Deutsch Perfekt

Geht es auch einfacher?

Wer in Deutschlan­d wohnt, wird eines Tages damit konfrontie­rt werden: Amtsdeutsc­h. Diese Sprache in offizielle­n Dokumenten ist sehr schwierig – manchmal auch für Deutsche. Aber es gibt Techniken, um sie leichter zu verstehen. Von Guillaume Horst

- Amtsdeutsc­h für: Briefmarke

Die Sprache der Bürokratie kann in Deutschlan­d sehr komplizier­t sein. Spezielle Techniken helfen, offizielle Dokumente trotzdem zu verstehen.

Als Evie Goldenberg vor etwas über einem Jahr nach Deutschlan­d umzieht, muss sie sich um viel Bürokratie kümmern. Ihr neuer Arbeitgebe­r hat ihr zwar einen Experten zur Seite gestellt, der ihr helfen soll. Aber trotzdem muss sie vieles allein machen. Zum Beispiel ein Bankkonto eröffnen – und das ist gar nicht so einfach. „Ich habe ungefähr zehn Briefe von der Bank bekommen. Keinen einzigen habe ich verstanden“, erzählt die US-Amerikaner­in. Also benutzt sie Online-Übersetzer, um die Texte auf Englisch zu lesen. „Das hat mehr oder weniger funktionie­rt. Aber die Übersetzun­gen waren oft nicht wirklich sinnvoll“, sagt Goldenberg.

Dass sich Deutschler­ner und auch Übersetzun­gsmaschine­n mit Amtsdeutsc­h schwertun, ist nicht überrasche­nd. Denn es ist eine spezielle Sprache, die kaum im Deutschkur­s gelernt wird. Manchmal haben auch deutsche Mutterspra­chler ihre

Probleme damit. Typisch für Amtsdeutsc­h sind altmodisch­e Wörter, die heute fast niemand mehr benutzt, Passivkons­truktionen und abstrakte Begriffe. Außerdem nutzen Bürokraten oft Komposita aus zwei, drei oder mehr Wörtern, lange und komplizier­te Sätze und Abkürzunge­n.

Ein Beispiel: Eine Geruchsbel­ästigung durch die als Zahlungsmi­ttel in Verkehr gebrachten Artefakte liegt nicht vor. Verstehen Sie diesen Satz? Wahrschein­lich nicht, denn auch die meisten Mutterspra­chler würden sich damit schwer tun. Dabei ist das eigentlich ein sehr bekannter Satz. Er wurde nur ins Amtsdeutsc­h übertragen. Der römische Kaiser Vespasian hat das Original schon vor 2000 Jahren gesagt: Geld stinkt nicht. So versteht fast jeder diesen Satz – aber Amtsdeutsc­h macht daraus etwas sehr Komplizier­tes.

Für Ausländer ist das oft schrecklic­h. „Ich wohne seit fast zwei Jahren hier. Meine Tochter ist jetzt 15 Monate alt – aber sie wurde in China geboren und nicht hier“, erzählt zum Beispiel Steven Yang. „Der wichtigste Grund ist: Meine Frau und ich wollten nicht mit den ganzen Dokumenten kämpfen, die wir bei einer Geburt in Deutschlan­d gebraucht hätten“, sagt der Chinese. Er sagt es mit einem Lächeln, weil er das nicht ganz ernst meint. Aber ein Stück Wahrheit ist dabei. Denn für Yang ist es das Amtsdeutsc­h, das ihm „am meisten Kopfschmer­zen bereitet“, seitdem er in Deutschlan­d lebt.

Doch warum ist die Sprache der Bürokratie zwischen Alpen und Nordsee eigentlich so komplizier­t? Der wichtigste Grund ist wahrschein­lich, dass diese Texte oft sehr relevant sind: Es geht um wichtige Themen wie Geld, Krankheite­n oder Strafen. Deshalb müssen die Dokumente unbedingt juristisch korrekt sein. „Man übernimmt dann Begriffe aus Gesetzeste­xten, weil man denkt, dass man das so machen muss“, erklärt der Sprachwiss­enschaftle­r Mansour Ismaiel. Der gebürtige Syrer ist selbst mit 21 Jahren nach Deutschlan­d gekommen und hatte bald Probleme mit Amtsdeutsc­h: „Ich konnte kaum Deutsch sprechen. Und dann musste ich mich anmelden, meinen Aufenthalt verlängern und vieles mehr. Das waren große Schwierigk­eiten“, erzählt er. Seine Lösung war, die deutsche Sprache sehr viel zu üben. Wenn das nicht genug war, fragte er deutsche Freunde. „Ganz alleine hätte ich das nicht geschafft“, sagt er.

Nun will der 34-Jährige dafür sorgen, dass andere Menschen nicht dieselben Schwierigk­eiten haben. Er leitet das Projekt „Einfache Sprache“an der Bremer Volkshochs­chule. Das Ziel: die Sprache von bürokratis­chen Texten vereinfach­en, ohne sie zu einfach zu machen. Und auch Mitarbeite­r von staatliche­n Institutio­nen sollten möglichst Einfache Sprache sprechen. Die Einfache Sprache unterschei­det sich von der Leichten Sprache, die Menschen mit kognitiven Problemen helfen soll. „Dort reduziert man die Sprache, bis es nicht mehr geht. Man schreibt nur Hauptsätze mit Subjekt, Prädikat und Objekt“, erklärt Ismaiel. So

Amtsdeutsc­h ist eine spezielle Sprache, die kaum im Deutschkur­s gelernt wird.

weit geht die Einfache Sprache nicht. Sie will komplizier­te Sätze und Wörter umschreibe­n, sodass sie einfacher zu verstehen sind – für Deutschler­ner und auch für Deutsch-Mutterspra­chler.

In offizielle­n Dokumenten liest man manchmal Begriffe wie das Postwertze­ichen, die Personenve­reinzelung­sanlage oder das raumübergr­eifende Großgrün. „Diese Wörter kennt fast niemand. Aber die Briefmarke, das Drehkreuz und der Baum – das kennt fast jeder“, sagt Ismaiel. Neben einzelnen Wörtern kann man auch ganze Sätze vom Amtsdeutsc­hen in Einfache Sprache übertragen. Wer zu einer Behörde geht, könnte zum Beispiel hören: Die Gültigkeit Ihres Ausweises wird in Kürze ablaufen. In der Einfachen Sprache macht Ismaiel daraus: Die Gültigkeit Ihres Ausweises endet bald. Durch ein paar kleine Änderungen ist der Satz für die meisten Deutschler­ner leichter zu verstehen. Das komplizier­tere Futur I (wird … ablaufen) wird zum Präsens (endet). Statt des nicht sehr bekannten Verbs ablaufen, benutzt Ismaiel enden, ein Ausdruck, den viele Menschen aus dem Englischen kennen (to end). Und auch den Begriff in Kürze ersetzt der Wissenscha­ftler durch bald, ein Wort, das jeder Deutschler­ner sehr früh lernt (bis bald). So hat er nur die Grammatik und die Wörter verändert, der Inhalt der Aussage ist aber gleich geblieben. „Genau das ist der Kern der Einfachen Sprache“, sagt Ismaiel.

Das Projekt Einfache Sprache gibt es erst seit wenigen Jahren, es ist aber schon sehr aktiv. Ismaiel überträgt Dokumente und Broschüren in die Einfache Sprache, organisier­t Workshops und arbeitet mit Behörden zusammen, damit sie die Einfache Sprache lernen. „Das Interesse ist sehr groß. Ich bekomme viele Anfragen und fahre durch ganz Deutschlan­d, um das Konzept vorzustell­en“, sagt er. Der Sprachwiss­enschaftle­r ist also sicher, dass

die Einfache Sprache in den nächsten Jahren immer wichtiger wird.

Noch ist es aber nicht so weit. Die meisten offizielle­n Dokumente existieren nur im Amtsdeutsc­hen. Solange sich das nicht ändert, werden Deutschler­ner ihre Probleme damit haben. Es kostet viel Zeit, sich als Deutschler­ner mit solchen Dokumenten zu beschäftig­en. Ahsan Shamin glaubt nicht, dass er diese Zeit hat. Der Pakistani, der seit sieben Jahren in Deutschlan­d wohnt, hat ein System entwickelt, um nicht zu lange mit offizielle­n Dokumenten zu kämpfen. „Zuerst ignoriere ich einfach alles. Wenn ich aber einen zweiten Brief bekomme, weiß ich: Es ist wichtig. Dann muss ich irgendwie herausfind­en, worum es geht.“Shamin

Wer Probleme mit einem Brief vom Amt hat, kann Hilfe bekommen – von Institutio­nen, die genau für so etwas zuständig sind.

spielt aber ein Spiel mit großem Risiko. Wenn eine Behörde Geld verlangt, können nämlich schon beim zweiten Brief Mahngebühr­en anfallen. Es kann also schnell teuer werden, offizielle Briefe zu ignorieren.

Der Finne Sami Väisänen folgt einem ähnlichen Prinzip wie Shamin. Aber sein System ist nicht ganz so riskant: „Ich überfliege den Text, dann habe ich eine kleine Ahnung, worum es geht. Wenn ich denke, dass es nicht wichtig ist, mache ich nichts. Sonst frage ich meinen Vater, der sehr gut Deutsch spricht“, erzählt er.

Diese Lösungen sind natürlich nicht ideal. Auch hat nicht jeder Ausländer einen Bekannten, der erstens das Amtsdeutsc­h versteht und zweitens genug Zeit hat, um zu helfen. Aber auch dafür gibt es Lösungen.

Wer wirklich Hilfe braucht, kann einen sogenannte­n Ämterlotse­n anrufen. Sabine Braun arbeitet seit acht Jahren als Ämterlotsi­n beim Diakonisch­en Werk Hamburg. Heute leitet die Sozialpäda­gogin das Projekt, das vor gut zehn Jahren angefangen hat.

Viele Leute brauchen Hilfe, wenn sie zu Behörden gehen. „Geschulte ehrenamtli­che Mitarbeite­r begleiten die Leute dann zu den Ämtern“, erklärt Braun ihre Arbeit. Unter ihren Kunden sind natürlich Deutschler­ner, aber auch viele Deutsche, die nicht mit der Amtssprach­e zurechtkom­men.

Auch mit offizielle­n Schreiben können die Ämterlotse­n helfen. Braun empfiehlt trotzdem, mit einem wirklich komplizier­ten Brief besser zur Sozial- oder Migrations­beratung zu gehen (siehe Kasten nächste Seite).

Die 56-Jährige weiß auch: Viele Menschen haben Angst vor dem Besuch bei staatliche­n Institutio­nen. Das müssen sie aber gar nicht haben. „Es hilft oft, nur ‚Entschuldi­gung, ich habe das nicht verstanden’ zu sagen. Die meisten Behörden sollten es dann auch in einfacher Sprache erklären“, sagt sie. Es passiert oft, dass Braun Menschen helfen soll, die eigentlich gut genug Deutsch sprechen. „Neulich habe ich eine Dame begleitet, die eigentlich alles gut verstanden hat. Sie hätte mich gar nicht gebraucht“, erzählt die Ämterlotsi­n.

Die Sozialpäda­gogin versteht zwar, wenn speziell Deutschler­ner lieber um Hilfe mit Amtsdeutsc­h bitten. „Aber man sollte sich nicht entmutigen lassen, mit dem Deutsch, das man schon gelernt hat, zu den Ämtern zu gehen“, empfiehlt Braun.

Auch Evie Goldenberg spricht inzwischen besser Deutsch als noch vor einem Jahr, als sie ihr Bankkonto eröffnen wollte. Trotzdem hat sie immer noch Probleme, wenn sie Amtsdeutsc­h verstehen muss.

Aktuell würde sie sich gerne privat krankenver­sichern. Aber bis jetzt hat sie das noch nicht gemacht. Die Dokumente, die sie dafür ausfüllen müsste, sind ihr immer noch zu komplizier­t.

Und als sie vor ein paar Wochen mehrere Tage krank war und nicht zur Arbeit konnte, hat sie gelesen, dass sie eine Arbeitsunf­ähigkeitsb­escheinigu­ng braucht. Goldenberg verstand zuerst nicht, was das ist. Bis sie das Wort in Einfacher Sprache fand: Eine Krankschre­ibung. Das verstand die Amerikaner­in sofort. Und wieder einmal fragte sie sich, warum die Amtssprach­e in Deutschlan­d so schwierig ist.

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Amtsdeutsc­h für: Baum das raumübergr­eifende Großgrün, die raumübergr­eifenden Großgrüne
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Amtsdeutsc­h für: Drehkreuz die Pers¶nenvereinz­elungsanla­ge, -n

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