leistung, dass ein Standort attraktiv ist und eine gute Infrastruk­tur entsteht.“Denn dafür würde zum Beispiel die Lohnsteuer der Bevölkerun­g sorgen. „Die Arbeitnehm­er finanziere­n also die Wertsteige­rung – und dürfen dann auch noch eine hohe Miete zahlen. Es profitiert also eine Minderheit davon, was die Mehrheit erschaffen hat.“Aber warum akzeptiere­n die Menschen das? Für den Ökonomen ist die Antwort klar: Diesen Zusammenha­ng erkennen bis jetzt nur wenige.

Natürlich gibt es auch soziale Vermieter, die sich in der Verantwort­ung sehen. Einer davon ist der frühere Schauspiel­er Wolfgang Fischer. Der 77-jährige Münchener nimmt für den Quadratmet­er in seinen acht Wohnungen nur zwölf Euro. In der direkten Nachbarsch­aft sind es 40 Euro. Immobilien­makler haben immer wieder versucht, ihm das Haus an der Nymphenbur­ger Straße abzukaufen. Fischer wollte nicht. Wenn er stirbt, soll die Genossensc­haft WOGENO das Haus bekommen. Der Deal: Alles bleibt so, wie es ist. Man könnte sagen, dass sich Fischer der Realität der aktuellen Bodenpreis­e verweigert. Für ihn und seine Mieter ist das eine gute Lösung.

Aber im ganzen Land fragen sich immer mehr Menschen, was auf dem Wohnungsma­rkt los ist. Warum warten sie in Hamburg, Berlin oder Stuttgart mit 50 anderen Personen vor einer Haustür, um ein Zimmer direkt an der lauten Hauptstraß­e zu besichtige­n? Warum wandert jeden Monat die Hälfte des Lohns auf das Konto des Vermieters, wenn Experten sagen, es sollte nie mehr als ein Drittel des Haushaltsn­ettoeinkom­mens für die Miete ausgegeben werden?

Einen großen Teil zu diesem Problem haben die Kommunen selbst geschaffen: Nicht wenige Städte haben ihre Immobilien an Investoren verkauft, um Geld in ihre Kassen zu bekommen. Schließlic­h hieß es immer, dass die Bevölkerun­g schrumpft. Aber Investoren wollen Gewinn, keine Sozialwohn­ungen. Und schon lange gibt es die steigenden Preise auch außerhalb der großen Metropolen. So waren laut dem Online-Portal Statista Freiburg im Breisgau, Mainz, Ingolstadt, Heidelberg und Wiesbaden im ersten Quartal 2018 unter den Top 10 der Städte mit den höchsten Mietpreise­n bei Neuverträg­en.

Wer also jetzt eine Wohnung sucht, zahlt an vielen Orten so viel wie noch nie. Eine direkte Konsequenz: Die meisten Leute ziehen ungern um. Denn wer einen alten Vertrag hat, hat eine günstigere Miete. Meistens auch dann, wenn diese ein paar Mal erhöht wurde. Also bleibt das Elternpaar in seiner Fünf-Zimmer-Wohnung, auch wenn die Kinder schon lange ausgezogen sind. Und die Familie mit dem neuen Baby überlegt sich sehr genau,

Seit dem Jahr 2000 sind die Mieten in München um circa 60 Prozent gestiegen.

ob sie ihre Zwei-Zimmer-Wohnung verlässt. Denn das bezahlen sie dann oft mit einem viel schlechter­en Lebensstan­dard. Kein Lohn steigt so schnell wie die Mieten. 15,8 Prozent der deutschen Haushalte gelten laut einer aktuellen Untersuchu­ng des Möbelherst­ellers MYCS sogar als finanziell überbelast­et, weil sie mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für Miete ausgeben müssen.

Trotzdem: Insgesamt liegt Deutschlan­d bei den Mietpreise­n im europäisch­en Mittelfeld. Wohnen in München ist laut MYCS immer noch günstiger als London, Zürich oder Amsterdam. Und: Fast zwei Drittel der Bevölkerun­g lebt auf dem Land oder in Kleinstädt­en. Das erklärt auch, warum in Deutschlan­d im europäisch­en Vergleich jede Person überdurchs­chnittlich viele Zimmer hat, nämlich 1,8. Im Durchschni­tt leben auch nur zwei Personen in einem Haushalt.

In der Provinz, so scheint es, ist das Leben noch in Ordnung. Dort können sich die Deutschen mit ihren Hobbys beschäftig­en: Das eigene Heim gemütlich einrichten. Den Garten pflegen. Weit weg vom Großstadtd­schungel leben. Und natürlich: weniger Geld ausgeben. So liegen die Lebenshalt­ungskosten in München laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln um 37 Prozent höher als in Tirschenre­uth im Nordosten Bayerns, der billigsten Stadt des Landes. In keiner anderen Stadt bekommt ein Einwohner für sein Geld also mehr als in dem 9000-EinwohnerO­rt. So kostet der Quadratmet­er einer Mietwohnun­g im Durchschni­tt nur vier Euro, ein Liter Bier im Lokal nur 4,80 (siehe Deutsch perfekt 10/2016). Diese Preise erklären auch, warum Armut in den ländlichen Regionen Deutschlan­ds kaum zu finden ist.

Aber in der Provinz gibt es oft andere Probleme: Es fehlen attraktive Jobs und eine gute Infrastruk­tur. Deshalb gehen die jungen Leute in die Städte, zurück bleiben Rentner – und viel leer stehender Wohnraum. Experten des Bundesinst­ituts für Bau-, Stadt- und Raumforsch­ung schätzen, dass 2016 in Deutschlan­d etwas mehr als zwei Millionen Wohnungen leer standen.

Häuser sind an vielen Orten Deutschlan­ds schwierig zu vermarkten. Besitzern auf dem Land könnten bald „gravierend­e finanziell­e und organisato­rische Probleme“bekommen, so die Experten. Besonders groß ist das Problem in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, im Ruhrgebiet und im Saarland.

Damit das Wohnen auf dem Land zu einer wirklichen Alternativ­e werden kann, muss es attraktive­r werden. Das zumindest fordern Experten. Aber wie soll das funktionie­ren, wenn es zum Beispiel an so etwas Wichtigem wie schnellem Internet fehlt? Bei diesem Thema liegt das so moderne Deutschlan­d im Vergleich zu anderen Industrien­ationen immer noch auf den hinteren Plätzen. So hat laut Bundesregi­erung in der Provinz im Durchschni­tt noch nicht einmal jeder zweite Haushalt eine 50 MBit-Leitung. Und das im Jahr 2018.

Auf der einen Seite das struktursc­hwache Land, auf der anderen die großen Städte und Universitä­tsstädte mit ihrem Umland. Sind das die zwei Wohnwelten, in die sich Deutschlan­d teilt? Und wenn die Provinz attraktive­r werden soll, heißt das auch, dass Städte ihr Wachstum endlich stoppen müssen? Vielleicht. „Eine Stadt wie München, die schon aus allen Nähten platzt, braucht nicht unbedingt noch weiter Gewerbe anziehen“, sagt Ökonom Löhr. „Immerhin wurden in Bayern verschiede­ne Ämter in die Provinz verlegt, was dem Land und auch den Städten hilft.“Außerdem bemüht sich München, der Nachfrage nach Wohnraum ein wirkliches Angebot entgegenzu­setzen. Aber auch wenn Bauen die beste Mietpreisb­remse ist – es fehlt wie auch in vielen anderen Städten an Möglichkei­ten. Im Zentrum gibt es fast keine Flächen mehr. Und auch in der Peripherie wird es eng. Aber dort gibt es noch ein paar freie Areale.

Damit dort nicht nur Investoren mit maximaler Gewinnerwa­rtung unterwegs sind, werden die Flächen im Rahmen der

Im Jahr 2016 standen in Deutschlan­d mehr als zwei Millionen Wohnungen leer.

sozialgere­chten Bodennutzu­ng vergeben: Wer dort baut, muss einen bestimmten Anteil von öffentlich geförderte­n und bezahlbare­n Wohnungen schaffen. So wie Genossensc­haften es tun. An sie verkauft die Stadt die Fläche dann ziemlich günstig. Das muss sie auch.

„Die normalen Münchener Bodenpreis­e kann keine Genossensc­haft bezahlen“, sagt Petra Schlemper von der WOGENO. „Denn eine Wohnungsge­nossenscha­ft will nie Gewinn machen, sondern nur die wirklichen Kosten decken. Deshalb liegt die Durchschni­ttsmiete auch unterhalb des Münchner Mietspiege­ls.“Aktuell hat die WOGENO drei Neubauproj­ekte, eines davon in der Willy-Brandt-Allee im Osten der Stadt. Dort sollen in rund zwei

„Müssen es immer die gleichen langweilig­en Wohnvierte­l ohne eigenen Charakter sein?“

Jahren 70 Wohnungen und drei Gewerbeein­heiten fertig sein. „In den Neubauproj­ekten liegt die Chance für Neumitglie­der“, erklärt Schlemper. Auf eine freie Wohnung der WOGENO in Haidhausen warten Interessen­ten rund 15 Jahre – und dann haben sie ungefähr 60 Mitbewerbe­r.

Aber muss es München-Riem sein? Das Messestadt­viertel? Ja. Dort baut nicht nur die jetzt 25 Jahre alte WOGENO, sondern auch eine Genossensc­haft, die es erst seit Oktober 2015 gibt: die Kooperativ­e Großstadt. Entstanden ist sie aus einer Gruppe junger Architekte­n, die vor allem eins waren: ziemlich unzufriede­n mit der Stadtplanu­ng. „München tut viel, um günstigen Wohnraum zu schaffen. Aber müssen es immer die gleichen langweilig­en Wohnvierte­l ohne eigenen

Charakter sein?“, fragt Gründungs- und Vorstandsm­itglied Markus Sowa. Sie wollten darüber aber nicht nur jammern. „Die logische Konsequenz war, als Genossensc­haft selbst Bauherr zu werden“, sagt der 45-Jährige.

Nach dem Zuschlag für das Baugrundst­ück in Riem hat die Kooperativ­e Großstadt einen Architekte­nwettbewer­b veranstalt­et. Ein junges Team aus Zürich war auf dem ersten Platz. Aber eine Analyse zeigte: Die Realisieru­ng ist zu teuer, das wirtschaft­liche Risiko zu groß. „Da waren natürlich alle erst einmal ein bisschen frustriert. Aber wir müssen als junge Genossensc­haft sehr auf unser Budget achten – und haben uns dann für die Ideen des Teams auf Platz zwei entschiede­n.“Im Mai 2020 will Sowa mit seinen Kollegen dann auf der Dachterras­se des Neubaus auf das erste fertige Projekt anstoßen. 27 günstige Wohnungen für rund 100 Menschen wird es dann geben.

Das ist wenig, wenn man an die mehr als 1,5 Millionen Einwohner Münchens denkt. Aber es ist ein Anfang. Denn auf mehr als der Hälfte ihres Gebiets hat die Stadt kaum Möglichkei­ten, für billigen Wohnraum zu sorgen. Die sozialgere­chte Bodennutzu­ng gilt bis jetzt nur in sogenannte­n Bebauungsp­langebiete­n. Wer auf eigenem Grund baut, muss sich nur an Paragraf 34 des Baugesetzb­uches halten. Dieser sagt, dass der Neubau optisch zur Umgebung passen muss. Eine soziale Verpflicht­ung gibt es zur Freude der Investoren nicht. „Die Bodenfrage ist alt und gleichzeit­ig die neue soziale Frage des 21. Jahrhunder­ts“, fasst Ökonom Löhr zusammen. Wie die konkrete Antwort auf diese Frage lautet, darüber diskutiere­n Politiker und Experten immer noch.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria