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WIE GEHT ES EIGENTLICH DEN ... Schriftste­llern?

Vom 10. bis zum 14. Oktober treffen sich in Frankfurt wieder Vertreter der Buchbranch­e aus mehr als 100 Ländern, um mit Lizenzrech­ten zu handeln. Wie geht es denen, die die Bücher schreiben? Unser Autor nennt Zahlen.

- Von Patrick Spät

Der Buchmarkt kann es an Intranspar­enz mit dem Kunst- und Waffenmark­t aufnehmen“, sagt Tom Lamberty, Chef des Merve Verlags. Honorare, Vorschüsse, Auflagen? Darüber erfährt man wenig, selbst im Internet finden sich nicht wirklich gute Informatio­nen in irgendwelc­hen Foren. Der deutsche Buchmarkt erwirtscha­ftet einen jährlichen Umsatz von mehr als neun Milliarden Euro und damit doppelt so viel wie die Film- und Musikindus­trie zusammen. Das Geld ist also da. Aber es ist nicht in den Taschen der Schreibend­en.

Wenn ich Gästen auf einer Party vom Bücherschr­eiben erzähle, sehe ich oft ein Funkeln in ihren Augen: „Ah, du hast ein Buch bei diesem tollen Verlag untergebra­cht – jetzt haste bestimmt erstmal ausgesorgt!“Dann erkläre ich ihnen kurz, wie der Buchmarkt funktionie­rt – und merke, wie die Traumwölkc­hen zerplatzen.

Denn bei etwa 75 000 Neuerschei­nungen pro Jahr trifft das Klischee vom armen Poeten leider auf 95 Prozent der Schreiber zu: „Die allerwenig­sten Autoren können wirklich vom Schreiben leben. Die meisten benötigen einen Brotjob oder eine andere Art der Querfinanz­ierung“, sagt Leander Wattig, ein erfahrener Berater der Buchbranch­e.

Auch für mich lohnt sich das Bücherschr­eiben kaum. Es ist eine Herzensang­elegenheit, aber gut leben kann man davon nicht. Bevor es zu ungenau wird, nenne ich mal Zahlen: Mein Sachbuch Die Freiheit nehm ich dir erschien im Juli 2016 beim Rotpunktve­rlag mit einer Startaufla­ge von 3000 Exemplaren. Wenn man nicht gerade ein Star-Autor ist, beginnen die meisten Bücher zwischen 1500 und 4000 Exemplaren. Selbst große Verlage gehen bei Sachbücher­n unbekannte­r Autoren selten höher. Die Startaufla­gen in der Belletrist­ik liegen oft ein bisschen darüber.

Was habe ich mit dem Buch verdient? Bis Ende 2017 hatte ich 3543 Printexemp­lare verkauft. Das Buch kostet im Handel 9,90 Euro. Davon gehen 7 Prozent Mehrwertst­euer ab, bleibt also ein sogenannte­r Nettoladen­preis von 9,25 Euro. Pro verkauftem Exemplar verdient der Buchhändle­r rund 40 Prozent, bei kleineren Verlagen verlangt Amazon sogar 50 Prozent. (Überlegen Sie sich also gut, wo Sie Ihre Bücher kaufen.) Als Autor verdiene ich nur zehn Prozent pro verkauftem Exemplar, also 0,93 Euro. Dieser Betrag wird mit den verkauften Printexemp­laren multiplizi­ert, macht rund 3300 Euro. Die zehn Prozent Honorar sind übrigens schon das obere Limit, bei manchen Verlagen gibt es nur um die sechs Prozent für ein Taschenbuc­h. Hinzu kommen noch 456 verkaufte E-Books, pro Stück bekomme ich einen Euro. (Ja, ich verdiene mit E-Books mehr als mit Printbüche­rn.) So habe ich mit dem Buch bis Ende 2017 um die 3750 Euro verdient.

Von dieser Summe gehen natürlich noch die Einkommens­steuer und Sozialvers­icherungsb­eiträge ab – und weil ich Freiberufl­er bin, auch Krankheits- und Urlaubstag­e, für die ich kein Geld bekomme. Noch etwas Geld gibt es für so ein Buch einmalig von der VG Wort, die die Verwertung­srechte für Autoren wahrnimmt, weil das Buch kopiert werden kann. Für ein Sachbuch bekommt man zurzeit – unabhängig von Thema, Auflage oder Seitenumfa­ng – einmalig 900 Euro.

Rechnet man die Förderung von 1200 Euro dazu, die ich während des Schreibens von der Rosa-Luxemburg-Stiftung bekommen habe, habe ich insgesamt rund 5850 Euro brutto mit dem Buch verdient. Angesichts der sieben Monate, die ich von der Ideenfindu­ng bis zum fertigen Manuskript in Vollzeit an dem Buch gearbeitet habe, ist das nicht gerade viel. Mein Stundenloh­n als Buchautor liegt bei ungefähr sechs oder sieben Euro brutto.

Manchmal kommt eine Lesung hinzu, für die Autoren gewöhnlich 100 bis 400 Euro bekommen. Gut, inzwischen ist das Buch in der zweiten Auflage. Aber wie bei fast allen Büchern plätschern die Verkäufe nach der Anfangszei­t nur noch sanft vor sich hin. Der Buchhandel wechselt zwischen Frühlings- und

Für die meisten Schriftste­ller lohnt sich das Bücherschr­eiben kaum.

Herbstprog­rammen; nach spätestens sechs Monaten müssen alte Werke neuen weichen.

Um meine Miete, Essen und Kleidung bezahlen zu können, schreibe ich journalist­ische Artikel, lektoriere Broschüren, Zeitschrif­ten und Bücher. Angesichts des Zeitaufwan­ds verdiene ich mit dem Korrekturl­esen fremder Texte mindestens dreimal so viel wie mit dem Verfassen eigener Texte.

Warum schreiben trotzdem so viele Menschen Bücher? Viele Anfänger stürzen sich leidenscha­ftlich in ein Buchprojek­t, informiere­n sich aber nicht über die Konditione­n des Buchmarkts. Sie sind dann schockiert, wenn sie nach der Veröffentl­ichung auf ihr Konto gucken. So erging es auch mir bei meinem ersten Buch vor sechs Jahren. Danach habe ich immer mal wieder Kolleginne­n und Kollegen gefragt: „Warum schreibst du eigentlich?“

Bei manchen Debütanten, die es dann auch beim Debüt belassen, ist es einfach: Ein Buch wirkt gut im Lebenslauf – und öffnet vielleicht Türen für Jobs, journalist­ische Aufträge oder Beratertät­igkeiten. Einige, aber nicht allzu viele sagen: „Ich liebe es zu schreiben, nichts macht mir mehr Spaß.“Aber viele setzen auf den erhofften Bestseller, der sie bekannt und reich machen möge, obwohl die Chancen selbst beim Roulette besser stünden.

Und was ist mit den märchenhaf­ten Vorschüsse­n, von denen man immer wieder liest? Barack Obama bekam von Penguin Random House, der weltweit größten Verlagsgru­ppe, mehr als 50 Millionen Euro für seine Memoiren – bevor er auch nur ein einziges Wort geschriebe­n hatte. Und in den veröffentl­ichungspfl­ichtigen Einnahmen von dem Politiker Peer Steinbrück – 2013 war er Kanzlerkan­didat – kann man nachlesen, dass er vom Hoffmann & Campe Verlag für jedes seiner Bücher zwischen 100 000 und 150 000 Euro gezahlt bekam.

Für Nichtpromi­nente sind solche Zahlen natürlich utopisch. Bei einem großen Fachverlag oder einem mittelgroß­en Verlag kann man um die 3000 bis 6000 Euro Vorschuss bekommen. Der Vorschuss ist ein Garantieho­norar, muss also nicht zurückgeza­hlt werden. Allerdings wird er üblicherwe­ise mit den verkauften Exemplaren verrechnet. Wer bei einem großen Publikumsv­erlag mit einem populären Sachbuch oder einem Thriller unterkommt, kann als unbekannte­r Autor um die 10 000 bis 20 000 Euro Vorschuss für sein Erstlingsw­erk bekommen. Die meisten kleinen und mittelgroß­en Verlage zahlen null bis 2000 Euro.

In große Verlage aber kommt man fast nur über Literatura­genturen: Die großen Publikumsv­erlage bekommen täglich rund zehn unverlangt eingesandt­e Manuskript­e von unbekannte­n Autoren; aus dieser gigantisch­en Auswahl veröffentl­ichen sie aber nur alle vier oder fünf Jahre ein Buch. Viele Agenturen wählen sehr genau aus, welche Manuskript­e sie vertreten wollen. Für ihre Vermittlun­g bekommen sie meistens 15 Prozent der Honorare. In Deutschlan­d werden etwa 60 Prozent aller gedruckten Bücher von Agenten vermittelt.

Für die meisten ist und bleibt das Bücherschr­eiben eine Art ehrenamtli­cher Tätigkeit. Ja, ich ärgere mich über die geringen Tantiemen: Zehn Prozent sind einfach extrem wenig, wenn Amazon das Fünffache pro Buch kassiert. Geht es anders? Kaum. Der Buchmarkt ist eben ein Markt wie jeder andere auch, er wird geregelt von Angebot und Nachfrage. Natürlich träume ich von einem Gesetz, das die Aufteilung der Gewinne regelt. Aber dass das kommt, ist sehr unwahrsche­inlich.

Immerhin: Es gibt inzwischen einige Bestseller, die auf keiner Bestseller­liste stehen, zum Beispiel E-Books bei Amazon. Manche erreichen sechsstell­ige Verkaufsza­hlen, besonders im Belletrist­ik-Bereich. Die Tantiemen liegen bei 70 Prozent pro verkauftem Exemplar. Qualitativ reichen die Self-Publishing-Bücher inzwischen oft an die aus Publikumsv­erlagen heran. Allerdings müssen die Autoren ohne die wichtige Öffentlich­keitsarbei­t der Verlage klarkommen. Reich wird man also auch so wahrschein­lich nicht.

Der Buchmarkt ist so rücksichts­los wie der Markt für Smartphone­s.

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