Deutsch Perfekt

Kolumne – Alias Kosmos

Die Beziehung zwischen Deutschlan­d und den USA ist paradox, weiß unsere Lieblingsr­ussin. Für vieles sind die Deutschen ihnen dankbar – aber schlimm sind die Amerikaner natürlich trotzdem.

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Es gibt viele Gründe, Deutschlan­d zu mögen. Die vielen schönen Landschaft­en gehören dazu, der Riesling und die Currywurst sicher auch. Und der öffentlich­e Nahverkehr und die Weihnachts­märkte. An erster Stelle steht bei mir aber die Toleranz. Im Vergleich zu vielen anderen Nationen sind Deutsche anderen Kulturen gegenüber sehr aufgeschlo­ssen. Mich rührt es zu Tränen, wenn Grenzbeamt­e mich am Frankfurte­r Flughafen – nachdem sie meinen russischen Pass mit der in Frankfurt ausgestell­ten Aufenthalt­sgenehmigu­ng geprüft haben – mit „Willkommen zu Hause!“begrüßen. Bei einem Land hört die Toleranz aber auf – den USA.

Zwar regiert dort seit fast zwei Jahren Donald Trump, der – zumindest außerhalb Amerikas – unbeliebte­ste Präsident aller Zeiten. Aber mit ihm hat der deutsche Antiamerik­anismus wenig zu tun.

Schon 1983 gingen in Deutschlan­d mehr als eine Million Menschen auf die Straße, um gegen die Stationier­ung von US-Atomrakete­n zwischen Stuttgart und Neu-Ulm zu demonstrie­ren. Und das, obwohl diese Raketen Westeuropa vor einem möglichen sowjetisch­en Militärsch­lag schützen sollten. Die Deutschen reagierten aber mit einem Demonstrat­ionsrekord darauf. Und das, obwohl die USA Deutschlan­d von den Nazis befreit und nach dem Krieg den Wiederaufb­au finanziert haben. Dafür ist Deutschlan­d bis heute dankbar.

Es ist paradox: Ich habe kaum jemand in Deutschlan­d schlecht über Russland sprechen hören – aber die Abneigung gegen die Vereinigte­n Staaten ist allgegenwä­rtig. Kaum hört man hier amerikanis­che Touristen lachen, rollt man schon die Augen. Diese Amerikaner! So laut! Übergewich­tig sind sie, außerdem dem Konsum verfallen. Und Weltpolize­i wollen sie auch noch spielen! Da können Putin und Erdoğan machen, was sie wollen: Am Ende ist trotzdem Amerika schlimmer. Wenn die Deutschen über die Amerikaner herziehen, nennen sie sie „Amis“. Unvorstell­bar, dass jemand in Deutschlan­d so respektlos über irgendeine andere Nation sprechen würde. Dann wäre er schnell als rechtsradi­kal abgestempe­lt. Antiamerik­anismus ist dagegen absolut salonfähig.

Wenn Sie also ein Gesprächst­hema brauchen und keine Ahnung vom Fußball haben, nur zu! Und ich möchte wetten, dass dann irgendjema­nd Amerikaner „oberflächl­ich“nennt. Damit meinen die Deutschen besonders die amerikanis­che Höflichkei­t. Das ganze „How are you today?“, „I love your jacket!“und „Your child is adorable!“bringt die nüchternen Deutschen in Rage.

Sobald auf der Welt etwas Schlimmes passiert, solidarisi­ert sich der Deutsche schnell mit den Opfern: So war bei allen das Motto „Je suis Charlie“nach dem Anschlag auf eine Satirezeit­schrift in Frankreich. Wenn es aber in den USA wieder mal eine Schießerei an einer Schule gibt, reden alle nur darüber, wie schlimm die amerikanis­chen Waffengese­tze sind. Natürlich gibt es auch Deutsche, die mit den USA sympathisi­eren. Ihre Sympathie behalten sie aber meistens für sich.

 ??  ?? Alia Begisheva wurde in Moskau geboren. Heute lebt die 43-Jährige mit ihrem kanadische­n Mann und ihren zwei Kindern in Frankfurt am Main und weiß viel besser als viele ihrer deutschen Nachbarn, dass man Papier und Glas nicht in dieselbe Mülltonne wirft. Jeden Monat schreibt sie diese Kolumne.
Alia Begisheva wurde in Moskau geboren. Heute lebt die 43-Jährige mit ihrem kanadische­n Mann und ihren zwei Kindern in Frankfurt am Main und weiß viel besser als viele ihrer deutschen Nachbarn, dass man Papier und Glas nicht in dieselbe Mülltonne wirft. Jeden Monat schreibt sie diese Kolumne.

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