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Warum holen denn in Berlin nur Männer den Müll ab? Das wollte die bekannte Soziologin Jutta Allmendinger wissen. Also versuchte sie es einen Tag lang selbst – und war sehr überrascht von ihren Erfahrungen.
Frau Allmendinger, warum haben Sie einen Tag lang bei der Müllabfuhr gearbeitet?
Es gab drei Gründe. Ich wurde Mitglied des Aufsichtsrats der Berliner Stadtreinigung. Ich muss also über Arbeitsbedingungen und Ähnliches entscheiden. Das kann ich ja nur, wenn ich selbst eine Ahnung habe. Deshalb wollte ich einen Tag bei der Müllabfuhr sein.
Und die anderen zwei Gründe?
Ich werde oft auf Frauen in Führungspositionen angesprochen. Es geht aber nie um die Zugänge von Frauen zu physisch oder psychisch belastender Arbeit, wie zum Beispiel bei der Müllabfuhr. Davon wollte ich einen Eindruck bekommen. Und der dritte und wichtigste Grund: Es gab im Aufsichtsrat die Frage, wann endlich Frauen in diesen Beruf kommen. Ich konnte generell mitreden, warum es für Frauen schwierig ist, aber nicht spezifisch. Ich konnte nicht behaupten: Frauen können das. Das wusste ich ja nicht.
Also wollten Sie zeigen, dass sie es können?
Ich dachte mir: Wenn ich als 61-Jährige da mitfahren kann, dann setze ich ein Ausrufezeichen. Davor waren aber auch viele Fragezeichen. Ich war nicht sicher, dass ich es schaffen würde. Ich dachte mir: Oje, wenn ich scheitere, dann habe ich das Gegenteil gezeigt.
Wie war der Tag dann für Sie?
Gut. Ich habe die Tour geschafft. Aber das war für mich bald nicht mehr so wichtig.
Warum nicht?
Viel wichtiger waren die Beobachtungen, die ich gemacht habe. Meine Erfahrungen mit den Mitarbeitern der Müllabfuhr waren nur positiv. Das war eine Feier der Freundlichkeit mir gegenüber – und auch gegenüber den Einwohnern der Stadt. Beeindruckt hat mich auch der Stolz, mit dem diese Leute ihre Arbeit machen.
Sie haben keine Kommentare bekommen wie „Was macht diese Frau denn jetzt hier?“?
Das hatte ich erwartet. Ich dachte, es wird eine echte Mutprobe, zwischen den ganzen Männern zur Arbeit zu laufen. Aber das war völlig falsch. Ich wurde sehr freundlich begrüßt.
Lag das nicht daran, dass die Leute wussten, wer Sie sind?
Nein, das wussten sie nicht. Ich wurde gefragt, ob ich die Neue bin. Viele haben sich gefreut, dass eine Frau mitarbeitet. Ein Arbeiter hat gesagt: „Ach, das ist ja toll, dass du hier bist. Dann kommt bestimmt auch bald mein schwuler Freund rein!“
Warum arbeiten dann nicht mehr Frauen bei der Müllabfuhr?
Diesen Job wollen viele machen – gute Arbeitszeiten, gute Bezahlung. Deshalb gab es nie Stellenanzeigen, sondern die Männer haben ihre Söhne, Freunde und Nachbarn rekrutiert. Heute ändert sich das langsam. Es gibt Ausschreibungen für Frauen und Männer und auch spezielle Kriterien, die man erfüllen muss.
Sie sind also optimistisch, dass in Zukunft auch Frauen diesen Beruf machen werden?
Ja. Es ist zwar ein Job, bei dem man physisch und psychisch fit sein muss. Aber da gibt es auch zwischen Männern große Unterschiede. Allein in meinem Team waren sehr verschiedene Typen. Es könnten also problemlos auch Frauen mitmachen. Die Müllabfuhr muss man zusammen schaffen. Interview: Guillaume Horst