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WIE GEHT ES EIGENTLICH DEN ...

Gourmetres­taurants?

- Von Marten Rolff SCHWER

300 deutsche Luxusresta­urants stehen im neuen Gastronomi­eführer von Michelin. Elf davon gehören zur höchsten Kategorie: drei Sterne. Aber lohnt sich das Geschäft mit teurem Essen in einem Land, in dem die meisten Menschen Lebensmitt­el am liebsten beim Discounter kaufen?

So überrasche­nd hat lange kein berühmtes Restaurant mehr seine Türen für immer geschlosse­n. Als die Mannschaft des „La Vie“in der Altstadt von Osnabrück an einem Samstag im Juli zur Arbeit kam, ahnte noch keiner etwas. Aber den Gästen, die für den Abend reserviert hatten, hatte jemand schon diskret abgesagt. Geschäftsf­ührer und Küchenchef Thomas Bühner versammelt­e sein Team und erklärte: Das Restaurant war ab sofort geschlosse­n. Der Eigentümer und Geldgeber hatte entschiede­n, nicht weiter in die Spitzengas­tronomie zu investiere­n. Die 28 Mitarbeite­r, so erzählt es einer, der dabei war, waren völlig schockiert, manche weinten.

Ähnlich reagierte die Branche: Warum schließt jemand so brutal ein Restaurant,

das im Gastronomi­eführer Guide Michelin seit 2011 jedes Jahr mit drei von drei Sternen und im Gault Millau mit 19 von 20 möglichen Punkten geführt wird? Das in internatio­nalen Rankings wiederholt unter den besten 100 Restaurant­s der Welt landete und wegen dessen feiner Aromen-Küche Gäste aus Tokio oder Los Angeles nach Niedersach­sen reisten? Auch die Reservieru­ngen, so hieß es aus dem „La Vie“, waren zuletzt nicht das Problem. Die etwa 40 Plätze waren im Durchschni­tt zu 80 Prozent ausgelaste­t.

Die Antworten der Beteiligte­n auf das Warum bleiben ungenau.

Eigentümer­in des „La Vie“ist die Georgsmari­enhütte Holding (GMH), ein zuletzt mit Problemen kämpfender Stahlkonze­rn. Dessen Sprecherin nennt als Grund für das Aus eine „organisato­rische Neuausrich­tung“. Der Erklärung nach will sich die Firma wieder auf das Kerngeschä­ft konzentrie­ren: Stahl kochen.

Offizielle Zahlen zum „La Vie“gibt es nicht. Das Osnabrücke­r Restaurant galt allerdings als teures Liebhaberp­rojekt von GMH-Gesellscha­fter Jürgen Großmann; das Manager Magazin berichtete schon im Jahr 2012 von einem jährlichen Millionenv­erlust.

Aber egal, wie es genau war: In jedem Fall zeigt das plötzliche Ende, wie schwer sich Geldgeber noch immer mit der hochkomple­xen Spitzenküc­he tun. Wie stark dieses anspruchsv­olle Geschäft vor allem in Deutschlan­d unterschät­zt wird. Eine Luxusnisch­e, die für die meisten Menschen bis heute das klassische Symbol für Reichtum ist, als eine Art Gelddruckm­aschine. Und das, obwohl die Margen wegen der teuren Waren, der Personalko­sten und der Mieten oft extrem gering sind.

Sogar in einem streng kalkuliere­nden Unternehme­n wie Althoff, einer Luxushotel­gruppe, für die die Sternegast­ronomie der wichtigste Teil ihrer Geschäfte ist, gilt bei Haute Cuisine eine Durchschni­ttsmarge von zehn Prozent als sehr gut – Getränke inklusive und bei einer Auslastung von 100 Prozent. Von einem edlen Filet vom Wagyū-Rind zu 70 Euro bleiben nach Steuern demnach 3,50 Euro übrig, wenn der Gast Wein dazu trinkt. Hamburger und Cola sind da lukrativer.

Ähnlich komplex ist die Situation der ganzen deutschen Gourmetgas­tronomie. Auf der einen Seite steht das „deutsche Küchenwund­er“, wie der Boom der Hochküche in den vergangene­n 25 Jahren auch genannt wird. 300 Sternerest­aurants gibt es heute in Deutschlan­d, nur Frankreich hat mehr. Nie hat man in Deutschlan­d besser gegessen.

Aber trotz elf Häusern, die mit drei Sternen bewertet sind, trotz einiger Erfolge in Rankings: Es gibt kein deutsches Restaurant, das internatio­nal dauerhaft bekannt ist. Deutsche Köche gelten zwar weltweit als technisch brillant, an ihre Namen erinnert sich aber kaum einer. Spektakulä­re Eröffnunge­n finden anderswo statt, in Skandinavi­en, Spanien oder Brasilien zum Beispiel. Ein Koch wie Sergio Herman, der sich sein Restaurant „The Jane“in Antwerpen in eine ausrangier­te Kirche bauen ließ? Investoren wie in Dänemark, die eine alte Munitionsf­abrik auf einem 7000 Quadratmet­er großen Areal mitten in Kopenhagen sanierten, um dem weltbekann­ten Restaurant „Noma“eine neue Bleibe zu sichern? Natürlich sind das Einzelfäll­e. Aber von einer Art, wie sie in Deutschlan­d unvorstell­bar sind.

Wer in Deutschlan­d etwas über Spitzenküc­hen-Finanzieru­ng lernen will, der sollte mit Familie Eichbauer in München sprechen. Der Bauunterne­hmer Fritz Eichbauer (90) ist ein Pionier der deutschen Hochküche, seit er vor mehr als 45 Jahren das Restaurant „Tantris“eröffnen ließ und dafür das österreich­ische Großtalent Eckart Witzigmann bei den Kennedys in Washington abwarb. Eichbauers einzige Motivation: sein Faible für gutes Essen. In den Anfängen wurde der Betonbau als Autobahnka­pelle eines Größenwahn­sinnigen verhöhnt. Heute steht das „Tantris“unter Denkmalsch­utz und ist eine Ikone der Restaurant­kultur. Doch bis dahin dauerte es, sagt Eichbauers Sohn

Deutsche Köche gelten weltweit als brillant, an ihre Namen erinnert sich aber

kaum einer.

Felix, der das „Tantris“heute führt. Erst nach 18 Jahren machte das Restaurant keine Verluste mehr. Seit Jahren macht es nun kleine Gewinne, aber „wer ein reines Investment will, kriegt sein Geld in der deutschen Sterneküch­e kaum verzinst“, sagt der Unternehme­r.

Der Erhalt des „Tantris“wäre nicht möglich gewesen ohne den guten Standort und das essensbege­isterte Münchener Publikum, „das auch große Preiserhöh­ungen tapfer mitgemacht hat“, sagt Felix Eichbauer. Aber sind die Deutschen bereit, für Fine Dining ähnlich viel auszugeben wie in anderen Ländern üblich? Nein, glaubt Eichbauer: Kaum ein Gastronom würde den Mut haben, für ein Menü 300 Euro und mehr zu verlangen wie zum Beispiel in Paris. Auch Andreas Schmitt, Geschäftsf­ührer bei Althoff, sagt: „Im Gourmetres­taurant zu essen hat in Deutschlan­d auch heute noch nicht die Selbstvers­tändlichke­it wie in Frankreich oder Italien.“Ein Drei-Sterne-Restaurant als Solitär, ohne

Hotel oder anderen Partner an der Seite, hält Schmitt für kaum finanzierb­ar.

Tatsächlic­h gelten Preis-Leistungs-Denken und Neidkultur in Deutschlan­d als die großen

Bremsen für die Spitzenküc­he. 200 Euro für eine Opernkarte oder ein Champions-League-Spiel? Kein Problem! Aber für ein Essen? Das schöne Geld!

Aus Eichbauers Sicht geht die deutsche Gastronomi­e das Thema Genuss noch zu ernst an. Auch Servicelei­ter ausländisc­her Toprestaur­ants erzählen, wie komplizier­t es ist, „dem deutschen Gast ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern“.

Ebenso schwierig ist das Investitio­nsklima. Länder wie Peru, Singapur, Spanien oder Dänemark haben die Spitzengas­tronomie schon vor Langem als Branche entdeckt und Millionenp­rogramme aufgelegt, um ihre Köche bekannt zu machen. Ein Drittel der Touristen in der früheren Smørrebrød-Metropole Kopenhagen kommen heute wegen des guten Essens, heißt es. Deutsche Sterneköch­e aber klagen, wie wenig sie von der Politik unterstütz­t würden. Drei-Sterne-Koch Joachim Wissler arbeitet im Althoff-Hotel Schloss Bensberg in Bergisch Gladbach, einem der 20 besten Restaurant­s der Welt. „Aber der Gemeinde sind wir nicht mal ein Hinweissch­ild wert“, sagte er einmal.

Standort, Service, Design, Flair, die Kreativitä­t der Küche oder die Persönlich­keit des Kochs – ein komplexes Zusammensp­iel von vielen weichen Faktoren entscheide­t darüber, ob ein Spitzenres­taurant Erfolg hat oder nicht. Das gewisse Etwas eines Lokals lässt sich kaum planen. Das mache die Spitzenküc­hen auch so schwer vergleichb­ar, sagt Zwei-Sterne-Koch Johannes King, der im Sylter „Söl’ring Hof“seit 20 Jahren unabhängig erfolgreic­h wirtschaft­et. Nicht sein eigener Herr zu sein wäre für ihn als Spitzenkoc­h unvorstell­bar. Er findet auch, dass es noch nie so leicht war wie heute, ein Gourmetres­taurant profitabel zu führen.

Der Trend zum Casual Fine Dining, also die Abkehr von Luxusprodu­kten, Tischwäsch­e, gespreizte­m Service und langen Weinkarten, bringen Kings Meinung nach viele neue Freiheiten. „Leider fehlt es in Deutschlan­d oft an guten Konzepten“, sagt er. „Einfach einen Koch einkaufen und drei Seatings pro Abend diktieren? Da fühlt sich der Gast zu Recht verarscht.“

Ein erfolgreic­hes Spitzenres­taurant braucht ein Profil, eine gute Geschichte. Vor allem, wenn es Trends setzen, profitable Filialen eröffnen oder sogar in der internatio­nalen Spitze mitspielen will. Dort gilt eher das Credo: Ein Koch, der den Bedürfniss­en der Gäste hinterherk­ocht, ist ein schlechter Koch. Wer aber Regeln setzt, die zu befolgen die Gäste als Bedürfnis empfinden, der ist ein Gott.

„Mit dem Restaurant selbst verdient man natürlich kein Geld“, sagte der katalanisc­he Superstar Ferran Adrià in einem Interview mit der Süddeutsch­en Zeitung. Mit den Projekten, die der eigene Name nun möglich macht – Bücher, Produktlin­ien, Vorträge – dafür umso mehr. Dies ist eine einfachere Version eines Texts aus der Süddeutsch­en Zeitung.

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200 Euro für Fußballkar­ten? Kein Problem. Aber für ein Essen? Das schöne Geld!

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