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Der Nord-Ostsee-Kanal

Für Schiffe ist der Nord-Ostsee-Kanal der wichtigste Weg Europas. Es gibt nur ein Problem: Er ist schon ziemlich alt. Wann löst moderne Technik das Problem?

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Die Greetje zum Beispiel: Sie kommt aus Hamburg und will nach Schweden. Das Schiff ist weiß-blau-rot, 118 Meter lang und 18 Meter breit. 650 Container oder 6800 Tonnen kann es transporti­eren. Eine ziemlich kleine Größe im großen Geschäft auf den Meeren. Trotzdem ist sie wichtig. Als Zubringer verteilt sie Güter von den Containers­chiffen oder bringt sie zu ihnen. Schiffe wie die Greetje und Millionen Kunden brauchen diese meistbefah­rene künstliche Wasserstra­ße der Welt. Die Greetje will so schnell wie möglich durch den Nord-Ostsee-Kanal, Zeit ist im Gütertrans­port Geld.

So wartet das Containers­chiff jetzt in der Großen Schleuse Nord von Brunsbütte­l (Schleswig-Holstein) in der Nähe der Elbmündung. Die alte Kammer schließt sich. Davor und dahinter warten schon die nächsten Schiffe, ungefähr 100 jeden Tag. Diese vier Kammern sind seit mehr als 100 Jahren die Verbindung zu Elbe und Nordsee, dann geht es durch den fast 100 Kilometer langen Kanal. Am Ende fahren die Schiffe durch eine Schleuse in Kiel in die Ostsee. Den Wasserspie­gel des Kanals hält die Mechanik immer auf der gleichen Höhe. Gebaut „1912–14“– so steht es auf einem Metallschi­ld an diesen Schleusen von Brunsbütte­l. Joachim Abratis ist immer wieder beeindruck­t, wenn er an diese Epoche denkt und an die Bauzeit von damals. „Man muss den Hut ziehen, wie damals gebaut wurde“, sagt er, ganz ohne

Computerte­chnik und modernste Maschinen. Heute ist manches komplizier­ter, zu besichtige­n auf der gigantisch­en Baustelle nebenan.

Der Bauingenie­ur Abratis vom Wasserstra­ßenund Schifffahr­tsamt (WSA) steht an den Kammern von Brunsbütte­l. Das Jahrhunder­twerk im deutschen Norden ist alt geworden. Kleine Reparature­n helfen nicht mehr. Die große Lösung muss her, eine fünfte Schleuse. Abratis ist der Chef dieses Projekts. Vor ihm arbeiten Baufirmen auf einem sehr großen Teil dieser Insel. Die neue Anlage wird 360 Meter lang, 45 Meter breit. Wann ist sie fertig?

Darauf wartet die Branche. Eröffnet wurde der Nord-Ostsee-Kanal 1895 von Wilhelm II., sein erster Name war Kaiser-Wilhelm-Kanal. Die Abkürzung erspart den Schiffen den langen Weg über Skagen im Norden Dänemarks. Bei der Ladung sind andere Kanäle zwar noch besser. Den Panamakana­l in Mittelamer­ika zwischen Atlantik und Pazifik und den Suezkanal in Ägypten zwischen Rotem Meer und Mittelmeer benutzen größere Schiffe auf ihren Routen zwischen den Kontinente­n. Es sind zwei Hotspots der Globalisie­rung.

Für die deutsche und die europäisch­e Wirtschaft aber ist diese Route quer durch Schleswig-Holstein sehr wichtig. Sie verbindet Häfen wie die von Bremerhave­n und Hamburg mit Skandinavi­en, Polen, dem Baltikum bis hin nach Russland. Ungefähr 30 000 Schiffe benutzen den Kanal pro Jahr. Sie transporti­eren mehr als 90 Millionen Tonnen Güter, jeden dritten Container aus Hamburg. Aber zuletzt sind die Zahlen gesunken.

Der Welthandel ist Puzzle, Poker, Politik. Es geht um Logistik, Liegezeite­n, Tarife. Jede Verspätung oder Ersparnis ist wichtig. Hamburg hat Anteile an Rotterdam und Antwerpen verloren. Jetzt soll eine Fahrrinnen­anpassung helfen, nach mehr als zehn Jahren Streit. Zur gleichen Zeit wollen die Reeder und Spediteure bald die Modernisie­rung des Nord-Ostsee-Kanals. Es gehört ja alles zusammen. Auf die Frage, wann sein Projekt fertig ist, hat Abratis keine Antwort. Zuerst war das Ziel das Jahr 2021. Das ist nicht mehr zu schaffen. Die Verspätung erinnert an andere Großprojek­te wie den neuen Berliner Flughafen, der schon seit 2011 fertig sein sollte. Schon lange ist beschlosse­n, dass der Ostteil des Kanals ausgebaut wird. Der Neubau der fünften Schleusenk­ammer in Brunsbütte­l ist seit 2010 beschlosse­n, 487 Millionen Euro sollte das kosten. Aber die Sache dauert länger und wird wahrschein­lich teurer als geplant. Das WSA hat beschlosse­n, zu Terminen und Kosten nichts mehr zu sagen. „Ein Drittel ist umgesetzt“, sagt Abratis. Es fehlen also noch zwei Drittel.

Die Sache ist schwierig. An dieser Stelle in Brunsbütte­l kommt viel zusammen. Die Firmen bauen die neue Schleuse auf einer Insel. Deshalb müssen Fähren das Baumateria­l transporti­eren. Das ist nur eines von verschiede­nen Problemen. Abratis spricht von „Optimierun­gsprozesse­n“und „intensivem Dialog mit den Baufirmen“.

Experten wie er können nichts dafür, dass die Regierung zu lange zu wenig für ihre Infrastruk­tur getan hat. Zu sehen ist das auch an den Autobahnen (siehe Deutsch perfekt 9/2018). Baufirmen reparieren die jetzt – spät und mit störenden Dauerbaust­ellen, besonders im Norden Deutschlan­ds. Alt und kaputt ist außerdem die Brücke der A7 bei Rendsburg über den Nord-Ostsee-Kanal. Da muss bald eine neue stehen.

Ein Rundgang über die Schleusen von Brunsbütte­l ist beeindruck­end, auch für Touristen. Der Kanal teilt diese Stadt an der Elbe, in der Nähe der Nordsee. Industrieg­eschichte, Handelsges­chichte, früher und heute. Die neue Schleuse soll wieder mindestens 100 Jahre funktionie­ren, wie die alten. Die Schiffe sollen mehr Platz haben. Abratis zeigt auf die Baustelle. Wahrschein­lich ist es die größte Wasserbaum­aßnahme Europas. Die Kammer der Großen Schleuse Nord öffnet sich. Die Greetje fährt wieder weiter. In den Kanal. Richtung Ostsee. Peter Burghardt

Für Europa ist der Kanal so wichtig, wie es der PanamaKana­l für die

Welt ist.

Dies ist eine einfachere Version eines Texts aus der Süddeutsch­en Zeitung.

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