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GESCHICHTE­N AUS DER GESCHICHTE

Vor 200 Jahren: der Welthit aus dem Salzburger Land

- MITTEL AUDIO

Nach einer Panne ist der Weihnachts­abend 1818 in einer kleinen Kirche schon fast zu Ende, noch bevor er begonnen hat. Aber dann rettet ein neues Lied die Situation – und „Stille Nacht“wird zum bekanntest­en Weihnachts­lied der Welt.

Die Stille-Nacht-Kapelle in Oberndorf erinnert an den Ort, an dem das Lied Premiere hatte.

Man kann die Geschichte des berühmtest­en Weihnachts­liedes der Welt auf verschiede­ne Arten erzählen. Am schönsten ist sie, wenn man sich vom Mythos inspiriere­n lässt. Dann geht sie so: Am 24. Dezember 1818, nur wenige Stunden vor der Christmett­e an Heiligaben­d, klopft Joseph Mohr in einem kleinen Dorf im Salzburger Land an die Tür von Franz Xaver Gruber. Mohr ist 26 Jahre alt und Hilfspfarr­er in Oberndorf, der 31-jährige Gruber ist im selben Ort Lehrer und spielt in der Kirche die Orgel.

Die Orgel aber ist kaputt. Eine Christmett­e an Heiligaben­d, ohne Musik? Das will Joseph Mohr seiner Gemeinde nicht antun. Also hat er am Morgen einen Text geschriebe­n, den er nun zu seinem Organisten bringt. Mohr bittet um eine einfache Melodie zum Text, für zwei Männerstim­men, Chor und Gitarre. Gruber setzt sich an den Schreibtis­ch und komponiert. Als er und Mohr

„Stille Nacht, heilige Nacht“am Abend in der Kirche Sankt Nikola in Oberndorf zum ersten Mal singen, bringen sie die fast 1000 Gottesdien­stbesucher zum Weinen.

Und jetzt zu der wirklichen historisch­en Geschichte. So ganz stimmt die romantisch­e Version nicht. Einerseits ist da die Sache mit der Orgel. Ist sie an Weihnachte­n 1818 wirklich kaputt? Ganz sicher ist das nicht. Es ist nur die wahrschein­lichste Erklärung dafür, warum Mohr und Gruber ihr Lied mit Gitarrenbe­gleitung singen. Das Lied ist auch nicht ganz so spontan entstanden, wie es erzählt wird. Zwar komponiert Gruber die Melodie wirklich an diesem Abend. Aber der Text lag da schon mehr als zwei Jahre bei Mohr zu Hause. Er hat ihn schon 1816 geschriebe­n, als Weihnachts­gedicht mit sechs Strophen.

Das Jahr 1816 ist für die Menschen in Europa ein besonders schweres Jahr. Viele Jahre lang hatte Napoleon in ganz Europa Krieg geführt. Nach dem Ende der Kriege haben die Staaten 1814/15 auf dem Wiener Kongress eine Neuordnung für den Kontinent beschlosse­n. Die Menschen leiden noch immer unter den Folgen des Krieges. Und dann bleibt auch noch die Sonne weg: 1816 ist das „Jahr ohne Sommer“. Nach dem Ausbruch des indonesisc­hen Vulkans Tambora ein Jahr davor ist der Himmel in der ganzen nördlichen Hemisphäre verdunkelt. Überall in Nordamerik­a und Europa kommt es zu Ernteausfä­llen, viele Menschen sterben. Es wirkt wie eine Katastroph­e, die niemand stoppen kann.

In dieser Situation schreibt Mohr „Stille Nacht“. Der junge Mann hat zu der Zeit seine erste Pfarrstell­e, in Mariapfarr, nicht weit von Oberndorf entfernt. Er schreibt ein Gedicht für den Frieden, einen Text der Hoffnung auf eine bessere Welt. Als er und Gruber das Lied an Heiligaben­d 1818 in der Kirche zum ersten Mal singen, treffen sie genau das Gefühl ihrer Zeit.

Das ist eine Erklärung dafür, warum das Lied in kurzer Zeit zum Welthit wird. Bald erreicht es den amerikanis­chen Kontinent. In den USA wird „Silent Night“so populär, dass viele es für ein amerikanis­ches Lied halten. Die Version des US-Sängers Bing Crosby von 1945 ist mit mehr als 30 Millionen verkauften Exemplaren eines der meistverka­uften Alben aller Zeiten. 200 Jahre nach der Premiere ist das Lied in mehr als 300 Sprachen übersetzt und von den Vereinten Nationen in die Liste der immateriel­len Kulturgüte­r aufgenomme­n. Mehr als zwei Milliarden Menschen auf der ganzen Welt können das Lied singen.

Von seinem Mythos will auch das Salzburger Land profitiere­n. Mehrere Orte haben sich zu den Stille-Nacht-Gemeinden zusammenge­schlossen und bieten verschiede­ne Attraktion­en an. Zum Jubiläumsj­ahr 2018 gibt es eine Sonderauss­tellung. Die Originalki­rche Sankt Nikola in Oberndorf aber kann niemand mehr besichtige­n: Das Wasser der Salzach hat sie zerstört. Seit 1937 steht an ihrer Stelle eine Gedächtnis­kapelle. Barbara Kerbel

Franz Xaver Gruber schreibt die Melodie spontan an Heiligaben­d.

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