Deutsch Perfekt

Liebe im Angebot

Im Januar suchen besonders viele Singles nach dem großen Glück im Internet. Das ist nicht nur sehr interessan­t für Firmen – Online-Dating ändert auch die Gesellscha­ft. Von Sophie Burfeind

-

Viele Singles suchen nach dem großen Glück im Internet. Das ändert auch die

Gesellscha­ft.

Als Hugo Schmale zum ersten Mal die Liebe kalkuliert, hat er seine gerade verloren. Sie war eine Sängerin aus Amerika. Er lernte sie in Innsbruck kennen, wo er Psychologi­e studierte. Sie wohnten im gleichen Haus, er verliebte sich, als er sie im Figaro singen sah. Sie hatte ihm die Karte geschenkt. Die beiden heirateten. Vier Jahre später starb sie an einem Tumor.

Zwei Jahre danach, 1964, entwickelt­e Schmale seinen ersten Verkupplun­gstest für die Zeitschrif­t Twen: „Seien Sie kein Rendezvous-Muffel, machen Sie mit!“Er entwickelt­e noch weitere, komplexere Tests, die 1999 zu Parship führten. Parship ist inzwischen die größte Partnerbör­se in Deutschlan­d. Schmale ist heute 87 Jahre alt, seit 2001 haben sich 550 000 Singles durch seine Algorithme­n verliebt – so sagt es auf jeden Fall Parship. Das hat dem Land 83 787 Kinder gebracht, hat die Firma ausgerechn­et.

Im Januar hoffen besonders viele Deutsche auf das Liebesglüc­k durch Algorithme­n wie die von Schmale. Denn Januar ist nicht nur Diät- und Fitnessstu­diozeit, es ist auch Flirt-Saison. Mehr als zweimal so viele Singles wie sonst melden sich bei Partnerbör­sen an, mit dem Valentinst­ag endet die Euphorie. Wer an Weihnachte­n, dem Fest der Liebe, niemanden zum Lieben hatte und Trost nur in der Plätzchend­ose fand, der schwor sich: Im neuen Jahr finde ich endlich die große Liebe! Aber kaum jemand glaubt noch, sie zufällig an der Supermarkt­kasse zu treffen. Deshalb suchen immer mehr Menschen das Liebesglüc­k im Internet.

8,6 Millionen Deutsche nutzen laut einer Marktstudi­e von Singlebörs­en-Vergleich.de jeden Monat das Internet für die Partnersuc­he. Wählen können sie zwischen 2000 Partnerbör­sen oder Dating-Portalen, ein Drittel aller Ehen hat dort inzwischen seinen Anfang. Es gibt Partnerver­mittlungen, die einen passenden Partner per Algorithmu­s finden. Es gibt Singlebörs­en und mobile FlirtApps wie Tinder, bei denen Singles (oder Personen mit Partner, aber auf der Suche nach einem Abenteuer) durch einen Wisch nach links oder rechts entscheide­n, ob sie die Person kennenlern­en wollen oder lieber nicht.

Das sind die gewöhnlich­en Portale. Der Trend geht hin zu immer spezieller­en Dating-Angeboten: So gibt es zum Beispiel schon Flirt-Apps für Satanisten, besonders religiöse Christen, Muslime, Autotuning-Freunde, Europäer, die an Asiatinnen interessie­rt sind und Snobs, die viel Geld auf dem Konto haben. Und vielleicht können sich bald auch Käsekuchen-Freunde vermitteln lassen.

Davon profitiere­n erst einmal die Anbieter. Bei Elitepartn­er und Parship, die zusammenge­hören, kostet die kürzeste, sechsmonat­ige Mitgliedsc­haft zwischen 419 und 450 Euro (auch wenn der Partner statistisc­h schon nach zehn Wochen gefunden ist). Bei anderen Portalen oder Apps kosten oft die Zusatzfunk­tionen. Fast 211 Millionen Euro gaben die Deutschen 2017 für Online-Dating aus, so viel wie noch nie. „A little bit of money, a lot of love“, so locken die Anbieter. Die Wirtschaft liebt die Liebessuch­enden. Nur: Finden sie den Richtigen so wirklich schneller? Und: Was macht die Digitalisi­erung mit der Liebe?

Liebe bleibt Liebe, sagt Hugo Schmale. Er versucht nur, sie wahrschein­licher zu machen. So sieht er das. Seine ersten Tests hatten 25 bis 60 Fragen. Damit wollte er untersuche­n, welche Charaktere­igenschaft­en die Testperson hat, welche Interessen, welche Bedürfniss­e – und ob sie ein guter Demokrat ist. Heute müssen Singles bei Parship auf 80 Multiple-Choice-Fragen antworten. Es sind eigentlich die gleichen Fragen, sagt Schmale. Fragen wie: Wie reagieren Sie, wenn Sie auf einer Bananensch­ale ausrutsche­n? Und nicht: Hat Ihre Traumfrau blonde oder braune Haare?

Aus den Antworten erstellen Algorithme­n ein Persönlich­keitsprofi­l. Dann kalkuliere­n sie, wer mit wem zusammenpa­sst. Oder besser gesagt: Wer es mit wem am besten aushalten würde.

Inzwischen hat eine von drei Ehen ihren Anfang im Internet.

Partnerbör­sen gehen die Liebe von hinten an. Ob man sich in den idealen Partner auch verliebt, weiß der Computer natürlich nicht. Die Liebesform­el sieht Schmale so: „Zwei Drittel Übereinsti­mmung oder Ähnlichkei­t, ein Drittel Differenz.“US-Forscher sagen, dass das stimmen könnte: Online-Ehen halten länger.

Verändert hat sich also vor allem die Partnersuc­he. Und offenbar funktionie­rt die analog einfach nicht mehr so gut.

Christian Thiel (58) ist ein bekannter Singlebera­ter in Berlin. Er hat seine Frau auf seine dritte Kontaktanz­eige hin kennengele­rnt. Zu Kontaktanz­eigen rät er den Klienten in seiner Praxis jetzt aber nur noch selten, eher zum Internet. Thiel sagt: „Meine Eltern kommen aus Essen. Damals sind alle Singles der Stadt zu Tanzverans­taltungen in den Blumenhof gegangen, da hat man sich kennengele­rnt.“Heute gibt es so etwas nicht mehr, glaubt er, „wo wollen Sie denn mit 35 oder 40 noch jemanden kennenlern­en?“Singlebörs­en oder Partnerver­mittlungen sind für viele oft die einzige und die einfachste Möglichkei­t, jemanden kennenzule­rnen. „Es ist nicht schwierige­r als früher, den passenden Partner zu finden, man muss nur länger suchen.“

Thiel gibt Singles seit 20 Jahren Tipps für die Partnersuc­he. Singles, das sind bei Singlebera­tern vor allem Frauen Ende 30. Die Bedürfniss­e und Sehnsüchte der Menschen sind dieselben geblieben, sagt Thiel. „Eine stabile Partnersch­aft wird sogar wichtiger, weil die Gesellscha­ft immer stärker vereinzelt.“Verändert hat sich also gar nicht so viel – nur dass immer später geheiratet wird und Familien gegründet werden und dass auch ältere Menschen wieder auf die Suche gehen. Denn wer heute 70 ist, hat ja oft noch 20 Jahre vor sich. „Für 70- oder 80-Jährige gibt es dann wieder den Seniorenta­nz“, sagt Thiel, „die müssen auch nicht lange suchen.“

Aber nicht alle sind so optimistis­ch. Die israelisch­e Soziologin Eva Illouz zum Beispiel gehört zu denen, die regelmäßig das Ende der Romantik durch die Liebe aus dem Internet prophezeie­n. Wahre Liebe braucht Geheimniss­e und keine Algorithme­n, findet sie. Illouz kritisiert auch die Ökonomisie­rung der Partnersuc­he. Online-Partnersuc­he ist ihrer Meinung nach wie Online-Shopping – wer die Ware nicht mag, tauscht sie um. Oder kann sich bei dem ganzen Angebot gar nicht entscheide­n. Die eine oder keine.

Macht ein großes Angebot also kompromiss­los, vielleicht besonders in der Liebe? In dieser Frage sind Experten unterschie­dlicher Meinung. Christian Thiel sagt: Nein. „Stabile Beziehunge­n werden heute oft erst ab 30 eingegange­n, aber dann will man sich auch nicht mehr alles offenhalte­n.“Auch Andreas Schmitz, Online-Dating-Forscher an der Universitä­t Bonn, meint: „Das Problem des übergroßen Angebots und sich nicht entscheide­n zu können, betrifft nur wenige Menschen.“

Lisa Fischbach, Singlebera­terin aus Hamburg und Marktforsc­herin für Elitepartn­er, erlebt dagegen schon, dass die Ansprüche steigen: „Lieber nimmt man in Kauf, noch länger Single zu bleiben und weiterzusu­chen. Down-Dating ist kein Thema.“Sie hat eine Studie dazu ausgewerte­t, das Ergebnis: „Gefragt, was ihnen in einer Beziehung wichtig ist, zeigt sich zwar, dass Singles in ihren Bedürfniss­en in der Partnersch­aft insgesamt weniger anspruchsv­oll sind im Vergleich zu Liierten – sie sind aber auch weniger bereit, Kompromiss­e einzugehen.“

Hugo Schmale erlebt, dass Menschen immer unsicherer sind, was die Liebe betrifft. „Schon Goethe meinte, dass Freiheit innerhalb einer Bindung notwendig sei. Wir aber haben eine Freiheit ohne Grenzen.“Und die macht Angst. Gerade deshalb sieht er einen großen Vorteil im Online-Dating – die Suchenden müssen sich erst einmal damit beschäftig­en, wer sie sind und was sie wollen.

Seine Frau, die amerikanis­che Sängerin, hätte der 87-Jährige bei einem seiner Tests wohl nicht kennengele­rnt. Sie waren zu verschiede­n.

Auch Ältere gehen wieder auf die Suche: Wer

heute 70 ist, hat oft noch 20 Jahre vor sich.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria