„Die D-Mark ist mehr als nur Geld“
Zwar gibt es schon lange den Euro in Deutschland. Aber unsere Lieblingsrussin weiß, dass die Menschen hier immer noch die D-Mark ehren – und nicht nur im Parlament auch wirklich noch benutzen.
In vielen öffentlichen Gebäuden in Deutschland gibt es wie in Schwimmbädern Schließfächer für Taschen oder Kleidung. Um sie abschließen zu können, muss der Besucher eine Münze einwerfen, meistens einen Euro. Neulich las ich in der Zeitung etwas Kurioses: Die Schließfächer im Berliner Parlament würden noch die alten D-Mark-Münzen nehmen. Die Überschrift dazu: „Unsere Politiker sind echt von gestern!“
Das ist wirklich lustig, aber auch totaler Quatsch: Deutsche Politiker sind voll im Trend! Sie sprechen ihren Bürgern aus der Seele. Denn laut Statistik hat jeder Deutsche noch viel altes Geld rumliegen. Fast 13 Milliarden Mark (umgerechnet etwa sechs Milliarden Euro) sind noch nicht umgetauscht worden – und das 18 Jahre nach der Einführung des Euros. Und selbst wenn einiges einfach verloren gegangen ist, bleibt immer noch absurd viel Geld übrig, von dem sich die Menschen einfach nicht trennen können. Für die Schließfächer sollte das genug sein.
Aber die Menschen behalten nicht nur kleine Münzen als Souvenir in Gläsern. Die Deutschen hängen vor allem an großen Scheinen: Die 100er, 200er, 500er und 1000er werden von der Bundesbank, die das alte Geld annimmt, am meisten vermisst. Manche vererben sie sogar ihren Kindern. Als wären die alten Scheine so etwas wie Gold. Die höchste Summe, die bei der Bundesbank abgegeben wurde, war 300 000 Euro wert. Jemand hatte das Geld vor seinem Tod im Keller in einer Kiste versteckt. Die haben die Erben dann zufällig entdeckt.
Das Ganze ist seltsam, hat aber eine Erklärung. Die Mark war schon immer viel mehr als nur Geld. Bei ihr denkt der Deutsche an Wohlstand, Stabilität, Qualität und Ordnung. Und wenn jemand an „gute alte Zeiten“denkt, hat dort die Mark einen festen Platz. Für viele steht sie auch für den Neuanfang nach dem Krieg. Als die Währung unter strengster Geheimhaltung aus New York in Tausenden Holzkisten nach Deutschland gebracht wurde, war das Land von Krieg und Inflation zerstört. Mit der Mark kamen auch die Wirtschaftsreformen und der Boom der 50er-Jahre. Sie wurde zum Nationalsymbol, die Menschen waren stolz auf ihre stabile Währung.
Zwar hat Deutschland auch von der Einführung des Euro profitiert. So viele Emotionen wie die Mark konnte das neue Geld aber noch nicht wecken. Wie auch, wenn mit dem Verlust der alten Währung ein Teil der deutschen Identität verloren gegangen ist? Auch ich weiß nicht so richtig, was auf den Euro-Münzen und -Scheinen abgebildet ist. An den deutschen Mathematiker Gauß, die Pianistin Clara Schumann oder die Gebrüder Grimm auf den alten Scheinen kann ich mich aber noch gut erinnern.
Wahrscheinlich deshalb wurde in Deutschland auch nie eine Frist gesetzt, bis wann die Mark in Euro umgetauscht werden soll, wie in anderen Euro-Ländern. Das wissen auch Firmen zu nutzen: So können Kunden von der Modekette C&A ihre Einkäufe seit Herbst 2018 auch wieder in D-Mark zahlen. Das Wechselgeld bekommen sie allerdings in Euro.