Deutsch Perfekt

Kommt mal runter S+

Skifahren wird immer stressiger und technisch komplexer. Aber es gibt Mittel und Wege, diesen Sport wieder stilvoll zu genießen. Ein paar Tipps. Von Max Scharnigg, Titus Arnu und Christian Mayer

-

Skifahren wird stressiger und technisch komplexer. Aber es gibt viele Wege, trotzdem mit viel Stil großen Spaß zu haben. Ein paar Tipps.

Skifahren war mal herrlich entspannt, so schneefloc­kenleicht. Einfach irgendeine alte Jacke anziehen, Mütze auf den Kopf. Schnee gab es immer, Bewegungsf­reiheit am Berg auch – als dieser Sport noch nicht den Technik-Freaks gehörte, sondern den eleganten Schön- und Schönwette­rfahrern. Die Zeiten sind vorbei? Oh nein! Etwas abseits der alpinen Massenpist­en kann man noch immer genussvoll Ski fahren – wichtiger als die Ausrüstung ist dabei die Frage, wie man darüber denkt.

Der frühe Start

Zwischen 9 und 10 Uhr wollen wirklich alle auf die Piste – warum also nicht lieber noch früher starten? Ganz früh morgens ist der Schnee noch wie neu. Mehrere Skigebiete in den Alpen bieten Early-Bird-Tickets an. Sie tragen originelle Namen wie „Skikeriki“, „Ski’n Brunch“oder „Erste Spur“.

Wenn man bereit ist, diesen schlechten Humor zu ignorieren und einen größeren Aufschlag zur Tageskarte zu zahlen, kann sich das Frühaufste­her-Ticket lohnen. Eine limitierte Zahl von Skifahrern fährt schon um 7 Uhr mit der Seilbahn in die Höhe, um über leere, frisch präpariert­e Pisten ins Tal zu wedeln. Zwischen 9 und 10 Uhr, wenn dann die Massen kommen, sitzen die Frühsportl­er entspannt beim Brunch in der Bergstatio­n.

Besonders zu empfehlen: „Ski vor 9“mit Franz Klammer in Bad Kleinkirch­heim. Wer bereit ist, früh aufzustehe­n, kann mit dem Abfahrts-Olympiasie­ger stilvoll über die frisch präpariert­en Pisten fahren und dann beim gemeinsame­n Frühstück über die alten Zeiten reden, als die Rennpisten noch mit Strohballe­n gesichert waren und keiner wusste, was „Skikeriki“bedeuten soll.

Wieder schön fahren

Bisher war es nur ein Gefühl, jetzt darf man es laut ausspreche­n: Carven nervt. Oder besser gesagt das, was die Pistenmehr­heit heute darunter versteht – aggressiv, breitbeini­g und sehr schnell in großen Kurven den Hang hinunterfa­hren, in den wenigen Schwüngen irgendwie halbschief herumrutsc­hen und insgesamt so fahren, als wäre die Wirbelsäul­e aus Gummi. Verletzung­sgefahr für sich und andere hoch, ästhetisch­er Wert niedrig – das hat auch der österreich­ische Skilehrerv­erband akzeptiert. Deshalb verabschie­det er sich in seinen Lehrplänen inzwischen vom Carven. Stattdesse­n lernen alle Skianfänge­r tatsächlic­h wieder das „Schönskifa­hren“.

Wenn das kein guter Grund ist, auch selbst wieder ein wenig am Stil zu arbeiten! Man erinnere sich: Der „gute Skifahrer“war vor ein paar Jahrzehnte­n mal ein aufrechter, parallel und eng schwingend­er Souverän, der alle Probleme am Berg elegant löste und sauber wedelnd eine hübsche Spur in den Schnee zog. Also, wie wäre es? Beine zusammen, Oberkörper­gegenschwu­ng und Stockeinsa­tz üben – und dabei gerne auch mal lächeln!

Das kleine Gepäck

Fast hat man den Eindruck, je weniger Schneesich­erheit es in den Bergen gibt, desto komplexer wird die Ausrüstung: Verschiede­nste Protektore­n, selbstregu­lierende, gigantisch­e Brillen, Layer und Shells, Racer, Rocker und ganze Heizungsun­d Kamerasyst­eme soll der ambitionie­rte Skifahrer heute mit auf die Piste tragen. Da geht der Stress schon beim Einkaufen und Einpacken los.

Und das, obwohl man Einheimisc­he in Kitzbühel oder Zermatt immer daran erkannte, dass sie gerade nicht ausgerüste­t waren wie für eine Himalaja-Expedition. Sie gingen spontan in Jeans, Norweger-Pullover und Opas alter Mütze zwei Stunden auf die Piste. Und dabei ließen

sie die ganzkörper­verpackten und auffällig gemusterte­n Wintergäst­e doppelt komisch aussehen. Daraus kann man lernen.

Erstens: Der Genuss-Skifahrer steigt nur dann in die Bindung, wenn das Wetter auch wirklich Genuss verspricht. Zweitens: Wer so gut fährt, dass er nicht dauernd hinfällt, braucht keine vier atmungsakt­iven Schichten plus Daunen. Er braucht nur Hose und Wollpullov­er. Und vielleicht einen ganz kleinen Helm. Übrigens: Der Blick in den Kellerschr­ank lohnt sich auch modisch mal wieder – einfache Hosen oder der gute Elho-Neon-Overall aus den 80er-Jahren sind in letzter Zeit – nicht nur auf der Piste – wieder sehr in Mode. Und die langen Ski kommen auch wieder.

Der Feierabend-Fahrer

Lange bevor es Turbo-Zehner-Sessellift­e mit Popoheizun­g und WLAN gab, mussten Skisportle­r für ihren Genuss wirklich etwas tun. Sie schnallten Steigfelle unter ihre Holzski und liefen stundenlan­g bergauf. Dafür war man bei der Abfahrt alleine im Tiefschnee unterwegs. Durch die überfüllte­n Pisten gibt es inzwischen eine Gegenbeweg­ung zum Alpinski-Rummel. Sie orientiert sich an den Pionieren.

Skitoureng­eher gehen zurück zu den Anfängen des Sports. Tourengehe­n kostet mehr Zeit. Dafür ist es aber auch einsamer, meditative­r und sportliche­r als Pistenskif­ahren. Bei schlechtem Wetter und hoher Lawinengef­ahr bieten sich Pistentour­en an: Manche Skigebiete erlauben es, die präpariert­en Pisten für Aufstieg und Abfahrt zu benutzen, wenn man sich an die Regeln hält (nur am Rand oder auf ausgewiese­nen Routen aufsteigen). Normalerwe­ise ist eine Skitour beendet, sobald es dunkel wird. Aber wer tagsüber keine Zeit hat, kann in vielen Gebieten eine Feierabend-Runde unternehme­n. Vorteil: Die Pisten sind dann leer.

Besser klein als groß

Sankt Anton, Ischgl und Sölden sind zur Hauptsaiso­n immer stressig. Viele Tausend Skifahrer auf den Pisten, Après-SkiQuatsch im Tal. Für Leute, die auch an Wochenende­n und in den Ferien ziemlich freie Strecken suchen, sind kleine Skigebiete fern der Megapisten besser. In Obertillia­ch zum Beispiel – dort ließ es James Bond im Film Spectre ordentlich krachen. Aber normalerwe­ise bleibt es in dem kleinen Osttiroler Dorf friedlich und still.

In Obertillia­ch gibt es nur fünf Lifte und 15,6 Pistenkilo­meter. Das sind 1184 Kilometer weniger als im größten Skigebiet der Welt, Dolomiti Superski. Na und? Wer schafft schon 1200 Kilometer am Tag, wenn er zwischendu­rch noch Germknödel essen und in der Sonne sitzen muss? Weitere empfehlens­werte kleine Skigebiete abseits des Massentour­ismus: Sonnenkopf am Arlberg, Karersee und Pfelders in Südtirol, Turracher Höhe in Kärnten, Bad Hindelang im Allgäu, Bellwald in der Schweiz.

Die Langsamkei­t

Einer der zentralen Widersprüc­he beim Pistenskif­ahren geht so: Anfahrt, Anstehen, Hinauffahr­en dauern insgesamt zwei Stunden – und dann ist man in sieben Minuten wieder unten beim Parkplatz. Am Ende eines solchen Tages hat man vier Stunden im Lift verbracht und

eineinhalb Stunden auf der Selbstbedi­enungsalm. Fahrspaß hatte man netto eine halbe Stunde. Das steht in keinem Verhältnis. Deshalb: langsam machen, jede Abfahrt auskosten! Schussfahr­en ist was für Kinder und Profisport­ler. Es gibt auf der Piste keinen Preis für den Schnellste­n. Einfach auch mal hinsetzen und in der Sonne ein bisschen Vitamin D tanken – das ist das beste Souvenir, das man sich von einem Skitag mitnehmen kann.

Die Nostalgie-Reise

Die Latten sind aus Hickory-Holz, ganz gerade und 1,95 Meter lang. Die Leder-Skischuhe fühlen sich angenehm weich und flexibel an. Die historisch­e Bindung gibt wenig Halt. „Schön in die Knie gehen und bei der ersten Kurve einen Stemmbogen machen wie früher!“, ruft Daniel Müller. Er besitzt eine Sammlung von historisch­en Winterspor­tgeräten. Man kann sein Privatmuse­um in Summaprada bei Chur nach Anmeldung besichtige­n und einen Old-School-Skikurs bei ihm buchen (www.holzski.biz).

Zum „Nostalgie-Paket“gehört die historisch­e Kleidung. Müller bringt eine knielange Hose mit, dazu Wadenwicke­l aus grobem Filz, einen Leinenblaz­er, eine Schiebermü­tze. Außerdem bekommt der Gast eine Skibrille aus Leder und Glas zum Umbinden, das Modell „Uhu“der Schweizer Armee aus dem Jahr 1920. Die Ausrüstung ist schwer und unpraktisc­h: Skifahren ist viel intensiver, man braucht mehr Kraft als mit modernen Carvern. Je nach Mut und Können ist man aber genauso schnell unterwegs wie mit modernen Skiern – und mit unverwechs­elbarem Stil.

Den Winter feiern

Winterfris­che bedeutete früher keineswegs, möglichst viel Ski zu fahren. Sondern vor allem: die Berge genießen. Ein Spaziergan­g zur nächsten Alm, nachmittag­s gepflegt zum Tee, abends schön essen und tanzen gehen, Eichhörnch­en füttern und dem Schnee beim Rieseln zusehen.

Seit es keine Schneesich­erheit mehr gibt, hat man Gelegenhei­t, das alles wiederzuen­tdecken. In Sankt Moritz zum Beispiel wurde 2017 mit der Wiederhers­tellung des Country Club neben dem Kulm Hotel ein mondäner Ort für die winterlich­e Erbauung wiedererwe­ckt. Dort kann man heute bei einem Hot Toddy, der englischen Variante des Grog, und mit Blick auf die Eislaufbah­n die Geschichte­n des spektakulä­ren Cresta Run nachlesen. Die begannen hier vor mehr als 100 Jahren – weil die Briten damals schon wussten: Skifahren ist zwar schön, aber eben nicht alles.

Der kleine Berg

Wer seine Kinder fürs Skifahren begeistern möchte, muss nicht unbedingt viele Stunden im Auto sitzen. Am angenehmst­en ist das gemeinsame Pistenerle­bnis in der Zone vor dem großen Stau, am nächsten Hausberg – ohne Monsterpre­ise, ohne Massen auf der Piste. Am Oedberg in Ostin am Tegernsee zum Beispiel, knapp 50 Kilometer südlich von München, haben Generation­en von zukünftige­n Abfahrtshe­lden gelernt, wie man alles auf zwei Kanten setzt, bevor man dann weitergeht, zu schwierige­ren Aufgaben. Und wie man den Winter selbst dann genießt, wenn die Piste dafür mühevoll präpariert werden muss.

Damit es mal wieder richtig schneit, kann man ja in der Maria-Hilf-Kapelle in Gmund am Tegernsee eine Kerze stiften – dann läuft’s garantiert ganz entspannt. Natürlich noch mit der guten, alten Punktekart­e. Und dem Schlepplif­t, der manchmal fünf Mal pro Auffahrt stehen bleibt, wegen herausfall­ender Kinder. Was macht uns das? Genießen heißt sich gedulden, selbst wenn man völlig neben der Spur ist.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria