Fliegende Taxis
Statt der S-Bahn ein fliegendes Taxi nehmen? Für die meisten Menschen ist das nicht viel mehr als eine verrückte Idee. Aber die ersten Flugtaxis gibt es schon. Lösen sie bald die Verkehrsprobleme der Metropolen?
Statt der S-Bahn ein fliegendes Taxi nehmen? Für die meisten Menschen ist das nicht viel mehr als eine verrückte Idee. Aber die ersten Flugtaxis gibt es schon. Lösen sie bald die Verkehrsprobleme der Metropolen?
Von Alexander Stirn
Es gibt einen Satz von dem Politiker Edmund Stoiber, der ganz besonders in Erinnerung geblieben ist. „Am Hauptbahnhof starten Sie Ihren Flug“, sagte Bayerns früherer Regierungschef vor vielen Jahren. Gemeint war die Abfahrt des Transrapids, Stoibers Lieblingsprojekt. Die Magnetschwebebahn sollte Passagiere in nur zehn Minuten von der Münchener Innenstadt zum Flughafen bringen. Aber daraus ist nie etwas geworden.
Das könnte sich schon sehr bald ändern. Nur anders, als Stoiber das damals gedacht hat. Autonom fliegende Flugtaxis werben gerade mit einem fantastischen Versprechen: Statt im Stau zu stehen, sollen Stadtmenschen in Zukunft über den Stau fliegen. Und das nicht nur in München, sondern überall dort, wo zu viele Autos auf den Straßen unterwegs sind.
Volocopter 2X
Firma: Volocopter, Bruchsal
Status: Erstflug mit Pilot im April 2016; geplanter Start des Flugbetriebs (am Anfang noch mit Pilot) im Jahr 2022
Sitzplätze: zwei
Prinzip: Mit 18 Propellern, aus denen zusammen ein Rotordurchmesser von neun Metern wird, erinnert der Volocopter an eine zu große Spielzeugdrohne. Das ist er aber nicht. Im September 2017 war das 290 Kilogramm schwere Fluggerät zum ersten Mal autonom in Dubai unterwegs. Zurzeit versucht die Firma, eine Flugtaxi-Lizenz zu bekommen. Ist das die verrückte Idee von ein paar Hobbytüftlern? Der neueste Hype aus dem Silicon Valley? Oder ein interessantes Verkehrskonzept mit einem Geschäftsmodell, das funktionieren könnte?
Der Trend geht zum interessanten Verkehrskonzept – ganz klar. „Wenn Sie mich im vergangenen Sommer gefragt hätten, was ich von Lufttaxis halte, wäre meine Antwort gewesen: Das ist ein riesiger Schmarrn“, sagt Florian Holzapfel, Professor für Flugsystemdynamik an der Technischen Universität (TU) München. Inzwischen sieht er das anders. „Ein saucooles Thema“, findet Holzapfel. Mit seiner Euphorie ist er nicht alleine. Für die fliegenden Kisten, die vor nicht allzu langer Zeit noch belächelt wurden, scheint sich plötzlich jeder zu interessieren – vom Start-up bis zum Luftfahrtkonzern, vom Autohersteller bis zum Taxivermittler, von der Ministerin bis zum Milliardär.
Sie alle werben für Flugtaxis, sie tüfteln, sie investieren. Und sie sehen eine Technik, die wirklich schon weit ist. Gerade werden immer mehr Details zum Geschäftsmodell und zur Infrastruktur klar, die sie braucht. Das ist wichtig, um die Flugtaxis aus der Science-Fiction in die Realität zu holen. Ein Selbstläufer sind die autonomen Fluggeräte trotzdem nicht. Noch müssen sie zeigen, dass sie im Alltag wirklich funktionieren würden. Und sie müssen – das wahrscheinlich größte Problem – um Akzeptanz bei der Bevölkerung werben.
Sicher ist: Die Ingenieure hinter den Taxiprojekten meinen es ernst. „Auch wenn man mitunter den Eindruck bekommen könnte, all das käme aus einem Science-Fiction-Film, so ist es durchaus machbar. Wir müssen es nur machen wollen“, so Jan-Hendrik Boelens, Chefentwickler beim Start-up Volocopter aus Bruchsal (Baden-Württemberg). Wo er mit seinen Kollegen einer Meinung ist: Sie wollen keine Spielzeuge bauen.
Das sieht aber erst einmal anders aus: 18 Elektropropeller, jeder davon 1,8 Meter lang, halten den Volocopter in der Luft – ganz ähnlich wie bei den kleinen Quadro- und Oktokoptern, mit denen Drohnenfans Aufnahmen aus der Luft machen. Statt einer Kamera transportiert der Volocopter eine Kabine für zwei Fluggäste. Gesteuert wird er, indem die Drehzahl einzelner Rotoren geändert wird. Über die Details entscheidet der Bordcomputer. „Wir sagen gerne: Wer ein iPad bedienen kann, kann auch den Volocopter fliegen“, sagt Boelens. Eine Vorstellung, bei der er schmunzeln muss.
Mehr als 600 Tests soll das Fluggerät bestanden haben, seit es im März 2016
Aurora eVTOL
Firma: Aurora Flight Sciences, USA
Status: in Arbeit; erste Testflüge geplant für 2020 in Dallas und Dubai
Sitzplätze: zwei
Prinzip: Räder, Rotoren, Propeller, Tragflächen:
Die Boeing-Tochter Aurora, die davor Drohnen für das Militär gebaut hat, vertraut bei ihrem Flugtaxi auf das volle Programm: Durch seine elektrisch angetriebenen Räder fährt der Zweisitzer zur Startposition. Acht Rotoren bringen ihn in die Höhe. Durch einen Propeller bewegt sich das Taxi dann. Tragflächen halten es beim Reiseflug in der Luft.
zum ersten Mal von einer Wiese in Bruchsal in den Himmel stieg. Den mit Abstand spektakulärsten Testflug konnte der Volocopter letzten September vor der Hochhaus-Skyline von Dubai bestehen. Acht Minuten lang flog das Taxi durch den Abendhimmel – autonom, ohne einen Piloten an Bord oder am Boden. Es war, sagen die Volocopter-Leute, der erste autonome Testbetrieb eines Lufttaxis auf der ganzen Welt, und das auch noch über einem Stadtzentrum. Boelens sagt: „Unser Volocopter fliegt wirklich, bemannt, unbemannt, autonom. Und zwar heute, und nicht in zehn Jahren.“
Ganz so weit ist man bei Airbus noch nicht. Gemeinsam mit Siemens entwickelt der Flugzeugbauer im bayerischen Donauwörth sein eigenes Lufttaxi, einfach City-Airbus genannt. Das Design ist ähnlich wie beim Volocopter – und damit wie bei den Spielzeugdrohnen. Mit einem großen Unterschied: Statt auf 18 kleine Rotoren vertraut der Airbus auf vier große Doppelpropeller. Sie sollen genug Leistung liefern für eine kantige Kabine mit bodenhohen Seitenfenstern und Platz für vier Fluggäste. „Ein Zweisitzer ist nicht genug“, sagt Programmleiter Marius Bebesel. „Erst mit vier Passagieren ergibt sich in unseren Augen eine optimale Lösung für den innerstädtischen Transport und zugleich ein tragfähiges Geschäftsmodell.“Ende des Jahres ist laut Bebesel der Erstflug geplant.
In Weßling bei München drehen sich die Rotoren schon – 36 Stück. Das Startup Lilium, ein Projekt von vier Studenten der TU München, hat eine andere technische Lösung gewählt: Um senkrecht starten zu können, richtet das Lilium-Taxi seine 36 Minipropeller erst einmal nach unten. Während des Flugs werden sie dann nach hinten geschwenkt, sodass sich das Taxi horizontal bewegt. Das Konzept braucht beim Start zwar extrem viel Energie, erlaubt aber einen effizienten und vor allem schnellen Streckenflug – mit bis zu 300 Kilometern pro Stunde. Verglichen mit Volocopter und City-Airbus, die klassischen Taxis oder Bussen für kurze Strecken ähneln, ist Lilium so etwas wie die fliegende S-Bahn.
Lilium
Firma: Lilium, Weßling bei München
Status: Erstflug eines kleinen, ferngesteuerten Prototyps im April 2017; erster Flug mit Fluggast für 2019 geplant
Sitzplätze: fünf
Prinzip: 36 kleine Propeller, die in die Tragflächen integriert sind, bewegen das Lilium-Flugtaxi. Erst sind sie nach unten gerichtet, sodass ein vertikaler Start möglich wird. In der Luft sind sie dann nach hinten gerichtet. Dadurch fliegt das zehn Meter breite Fluggerät bis zu 300 Kilometer pro Stunde schnell. Im Jahr 2025, so der aktuelle Plan, sollen die ersten Lilium-Flüge zu buchen sein. So sehen es auch die Entwickler: „Nach einem stressigen Tag die Stadt zu verlassen, wird alsbald zu einem prickelnden Erlebnis“, wirbt die Firma auf ihrer Webseite. Wie prickelnd? Beim Erstflug eines kleinen, ferngesteuerten Prototyps, dessen Video Lilium im April 2017 publizierte, haben die Ingenieure die flugtechnisch kritischen Situationen ausgespart – den Wechsel in den Streckenflug und den Beginn der Landung.
Egal, wirklich technisch schwierig ist ohnehin etwas anderes: die Batterie, genauer gesagt ihre Leistung und ihr Gewicht. Die chinesische Firma Ehang hat schon sehr früh an Lufttaxis gearbeitet und wollte eigentlich schon 2016 erste kommerzielle Flüge anbieten. Aber auch sie erreicht bei ihrem Einsitzer namens „184“nur eine Flugzeit von 24 Minuten. Dann muss die Drohne wieder ans Stromnetz. Der Volocopter ist mit 27 Minuten nicht viel besser. Maximal schafft er eine Strecke von 27 Kilometern. Das ist nicht
einmal weit genug, um vom Münchener Hauptbahnhof zum Flughafen zu kommen. Außerdem dürfen die beiden Passagiere inklusive Gepäck nicht mehr als 160 Kilogramm wiegen. Sieht so ein Verkehrsmittel aus, das im Alltag funktioniert?
TU-Ingenieur Holzapfel vertraut darauf, dass diese Probleme gelöst sein werden – durch Fortschritte bei der Batterietechnologie. „Gerade im Automobilbereich passieren derzeit so viele Dinge, die uns auch in der Luftfahrt stark helfen“, sagt Holzapfel. Jan-Hendrik Boelens, der Chefentwickler von Volocopter, ist vorsichtiger: „Ich rechne nicht mit märchenhaften Sprüngen bei den Batterien, das wird alles lange dauern.“Helfen könnten den Flugtaxis die schnellen Fortschritte beim autonomen Fahren. Dies aber gar nicht so sehr durch die Algorithmen, sondern durch robuste Computer, sichere Kommunikationswege und schnelle Navigationssysteme. „Plötzlich stehen uns Komponenten zu einem Preis zur Verfügung, der viel niedriger liegt als noch vor fünf oder sechs Jahren“, sagt Holzapfel.
Die Einsparungen sollen den Flugpreis günstiger machen, alles andere wäre fatal: „Wir müssen sicherstellen, dass sich so viele Menschen wie möglich diese neue Art des Transports leisten können, andernfalls werden Flugtaxis in der Öffentlichkeit schnell als Spielzeug für Reiche abgestempelt – und nicht akzeptiert“, sagt Airbus-Manager Bebesel. Bei Lilium sprechen sie dafür schon über konkrete Zahlen. Die Weßlinger Firma erwartet, dass der Flug vom New Yorker Flughafen John F. Kennedy nach Manhattan – Distanz knapp 20 Kilometer – am Anfang 36 Dollar (31 Euro) kosten wird. Nach ein paar Jahren soll der Preis auf nur noch sechs Dollar (fünf Euro) sinken. Konventionelle Taxis, die 55 statt fünf Minuten unterwegs sind, nehmen derzeit zwischen 56 und 73 Dollar (48 bis 63 Euro). Auch der Taxivermittler Uber, der seinen Service auch in der Luft anbieten möchte, ist sicher, dass die Betriebskosten eines Lufttaxis unter dem Streckenpreis eines fahrenden Taxis liegen werden.
Sind die Erwartungen realistisch? Oder nur Propaganda für die Investoren? Klar ist: Mit ein paar Lufttaxis sind solche Preise nicht zu erreichen. Nur durch den Massenmarkt sinken die Kosten. Er könnte schneller kommen als gedacht. Analysten der Beratungsfirma Porsche Consulting erwarten, dass bis zum Jahr 2035 weltweit etwa 23000 Lufttaxis unterwegs sein werden. Mehr als 30 Milliarden Dollar (26 Milliarden Euro) Umsatz können damit gemacht werden, glauben die Berater. Florian Holzapfel geht noch weiter: Er erwartet „bis 2030 mehrere Hundert Milliarden Dollar“.
Ein paar Heliports auf dem Dach des Hauptbahnhofs oder eine „geeignete Fläche“, wie von Münchener Politikern für das neue Bahnhofsgebäude vorgeschlagen, werden für die großen Pläne nicht genug sein. Die Volocopter-Ingenieure denken ohnehin größer, viel größer. Im Zentrum ihres Konzepts stehen sogenannte Voloports – eigentlich Seilbahnstationen, nur ohne Seil: Flugtaxis landen auf einer Plattform, von der sie sofort auf einem Fließband ins Stationsgebäude gebracht werden. So kann direkt das nächste Taxi landen. Im Gebäude steigen die Passagiere aus. Roboter wechseln leere Batterien. Neue Fluggäste steigen ins Taxi. Auf
City-Airbus
Firma: Airbus Helicopters, Donauwörth
Status: in Arbeit, Erstflug eines Prototyps ohne Fluggäste geplant für Ende 2018
Sitzplätze: vier
Prinzip: Auch der City-Airbus sieht ähnlich wie eine Spielzeugdrohne aus. Mit seinen acht großen Elektropropellern, jeder davon 130 PS stark, fliegt er bis zu 120 Kilometer pro Stunde schnell. Viel länger als 15 Minuten kann der City-Airbus zurzeit aber nicht fliegen, dann muss er wieder an die Steckdose. Spätestens 2025 soll der Viersitzer zu buchen sein.
der anderen Seite der Station starten die Drohnen schließlich wieder – auch im Sekundentakt. Bis zu 10 000 Passagiere pro Tag könnte jeder Voloport so abfertigen, sagen die Entwickler.
Manchen Stadtmenschen, besonders wenn sie neben einem potenziellen Voloport wohnen, dürften schon beim Gedanken an täglich 5000 Starts und Landungen schlaflose Nächte haben. Marius Bebesel sieht das Problem. Der Airbus-Ingenieur sagt: „Sobald wir Krach machen, wird uns niemand akzeptieren.“Niemandem würde es gefallen, wenn alle paar Minuten ein lauter Helikopter neben dem Küchenfenster landen würde. Wenn die Flugtaxibauer eines auf gar keinen Fall wollen, dann zusätzlichen Lärm in den ohnehin schon lauten Städten machen.
Aber geht es ganz ohne Krach? Sicher ist: Von den lauten Helikoptern sind Taxidrohnen weit entfernt. Der meiste Lärm entsteht an den Spitzen der Rotorblätter. Während die sich bei klassischen Helikoptern mit 750 Kilometern pro Stunde bewegen, sind es beim City-Airbus nur 430 Kilometer pro Stunde. Das macht einen leiseren Betrieb möglich. Und die Volocopter-Konstrukteure versprechen: Ihr Flugtaxi soll sich ab einer Flughöhe von 100 Metern nicht mehr vom normalen Stadtlärm unterscheiden – und so unbemerkt bleiben.
Es darf nur nicht abstürzen. „Mit einer schlechten Sicherheitsbilanz werden wir niemals auf einen grünen Zweig kommen“, sagt Boelens. Alle wichtigen Komponenten an Bord der Flugtaxis sind deshalb mehrmals da. Der Volocopter nutzt zum Beispiel neun voneinander unabhängige Batteriesysteme, um die 18 Elektrorotoren zu bewegen. Fällt ein Akku aus, bringen die restlichen Energiespeicher das Taxi noch immer ans Ziel. Und wenn doch einmal nichts mehr geht, ist als letzter Ausweg ein Rettungssystem an Bord – ein Fallschirm, wie er heute schon bei Kleinstflugzeugen genutzt wird.
Hilfe kommt auch von ganz anderer Seite: Jahrelang hat es die europäische Flugsicherheitsbehörde verpasst, Regeln für unbemannte autonome Drohnen aufzustellen. Nun werden sehr schnell
Ehang 184
Beijing Yi-Hang Creation Science & Technology, China
Status: erster Flug angeblich 2015
Sitzplätze: einer
Prinzip: Acht Propeller in Bodennähe rund um die Kabine sollen das chinesische Flugtaxi in die Höhe bringen. Als das Anfang 2016 in Las Vegas vorgestellt wurde, wurde das Modell 184 von vielen bewundert. Heute ist es ruhiger geworden um das komplett autonom fliegende Gerät, das angeblich schon 1000 Testflüge absolviert hat – der Hersteller sagt, auch bei Taifun-Windstärken. neue Regeln aufgestellt. Die können gleich für Flugtaxis und deren sicheren Betrieb genutzt werden. Die fliegenden Transporter – da kein Pilot mehr an Bord ist – sind nämlich auch nur große autonome Drohnen. Für die Sicherheit der Passagiere können andererseits Regeln von heutigen Kleinflugzeugen genutzt werden. Das alles wird den Genehmigungsprozess wahrscheinlich deutlich schneller machen.
Trotzdem ist das alles nur Theorie. Es fehlen die nötige Erfahrung und große Versuche. Neben anderen Städten haben sich deshalb Hamburg und Ingolstadt bei der Europäischen Union als Testregionen für Flugtaxis beworben. „Man muss dort ja nicht gleich über den dicht besiedelten Innenstädten loslegen“, sagt Holzapfel. „Repräsentativen und realitätsnahen Verkehr kann man auch über einem Wald erproben.“Wichtiger findet der Professor, Erfahrungen zu sammeln, Skeptiker zu überzeugen.
Die Bevölkerung müsste die Flugtaxis auf jeden Fall akzeptieren. Sonst könnte die Geschichte so ähnlich enden wie die des Transrapids. Der fährt heute als trostlose Touristenattraktion durch Shanghai.
Dies ist eine einfachere Version eines Texts aus der
Süddeutschen Zeitung.