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Vor 100 Jahren: die erste Republik

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Am 9. November 1918 ruft Philipp Scheideman­n in Berlin die Republik aus.

Es ist der Beginn der ersten deutschen Demokratie. Aber schon 1933 wird die Weimarer Republik

zu Ende sein – und Adolf Hitler an die Regierung kommen.

Am 9. November 1918 sitzt Philipp Scheideman­n im Berliner Reichstag beim Mittagesse­n. Während der Fraktionsc­hef der Sozialdemo­kraten seine Suppe löffelt, kommen vor dem Parlament immer mehr Menschen zusammen. Sie fordern einen Generalstr­eik und das Ende der Monarchie. Als Kollegen berichten, dass die Atmosphäre immer aggressive­r wird, sieht Scheideman­n nur noch eine Lösung. Er steht auf – zwischen Suppe und Dessert, wird er später erzählen –, tritt auf einen Balkon und spricht zu den Menschen auf der Straße.

„Wir haben auf der ganzen Linie gesiegt, das Alte ist nicht mehr“, beginnt Scheideman­n seine Rede, die er mit den Worten beendet: „Es lebe die deutsche Republik.“Wenige Stunden vorher hatte der Kanzler Max von Baden die Abdankung von Kaiser Wilhelm II. verkündet – allerdings gegen dessen Willen.

Die Ausrufung der Republik durch Scheideman­n ist ein erster Höhepunkt der Proteste, die im Herbst 1918 in kurzer Zeit fast im ganzen Land mehr werden. Und das, obwohl die Sozialdemo­kraten eigentlich gar keine Revolution wollen. Vor allem Parteichef Friedrich Ebert ist dagegen. Aber am 9. November will Scheideman­n vor allem eines verhindern: dass die noch weiter links stehenden Revolution­äre um Karl Liebknecht vom Spartakusb­und die Macht übernehmen. Kurz nach Scheideman­n ruft Liebknecht die „sozialisti­sche Republik“aus.

Die politische Situation im Herbst 1918 ist sehr komplex – und sehr

angespannt. Zu dieser Zeit ist das Deutsche Reich noch eine Monarchie. Es gibt zwar Parteien und ein Parlament, Männer dürfen wählen – aber die Macht hat Wilhelm II. Und diese will der Monarch im Oktober 1918, in der Endphase des Ersten Weltkriegs, ein letztes Mal nutzen. Obwohl schon lange sicher ist, dass Deutschlan­d den Krieg verloren hat und Diplomaten schon seit Langem über den Frieden verhandeln, will Wilhelm eine letzte Offensive der Marine. Aber die Matrosen in Kiel verweigern den Befehl. Mit dem sogenannte­n Matrosenau­fstand beginnen die Proteste, die schnell im ganzen Land mehr werden. Vor allem in den Städten gehen die Menschen auf die Straßen.

Die Wochen im Herbst 1918 werden zum Kampf um die Zukunft des Landes. Im Zentrum steht die Frage: Ist eine Revolution nötig, oder sind Reformen genug? Über diese Frage zerstreite­n sich die Sozialdemo­kraten – und aus der Sozialdemo­kratischen Partei Deutschlan­ds (SPD) werden zwei Parteien. Ein Teil von ihnen will die Revolution; aus dieser Gruppe wird schließlic­h der Spartakusb­und werden. Der größte Teil der SPD aber will keine Revolution, sondern Reformen: Das Parlament soll mehr Macht bekommen, Frauen wählen dürfen. Diesen Forderunge­n stimmt der Kaiser – unter Druck – schon im Oktober zu. Aus der Perspektiv­e der sogenannte­n Mehrheitss­ozialdemok­raten ist also das Wichtigste schon erreicht. Eine sozialisti­sche Revolution wollen sie stoppen. Deshalb beeilt sich Scheideman­n, vor Liebknecht die Republik auszurufen.

In den Wochen und Monaten nach dem 9. November gehen die Proteste in vielen Teilen des Landes weiter. Nach der Revolution gibt es Gegenrevol­utionen in vielen Städten, immer neue Putschvers­uche, immer neue Gewalt. Extremiste­n von rechts und links sind gegen die neue Staatsform.

Trotzdem starten viele Menschen mit großen Hoffnungen in den neuen demokratis­chen Staat. Im Januar 1919 wird die Nationalve­rsammlung gewählt. Dieses Parlament trifft sich von Februar bis Mai 1919 in Weimar, um eine Verfassung zu beschließe­n. Der Ort in Thüringen wird gewählt, um den Protesten in der Hauptstadt Berlin zu entgehen; deshalb bekommt diese politische Epoche später den Namen Weimarer Republik. Es ist der Beginn der ersten deutschen parlamenta­rischen Demokratie.

Aber die Republik hat von Anfang an schlechte Chancen. Zwar setzen die Sozialdemo­kraten wichtige Reformen durch. 1919 dürfen zum ersten Mal Frauen wählen. Bald einigen sich Arbeitgebe­r und Gewerkscha­ften auf die Einführung des Achtstunde­ntags, außerdem wird eine Arbeitslos­enversiche­rung eingeführt. Die Weimarer Republik ist auch der Beginn des modernen Sozialstaa­tes.

Aber die Probleme im Land sind zu groß. Die meisten Deutschen sind sehr ärgerlich über die Bedingunge­n für den Frieden, welche die Alliierten Deutschlan­d im Frühling 1919 im Versailler Vertrag gestellt haben: Darin steht, dass Deutschlan­d alleine schuld ist am Krieg. Es muss hohe Reparation­en leisten, darunter viel Geld, Kohle, Holz und andere Dinge. In den Jahren nach dem Ende des Kriegs ist die wirtschaft­liche Not im Land sehr groß. Die Banken drucken immer mehr Geld, sodass die Inflation bald absurd steigt. Hunderttau­sende Deutsche verlieren alles, was sie gespart haben. In der zweiten Hälfte der 20er-Jahre stabilisie­rt sich die Situation zwar. Aber mit der Weltwirtsc­haftskrise 1929 ist damit schon wieder Schluss. In kurzer Zeit verlieren Hunderttau­sende ihre Arbeit.

Die Politik ist der permanente­n Krise nicht gewachsen. Die junge Demokratie ist von Anfang an instabil. Immer wieder löst der Reichspräs­ident das Parlament auf und lässt neu wählen. Mit den Jahren wird die Atmosphäre im Land immer radikaler. Das hilft vor allem einem: Adolf Hitler. Seine Nationalso­zialisten werden mit jeder Wahl stärker. Am 30. Januar 1933 wird Hitler Reichskanz­ler.

Mit diesem Tag ist die erste deutsche Demokratie Geschichte. Barbara Kerbel

Die Republik hat schlechte

Chancen – die Probleme im Land sind zu groß.

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