NAMENSPROBLEME
Sehr geehrter Herr Guillaume
Mit sieben Jahren ziehe ich mit meiner Familie nach München um. Davor habe ich immer in Frankreich gewohnt. Am ersten Tag an meiner neuen Schule bin ich sehr nervös. Frau Kausen, die Lehrerin, begrüßt mich an der Tür zum Klassenzimmer. „Du bist der Horst, oder?“, fragt sie. Ich denke: „Aha, in Bayern benutzt man also den Nachnamen.“Ich nicke, und Frau Kausen stellt mich der ganzen Klasse vor: „Das ist der Horst. Er kommt aus Frankreich. Seid nett zu ihm.“Meine neuen Klassenkameraden sind nett. Aber ich merke schnell: Sie heißen Marco, Jakob oder Jan und nicht Jaschner, Unterholzner oder Dorgeist. Schnell wird mir klar: Meine neue Lehrerin hat meinen Nachnamen mit meinem Vornamen verwechselt. Sie wird nicht die letzte sein.
Mein Vater ist Deutscher, meine Mutter ist Französin. Sie haben vier Kinder.
Eigentlich wollten sie immer aufpassen, dass deren Namen in beiden Sprachen existieren. Bei meinen Geschwistern hat das geklappt: Raphael, Florian und Rebecca – das funktioniert auf Deutsch und auf Französisch. Für meine Schwester fand meine Mutter eigentlich den französischen Namen Solange toll. Aber mein Vater legte ein Veto ein: „So lange? Das geht im Deutschen nicht!“Bei Guillaume war das nicht schlimm für ihn. Ich habe ihn mal gefragt: Warum? Seine Antwort: „Wir fanden Guillaume einfach schön.“
Schön ist der Name vielleicht. Aber im Deutschen gibt es ihn eben nicht. Wobei, das stimmt nicht ganz. Eine deutsche Version gibt es schon: Wilhelm. Wilhelm! Was für ein altmodischer Name! So wollte ich nie heißen. Also habe ich mich trotz allem immer als Guillaume vorgestellt.
Mit einem Nachnamen wie Müller oder Schuster wäre das auch kein großes Problem. Aber die Kombination aus meinem Vor und meinem Nachnamen ist für viele Deutsche total unlogisch. Horst ist nämlich ein Vorname. Horst Köhler war Bundespräsident, Horst Hrubesch war ein bekannter Fußballer, und Horst Seehofer ist ein sehr bekannter Politiker.
Guillaume dagegen kennen nur wenige Deutsche. Wenn sie ihn kennen, dann meistens wegen einer Person: Günter Guillaume. Er war ein Agent der Deutschen Demokratischen Republik, der in den 70erJahren ein enger Mitarbeiter des Bundeskanzlers Willy Brandt wurde. Die GuillaumeAffäre war ein großer Skandal. Kein Wunder also, dass ich in EMails regelmäßig als „Sehr geehrter Herr Guillaume“angeschrieben werde.
Während meines Studiums habe ich ein Praktikum im Deutschen Bundestag gemacht. Ich arbeitete in der Abteilung, die sich um die Ausstellungen in den Gebäuden des Parlaments kümmert. Eine meiner Aufgaben war, Besucher durch die Ausstellungen zu führen. Ich hatte ein kleines Schild, auf dem mein Name stand: Horst Guillaume. Das war kein Fehler. Bei allen Mitarbeitern stand der Nachname zuerst. Aber die Gäste wussten das ja nicht. Also musste ich fast jeden Tag erklären: „Nein, ich bin kein Verwandter von Günter Guillaume …“
Beim Bayerischen Fußballverband (BFV) heiße ich offiziell mit Vornamen Horst. Und das, obwohl mein Vater mich als Kind zusammen mit sich selbst und meinem großen Bruder beim BFV angemeldet hat. Ein Mitarbeiter bekam also drei Anmeldungen von Leuten, die als Nachnamen Horst angegeben hatten. Trotzdem hat er sich bei mir wohl gedacht: „Das muss ein Fehler sein!“Und so wechselten wieder Vor und Nachnamen.
Auch mit der Aussprache meines Namens haben viele Deutsche Probleme. Oft sagen sie Guhiilaumä. Ich bekam also über die Jahre viele Spitznamen: Pflaume, Guigui, Gullibaum, Gollum, G-Unit oder einfach nur G (wie das englische g ausgesprochen). Und das sind nur ein paar Beispiele. Seitdem der Fußballspieler Jerôme Boateng bekannt ist, glauben manche auch, dass Jerôme mein Vorname ist.
Als ich vor zwei Jahren in Irland war, stellte mir jemand mal wieder die Frage: „Was ist Guillaume bitte schön für ein Name?“Wie so oft erklärte ich die Herkunft des Namens und dass er die französische Version von William ist. Die Reaktion: „So your name is Bill!“Bill Horst. Diesen Namen hätte ich als Kind cool gefunden.
Ich will mich hier aber nicht nur über meinen Namen beschweren. Ja, früher war es nicht immer einfach. Aber inzwischen habe ich gelernt, meinen Namen zu lieben. Besonders beim Flirten ist er oft von Vorteil. Denn deutsche Frauen sind sehr frankophil:
Wie heißt du denn?
Guillaume.
Wie bitte?
Guillaume. Das ist Französisch.
Ach, du bist Franzose? Das ist ja interessant! Ich liebe Frankreich!
Und schon ist das Eis gebrochen. In Frankreich funktioniert das nicht. Dort ist mein Vorname ganz normal. Aber hier in Deutschland ist er wirklich etwas Besonderes. Guillaume Horst
Die deutsche Version von Guillaume ist Wilhelm. So wollte ich nie heißen.