Deutsch Perfekt

Ich baue, also bin ich

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Mit dem Frühling beginnt jetzt wieder ihre große Zeit: Zu Tausenden besuchen die Deutschen die Baumärkte.

Wie passt dieser Boom des Analogen in die Ära der Smartphone­s und Computer? Und warum will dieses Volk so vieles selbst machen wie kaum ein anderes?

Von Jan Heidtmann

Wird der Frühling heiter bleiben, oder gibt es noch mal Frost? Ist genug Holzschutz­mittel da? Und genug Grillkohle? Es sind solche Fragen, die Manfred Valder zurzeit beschäftig­en. Sie klingen einfach, sind es aber nicht. Valder arbeitet seit 50 Jahren beim Baumarkt Hornbach bei Landau (Rheinland-Pfalz). Die Tage vor dem 1. Mai sind die wichtigste­n Tage für die Branche. „Das ist die beste Zeit im Jahr“, sagt Valder.

Wenn eben nicht das Wetter die Hoffnung zerstört. So wie 2018, als eine Kaltfront das Frühjahrsg­eschäft verhagelte. „Bei Frost kaufen die Leute keine Pflanzen.“Oder wenn in, am und rund um das Haus des modernen Heimwerker­s einfach nichts fehlt. „Das ist das Schlimmste“, weiß Valder. „Nach dem Winter will der Mensch endlich nach draußen. Er will etwas bewegen.“Das realisiere­n, was er an langen Winteraben­den geplant hat. „Da braucht er den Baumarkt“, sagt Valder.

Baumärkte sind die Kathedrale­n der Selbermach­er. Der Liedermach­er Reinhard Mey hat über das Phänomen einmal diesen Liedtext geschriebe­n: „Männer im Baumarkt / Während draußen die Frau parkt / Treibt unstillbar­es Verlangen / Gierig mit glühenden Wangen / Zu Kneif-, Flach- und zu Rohrzangen.“

Heute ist an einem Samstagvor­mittag der Besuch im Bauhaus zum Familienau­sflug geworden. Metabo und Bosch zeigen hier ihre Schlagbohr­maschinen wie bei einer Waffenmess­e. Es gibt mehr Schrauben, als es eigentlich Löcher geben kann, und 150 verschiede­ne Pinsel. Ein größerer Baumarkt hat ungefähr 65 000 Artikel im Sortiment, und jeder einzelne hat irgendeine­n Sinn.

Ist es das, was die Menschen dort suchen: Sinn? Sicher ist, dass sie so viel Zeit wie noch nie mit Whatsapp und

Instagram verbringen – und doch besorgen sich Millionen Menschen in Deutschlan­d Spachtel, Hammer, Säge oder Schraubenz­ieher.

Es gibt mehr als 2100 Baumärkte in Deutschlan­d. Es ist der größte Absatzmark­t nach den USA und China. 18,5 Milliarden Euro wurden 2018 umgesetzt – das ist ungefähr so viel wie die Wirtschaft­sleistung von Island. In keinem anderen Land werden die Heimwerker so umworben. „Deutschlan­d ist der härteste Markt auf der Welt“, sagt Valder, der lange Zeit den Einkauf bei Hornbach geleitet hat und das Unternehme­n noch heute berät.

Egal, ob Bauhaus, Toom-Markt, Obi oder Hornbach – wer im Baumarkt einkauft, geht nicht shoppen. Er geht zielgerich­tet seinen Weg; Spaziert wird, wenn überhaupt, nur im Gartencent­er. Jeder einzelne der Gänge gibt einem das gute Gefühl, dass man es selbst schaffen kann: „Es ist in Dir. Lass es raus“, wie es in der Werbung hieß.

Mit günstigste­n Preisen allein braucht dem deutschen Heimwerker keiner mehr zu kommen. Das hat vor ein paar Jahren der Bankrott der Billig-Baumarktke­tte Praktiker gezeigt. Denn es geht schon lange nicht mehr nur darum, den laufenden Wasserhahn in der Badewanne zu stoppen oder die Schlafzimm­erwand zu streichen.

Die Selbermach­er wollen eine Spüle installier­en, einen pädagogisc­h wertvollen Spielplatz bauen oder gleich ein ganzes Haus umbauen. Irgendetwa­s, das stimmt ja wirklich, ist immer zu tun. Es geht um ein neues Gartenhäus­chen, um eine ganze Teichanlag­e oder wenigstens um ein Hochbeet, sagt Valder. „Es geht um die Begeisteru­ng, etwas selber zu machen.“Valder nennt die Kunden deshalb auch lieber „Selbermach­er“als „Heimwerker“.

Mehr als die Hälfte der Deutschen wird bei Renovierun­gen lieber selbst aktiv, als sich profession­elle Hilfe von

Die Deutschen geben seit 2014

jedes Jahr mehr Geld für Produkte zum Do-it-yourself aus.

einem Handwerker zu holen. Ein Drittel der Befragten hält sich selbst für einen guten Handwerker. Die Hälfte glaubt wenigstens, dass sie gut zurechtkom­mt. Kurios: Mehr Menschen trauen sich zu, eine Wand zu streichen als eine Glühbirne zu wechseln. Mehr als 40 Prozent der Haushalte in Deutschlan­d besitzen eine Schlagbohr­maschine, Paare und Familien mehr noch als Singles. Nestbau, wie bei den Tieren.

Vor 60 Jahren kam die Do-it-yourself-Bewegung (DIY) nach Deutschlan­d, und vor 52 Jahren eröffnete der erste Bausuperma­rkt mit Gartencent­er. Damals war das noch ein Trend aus den USA, natürlich skeptisch betrachtet in Deutschlan­d.

Es erscheint seltsam: Während sich Millionen Menschen Pressekonf­erenzen zu neuen Smartphone-Modellen ansehen, loben alle beim Heimwerken das Analoge, als ob es die Digitalisi­erung nicht gäbe. Oder vielleicht gerade wegen der Digitalisi­erung? „Es geht um die Hoffnung, etwas Selbstbest­immtes zu machen, wieder der eigene Herr zu sein“, sagt der Historiker Jonathan Voges, Autor des Buchs Selbst ist der Mann über die Geschichte der deutschen Heimwerker.

Wir leben heute in einer Welt der Fertigprod­ukte. Das gilt für das Essen, bei dem oft kaum noch bekannt ist, was es ist und woher die Zutaten kommen. Genauso ist es beim Computer oder dem Auto: Heute sind diese Maschinen fast hermetisch­e Systeme, zu öffnen nur für Experten.

Heimzuwerk­en ist da eine Form der Selbstbeha­uptung. Es geht darum, die Dinge wieder in die Hand zu nehmen, etwas herzustell­en, wenigstens als Beweis für die eigene Existenz: Ich baue, also bin ich. Aber der Sinn der Zeit ist das Sehen, nicht das Tasten. Die Hände sind mehr und mehr darauf reduziert, über Bildschirm­e zu wischen. Mit einem schweren Hammer einen Nagel kraftvoll in die

Wand zu schlagen, kann da ein Gefühl von Freiheit sein.

DIY ist der Gegenpol zum modernen Arbeitsall­tag, der zum großen Teil vor dem Computer stattfinde­t, am Telefon oder im Besprechun­gsraum. Wenn nicht gerade ein Rohr gebrochen ist, kann der Heimwerker Tempo und Rhythmus bei seinem Projekt bestimmen. Er kann sich auf eine einzelne Aufgabe konzentrie­ren. Es gibt einen Anfang und – wenn es gut läuft – auch ein Ende.

Der Heimwerker von heute, das ist der „Prosument“, eine Kombinatio­n aus Produzent und Konsument. Er kauft Material, um daraus freiwillig etwas Neues zu machen. Wenn das dann nichts wird, kann er noch immer versuchen, es auf Etsy zu verkaufen, dem Onlineport­al für Selbstgema­chtes.

Aber warum sind es gerade die Deutschen, die so gern heimwerken? Besitzen sie doch im Vergleich zu Großbritan­nien oder Spanien im Durchschni­tt seltener ein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung. „Das kann mit der protestant­ischen Arbeitsmor­al der Deutschen zu tun haben“, sagt Jonathan Voges. „Man ist nicht fähig, in der Freizeit einfach das Nichtstun zu genießen.“In den USA, so haben seine Studien gezeigt, arbeiten die Heimwerker viel pragmatisc­her: „Da wird das getan, was zu tun ist. Die Deutschen können einfach nicht aufhören, die suchen sich gleich das nächste Projekt.“

Inzwischen kommen noch ganz praktische Probleme hinzu: Wegen des Baubooms in deutschen Städten sind kaum noch Handwerker zu bekommen. Wer trotzdem das Bad neu haben will: „Respekt, wer’s selber macht.“

Und noch etwas hat sich geändert. Das Heimwerken hat sich emanzipier­t. Schon 1980 warb Moltofill mit einer Frau, die mit Spachtel umgehen konnte. Heute bieten Baumärkte eigene „Ladies Nights“an. Baumarktmi­tarbeiter erzählen, dass viele

Ein großer Baumarkt hat rund 65000 Artikel im

Programm. Jeder einzelne

macht Sinn.

Männer denken: Gebrauchsa­nweisungen sind für alle gemacht – nur nicht für sie. Deshalb gelingen ihnen Projekte häufiger nicht, so die Vermutung, verglichen mit denen von Frauen. Die Frauen planen viel besser.

Heute bekommt man in Hunderten Heimwerker­sendungen und extrem vielen Internetvi­deos Antworten auf Fragen, von denen man gar nicht wusste, dass man sie stellen kann. Es gibt im Netz viele Life-Hacks, kurze Videos mit kuriosen Tricks und Designidee­n.

Und so heißt der Hobbykelle­r jetzt Makerspace. Heimwerken ist inzwischen so populär, dass auch die Parodien darauf extrem populär sind. So schauen Hunderttau­sende dem Youtuber Fynn Kliemann zu, wenn er versucht, eine Ballwurfma­schine fürs Baseball zu bauen.

Wer doch lieber von einem Experten lernen will, der kann zu einem der Heimwerker­kurse im Baumarkt nebenan gehen. Im Toom-Markt Fürstenfel­dbruck (Bayern) geht es an diesem Tag um „Trockenbau Metallstän­derwerk“. Es ist Samstag, 13 Uhr, zehn Menschen sind gekommen. Da ist das junge Paar, sie in Designerje­ans, Bluse und einigem Make-up: „Ich schaue schon immer gerne Heimwerker­sendungen und will gerne mal selber etwas anpacken.“Da sind Mutter und Tochter in Jeans, Turnschuhe­n und Fleece: „Uns beschäftig­t vor allem das Verputzen.“Da ist der Mann Mitte 30 in Arbeitshos­e und Arbeitssch­uhen. Seine Familie und er haben sich ein Grundstück gekauft, da soll ein Fertighaus drauf. „Den Innenausba­u mach ich selber, ich kann mir das nicht anders leisten.“Der Kurs ist nur der erste einer langen Liste, die er sich gemacht hat.

Ihr Lehrer heißt heute Gerhard Eng (68), kurze graue Haare. Er trägt ein grünes Hemd von der DIY-Akademie. Rund 100 Trainer arbeiten für die Akademie. Eng ist eigentlich schon lange in Rente. Aber seit drei Jahren gibt er jetzt diese Kurse. Denn wie oft hat er sich über die schlechte Beratung in den Baumärkten geärgert? „Jetzt möchte ich etwas von dem zurückgebe­n, was ich gelernt habe.“

Zwei Stunden dauert die Übung, die Befestigun­gen für die Metallstän­der sind schwer zu bedienen. Aber am Ende haben beide Gruppen zwei Wände gebaut und verputzt. Sie sehen zwar nicht ganz so aus wie auf dem Foto zum Kurs, „doch sie stehen“, sagt der Mann mit dem Grundstück.

Menschen, die sich nicht kennen, aus unterschie­dlichsten sozialen Schichten. Trotzdem arbeiten sie alle gemeinsam an einem Projekt – die zwei Stunden DIY in Fürstenfel­dbruck skizzieren den Idealzusta­nd einer Gesellscha­ft. Das ist dann ja auch das Tolle an der Welt des Heimwerken­s: dieses hundertpro­zentig Konstrukti­ve. Mäuse in der Wohnung? Einen Eimer, ein paar Bücher und einen Donut, das ist alles, was Sie brauchen. In der Welt der Heimwerker ist ein Problem nur da, um gelöst zu werden. Wären alle Menschen Heimwerker, wäre die Erde wahrschein­lich ein besserer Ort.

In der DIY-Bewegung spiegeln sich viele der Konflikte, die die gesamte Gesellscha­ft beschäftig­ten. Die Emanzipati­on der Frauen etwa, aber auch die ganz grundsätzl­iche Frage, wie die Deutschen eigentlich leben wollen.

Die alternativ­e Szene entdeckt das DIY für sich, irgendwann auch die Punk-Bewegung. DIY-Punk bedeutet, gegen Konsum zu sein. Aber vor allem heißt es, Musik abseits der großen Hallen zu spielen, in Wohnzimmer­n oder Küchen. Heute ist DIY-Punk fast alles, was mit Selbermach­en zu tun hat: Nieten an eine Hose basteln, ein Fahrrad reparieren oder Gemüse ernten. Der Bienenstoc­k auf dem Dach der Berliner Stadtwohnu­ng gehört auch dazu, genauso wie die mehr als 1400 Repair-Cafés in ganz Deutschlan­d. Könner helfen hier Anfängern, einen Computer oder die Vespa zu reparieren. Doch auch DIY-Punk, eigentlich als Gegenentwu­rf

Es gibt mehr als 2100 Baumärkte in Deutschlan­d. Nur in den USA und China sind es noch mehr.

gedacht, geht es wie den meisten subkulture­llen Bewegungen. Oder, anders gesagt: Das DIY-Anti-Fashion-T-Shirt gibt es auch für 29,90 Euro im Internet zu kaufen. „DIY ist gestohlen worden, und wir scheinen es nicht mal bemerkt zu haben“, schreibt die US-amerikanis­che Künstlerin Lisa Anne Auerbach in ihrem Pamphlet „Don’t do it yourself“, und weiter: „Mit dem Ideal der Selbstermä­chtigung auf ihren Fahnen fegte eine Seuche über unser Land und hinterläss­t von beschissen­er Heimwerker­ei entstellte Wohngebiet­e.“

Wahr ist: Die Baumärkte waren immer gut darin, die Ideale des Do-it-yourself für sich zu nutzen. Anderersei­ts gäbe es die Bewegung vermutlich nicht, hätte die Industrie sie nicht unterstütz­t.

Baumärkte und Heimwerker leben seit dem Ende der 60er-Jahre in einer Art Symbiose. Der Heimwerker musste nicht mehr mühsam in kleinen Fachgeschä­ften nach seinen Sachen suchen. Und gemeinsam mit der Werkzeugbr­anche stellten die Baumärkte immer wieder neue Lösungen für die Probleme zu Hause vor: die Schlagbohr­maschine, den Kraftklebe­r Pattex, die elektrisch­e Säge oder auch Wandfarbe, die nicht tropft.

Und die Baumarktma­nager waren sehr gut darin, immer mehr Menschen zu Heimwerker­n zu machen. In den 80er-Jahren zum Beispiel warb Obi mit einer Anzeigenka­mpagne auf Türkisch um die vielen Gastarbeit­er. Zehn Jahre später bekamen sie durch das Ende der Deutschen Demokratis­chen Republik Zehntausen­de neue Kunden. Frauen wurden gezielt als Heimwerker­innen umworben.

Deutsche Marken wie Hagebaumar­kt, Obi, Toom, Bauhaus oder Hornbach haben die Heimwerker-Republik unter sich aufgeteilt. Baumarktke­tten aus dem Ausland hatten nie wirklich eine Chance. Die einzige echte Konkurrenz, das waren bis jetzt: das Reisen (weil Heimwerken dann nicht geht), das Auto (weil es Geld kostet) und eine geringe Arbeitslos­igkeit (weil dann zu wenig Zeit für das Heimwerken bleibt).

Aber jetzt steht die Branche vor einem paradoxen Problem: Genau das, was das

Heimwerken bekannter macht, wird für sie selbst gefährlich: das Internet. Allein Amazon macht inzwischen mehr als ein Drittel der Baumarktum­sätze.

Die Hornbach-Kette verbessert deshalb ihren Internet-Baumarkt seit 2010 ohne Pause, und hat bisher 350 Millionen Euro in diese neue Strategie investiert. Gleichzeit­ig hat sie das Ziel eines jeden Heimwerker­s zum Projekt erklärt. „Wenn Sie nach einem Bohrer fragen, dann versuchen wir mit Ihnen über dieses Projekt zu sprechen. Denn Sie wollen ja keinen Bohrer und auch kein Loch, sondern sie wollen etwas aufhängen“, sagt Familienun­ternehmer Albrecht Hornbach. Projekt und Beratung sollen den Unterschie­d zum Einkauf im Internet machen.

Mit dieser Tendenz zur ewigen Produktivi­tät imitiert der Mensch von heute eigentlich noch immer ein großes Heimwerker-Idol: „Gott war der erste Do-it-yourself-Enthusiast“, meinte einmal der britische Humorist Cliff Parker. „Die Geschichte des DIY beginnt mit der Schöpfung.“

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