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WIE GEHT ES EIGENTLICH DEM … Flughafen Tegel?

Wenn in einem halben Jahr endlich Berlins neuer Flughafen eröffnet wird, soll Schluss sein mit dem Airport im Nordwesten Berlins. Aber nicht erst heute stellt sich die Frage: Wie gut funktionie­rt ein Flughafen noch, den es eigentlich seit 2012 schon nich

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An Gate A08 und A09 sind sie kurz davor, aufeinande­r loszugehen. Es ist ein ganz normaler Freitagvor­mittag am Flughafen Tegel. Auf der Anzeige stehen drei Maschinen, die hier in den nächsten Stunden abfliegen sollen. Deren Passagiere wollen nun zu ihrem Gate. Aber dorthin kommen sie nur durch eine Glastür, dahinter beginnt gleich die Sicherheit­skontrolle. Nach vorne geht es nur langsam, weil sich alle durchleuch­ten lassen müssen, von hinten schieben die Leute nach. Und so drängen die Fluggäste von drei Maschinen durch ein Nadelöhr.

Ein koreanisch­er Tourguide versucht, seine Reisegrupp­e durch die Menge vorwärts zu bringen. Er hat dabei aber wenig Erfolg, weil ein kräftiger Mann mit russischem Pass in der Hand laut schimpfend den Weg blockiert. Hinter der Glastür wird gerade eine der drei Maschinen aufgerufen, deren Fluggäste allerdings noch hinter den Koreanern warten. Die Stimmung wechselt zwischen Wirtshauss­chlägerei und Massenpani­k. Irgendwann verliert der Koreaner seine asiatische Gelassenhe­it. „Das ist Deutschlan­d hier, oder?“, schreit er. „Nein, das ist Chaos!“

Willkommen am Flughafen Berlin-Tegel. Hier treffen sehr viele Menschen

aufeinande­r, die entweder nach Berlin reisen oder die Stadt verlassen möchten. Jedes Jahr werden neue Rekorde bei den Passagierz­ahlen gemeldet. 2019 zählten die Statistike­r 24,2 Millionen Fluggäste, fast 2,3 Millionen mehr als im Jahr 2018.

Und das, obwohl es das alles gar nicht mehr geben sollte. Seit 2012, um genau zu sein, da war die Eröffnung des Hauptstadt­flughafens BER geplant. Dass es nicht so weit kam, ist das Thema von sehr vielen Witzen („Was haben der Mars und der Berliner Flughafen gemeinsam? In 30 Jahren werden die ersten Menschen darauf landen“). Tatsache ist allerdings, dass das Ende von Tegel seit Langem feststeht. Spätestens sechs Monate nachdem der BER in Betrieb geht, muss der Airport stillgeleg­t werden. Seit 2004 hat Tegel keine Betriebsge­nehmigung mehr, eine Art Gnadenfris­t.

Tegel ist auch gar nicht für solche Massen gebaut. Als 1948 mit seinem Bau begonnen wurde, war Westberlin eine Insel, die über eine Luftbrücke versorgt werden musste. Ein Ort, an den keiner wollte, der nicht musste. Geplant wurde der Flughafen für sechs Millionen Passagiere im Jahr. Heute ist Berlin eines der beliebtest­en Städtereis­eziele, 2018 kamen 13,5 Millionen Touristen in die Stadt. In Tegel erfährt man, was passiert, wenn ein Flughafen seit Jahren am Limit ist.

Das Limit ist überall zu spüren.Wenn man in einem startberei­ten Flugzeug sitzt, das sich aber nicht bewegt, weil kein Schleppfah­rzeug in der Nähe ist. Wenn man ein gelandetes Flugzeug nicht verlassen kann, weil keine Treppe gebracht wird. Wenn man in einer der Schlangen beim Einchecken oder an der Sicherheit­skontrolle steht, die wegen der Massen so lang sind und so langsam vorwärts kommen, dass Passagiere regelmäßig ihre Maschinen verpassen. Wenn man nach der Landung in einer Schlange am Taxistand steht, weil man in Tegel überall Schlange steht, und dann mit einem Amerikaner ins Gespräch kommt. Er ist aus New York und das erste Mal in der Stadt. Er hatte gedacht, Berlin, Capital of Germany, „die haben einen Riesenairp­ort so wie Frankfurt, nur doppelt so groß“. Und dann das hier: „Pathetic!“

Es ist noch nicht lange her, da war Tegel einer der beliebtest­en Flughäfen des Landes. Wegen seiner besonderen sechseckig­en Architektu­r aus den 70er-Jahren, die schon lange unter Denkmalsch­utz steht. Wegen seiner kurzen Wege. Am Terminal A wird das Handgepäck dort kontrollie­rt, wo die Leute einchecken und auch abfliegen, bequemer und schneller geht es kaum. Und aus der Innenstadt ist man mit U-Bahn und Bus in 30 Minuten am Flughafen. Es gibt Fans in Berlin, die sich „Tegelianer“nennen. Und als im Jahr 2017 in einem Referendum darüber abgestimmt wurde, ob Tegel auch nach der Eröffnung des BER als Flughafen in Betrieb bleiben soll, war die Mehrheit dafür.

Da das Referendum keinen Gesetzentw­urf enthielt, war das Ergebnis nicht bindend. Es wurde vom Berliner Senat als nicht realisierb­ar abgelehnt. Inzwischen redet allerdings kaum noch jemand davon. Sogar große Tegel-Fans warten nur noch darauf, dass der Hauptstadt­flughafen endlich fertig wird. Das soll, wenn man der Berliner Flughafeng­esellschaf­t glauben darf, Ende Oktober nun aber wirklich passieren. Anderersei­ts: Das hat man auch schon 2013, 2016 und 2018 gedacht.

Solange muss jedenfalls der Betrieb in Tegel weiterlauf­en. Dafür ist unter anderem Katy Krüger zuständig, Leiterin des Terminalma­nagements. Aus ihrem Büro sieht man auf das Flugfeld, dauernd starten Maschinen, am Spitzentag im Juni 2018 waren das 52 Flugzeuge in einer Stunde. Und man sieht zusammenge­würfelte Gebäudetei­le: die Bauten, die in den letzten Jahren angestücke­lt werden mussten. Das Terminal C etwa, weshalb man sich auf dem Flughafen seinen Weg über improvisie­rte Brücken und abgelegene Treppenhäu­ser suchen muss.

Krüger ist verantwort­lich für die Ab läufe auf den Terminals, daneben muss sie ihre Leute auch schon für den Betrieb auf dem BER vorbereite­n. Sie kann

Seit 2004 hat der Flughafen

für seinen Betrieb keine Genehmigun­g

mehr.

sich noch gut an die Zeit erinnern, als sie 2008 als Verkehrsle­iterin anfing. Damals war sie eine der ersten Frauen in einem solchen Job. Seit ihrem Start ist ihrer Meinung nach der Anspannung­sgrad in jedem Jahr gestiegen. Die Infrastruk­tur aber blieb eigentlich die gleiche.

Die hat Flughafenc­hef Engelbert Lütke Daldrup bei einem Rundgang Ende 2018 Mitglieder­n des Berliner Abgeordnet­enhauses gezeigt. Die mehr als 40 Jahre alten Gebäude, die sanierungs­bedürftige­n Start- und Landebahne­n und natürlich die Notstromag­gregate: zwei französisc­he Dieselmoto­ren aus einem alten Schiff aus den 60er-Jahren, für die es keine Ersatzteil­e mehr gibt. Die Mitarbeite­r des Flughafens bauen sie selbst.

Die marode Infrastruk­tur ist vor allem ein Problem für die Menschen, die auf dem Flughafen arbeiten. Um sie geht es nun in einem der Flughafenb­üros. Dorthin sind in der Mittagspau­se Leute gekommen, die für die Firma Wisag arbeiten. Das ist einer der Dienstleis­ter, die etwa für Check-in, Gepäck und die Fahrzeuge auf dem Rollfeld zuständig sind.

Sibel Yavuz ist eine davon. Seit 1991 arbeitet sie in Tegel, damals haben sie drei Flüge am Tag abgefertig­t. Heute ist sie als Supervisor­in bei der Gepäckabfe­rtigung zuständig für 630 Leute. Das Gepäck ist in Tegel ein Thema für sich. Die Förderanla­gen sind in Teilen noch aus den 70er-Jahren. Die Koffer können nicht automatisc­h verteilt werden wie an anderen Flughäfen, in Tegel ist das meiste Handarbeit. Die Keller, in denen die Koffer sortiert und verladen werden, sind eng, und fast täglich fällt eines der Bänder aus. Die vergangene­n Sommer waren besonders schlimm, findet Yavuz, „der Andrang, die Hitze und die schweren Koffer, da hatte ich wirklich Respekt vor den Jungs“.

Was eine so alte Anlage bedeutet, konnte man in den vergangene­n Jahren sehen. Besonders schlimm war es 2015 nach dem Sturm Niklas. Da konnten die Mitarbeite­r nicht an die Ladeluken der Flugzeuge, zehn Stunden lang war es unmöglich, Koffer einzuladen oder auszuhändi­gen. Insgesamt 6000 Gepäckstüc­ke liefen auf. Sie abzuarbeit­en und ihren Besitzern zuzuordnen, dauerte Tage. Die Verlustmel­dungen mussten nämlich erst einzeln ausgefüllt und dann ins System getippt werden. Die Zeile aus dem bekannten Lied „Ich hab’ noch einen Koffer in Berlin“bekam da eine ganz neue Bedeutung.

Wie hoch der Preis dafür ist, hat ein Mitarbeite­r des Rollfelds einmal anonym der Berliner Tageszeitu­ng Tagesspieg­el beschriebe­n: Die Hitze im Sommer, die Kälte im Winter, und dann im Flugzeugba­uch stehen und in 15 Minuten knapp 200 Koffer aus- und 200 wieder einladen: „Man soll so schnell wie möglich ans Ziel kommen, und die anderen stellen einem Steine in den Weg.“Da wundert es niemanden, wenn nur wenige diesen Knochenjob machen wollen, der auch nicht besonders gut bezahlt ist.

Der Flughafens­eelsorger Martin Taegener kennt diese Geschichte­n. Taegener sitzt in einem dreieckige­n Büro gegenüber dem Gate, auf dem sich gerade die Passagiere des Fluges nach Tel Aviv bis in die Abflughall­e zurückstau­en. Der frühere Jurist wollte nach seiner Pensionier­ung „etwas von unten tun“und meldete sich ehrenamtli­ch für die Flughafens­eelsorge.

Taegener hat vieles gesehen. Passagiere, die plötzlich am Rollfeld sterben. Leute, die Angehörige vom Flugzeug abholen, die bei einem Busunglück schwer verletzt wurden. Vor allem aber fühlt er sich für die Mitarbeite­r des Flughafens zuständig. Viele werden krank, viele gehen schon bald, nachdem sie angefangen haben.

Aber Taegener erzählt auch von einer großen Solidaritä­t unter den Mitarbeite­rn. „Man hilft sich, der eine hat einen Blick für die Not des anderen.“Er ist nicht der Einzige, der davon erzählt. Immer wieder hört man vom „Tegel-Spirit“, von der Not, die eben auch zusammensc­hweißt. Und auch eines sagen einem die Leute immer wieder: Eigentlich wollen sie hier gar nicht weg.

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Flughäfen.
Die Koffer können nicht automatisc­h verteilt werden wie an anderen Flughäfen.

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