GESCHICHTEN AUS DER GESCHICHTE Vor 150 Jahren: die Suche nach dem antiken Troja
Es ist illegal, aber das interessiert den reichen Hobbyarchäologen nicht: Vor 150 Jahren beginnt Heinrich Schliemann am türkischen Berg Hisarlık Tepe mit seiner Suche nach dem antiken Troja.
Vielleicht hat Heinrich Schliemann ja an Homer gedacht, als er für eines seiner Bücher die folgende Episode formuliert hat. Er erzählt von Weihnachten1828. Sein Vater, schreibt Schliemann, schenkt ihm das Buch Die Weltgeschichte für Kinder. Der knapp Siebenjährige ist sofort fasziniert von der Antike. Besonders gefällt ihm die Erzählung vom Trojanischen Krieg. Wenn das alles vor Tausenden Jahren so passiert ist, sagt er zum Vater, dann müssen doch noch irgendwo Spuren davon zu finden sein. Und er formuliert ein großes Ziel: Diese Spuren will er finden.
So oder so ähnlich erzählt der erwachsene Schliemann später oft von seinem Enthusiasmus für die alten Griechen. Alles Fiktion, glaubt sein Biograf heute. Schliemann hat aus seinem Leben eine Legende gemacht. Aber es ist gar nicht so wichtig, ob er wirklich schon als Kind von Troja fasziniert war. Denn gegraben hat der Hobbyarchäologe tatsächlich – und an verschiedenen Orten wirklich viele Spuren der Antike gefunden.
Seine berühmteste Suche beginnt vor 150 Jahren im Westen der Türkei, am Berg Hisarlık Tepe. Im Frühling 1870 stellt Schliemann dort eine Gruppe Arbeiter an und beginnt zu graben – an
der Stelle, wo er das Troja vermutet, von dem Homer in seiner Ilias schreibt. Eine Erlaubnis der Behörden hat Schliemann nicht. Er wartet seit Monaten darauf und hat keine Geduld mehr. Also gräbt er ohne Genehmigung.
Er und seine Arbeiter graben auf einer Länge von 20 Metern und bis zu drei Meter tief. Für spätere Archäologen ist das eine Katastrophe, weil in den oberen Erdschichten wichtige jüngere Spuren liegen. Schliemann und seine Helfer finden am Hisarlık Tepe viele Hinweise darauf, dass dort viele Hundert Jahre lang Menschen gelebt haben. Drei Jahre später, 1873, wird er an diesem Berg einen Goldschatz finden, den „Schatz des Priamos“. Der Öffentlichkeit teilt er mit: Troja ist gefunden!
Für den 51-Jährigen ist das ein erster großer Triumph. Sein Leben bis zu diesem Zeitpunkt ist selbst so spannend wie ein Epos – ganz ohne die Mythen, die er noch erfindet.
Schliemann wächst in Mecklenburg auf. Sein Vater ist Pastor, seine Mutter stirbt nach der Geburt des neunten Kindes. Das Geld reicht nicht, um Heinrich auf das Gymnasium zu schicken. Er besucht die Schule, bis er 14 ist. Dann beginnt er eine Lehre zum Kaufmann. Auf der Suche nach Arbeit geht Heinrich nach Hamburg und will schließlich nach Venezuela emigrieren. Im November 1841 fährt sein Schiff aus Hamburg ab – und sinkt wenig später vor der niederländischen Küste.
Heinrich überlebt, geht nach Amsterdam und findet Arbeit in einem Handelshaus. Damit beginnt eine fantastische Karriere. Denn Schliemann ist ein Sprachgenie. In kurzer Zeit lernt er Niederländisch, Englisch, Französisch und Russisch. 1846 schickt ihn das Handelshaus als Kaufmann nach Sankt Petersburg.
Bald eröffnet Schliemann in Sankt Petersburg sein eigenes Handelshaus. Er gründet eine Bank für Goldhandel in Kalifornien, heiratet und verdient sehr viel Geld mit illegalem Handel während des Krimkriegs. Als dieser Krieg 1856 endet, ist Schliemann Multimillionär. Der 34-Jährige findet, dass er genug Geld verdient hat. Jetzt ist es Zeit für die Dinge, die ihn wirklich interessieren.
Also lernt er weitere Sprachen. Er studiert in Paris und geht auf Studienreisen nach Asien und Amerika. 1868 unternimmt er seine erste Forschungsreise nach Griechenland. Auf der Insel Ithaka sucht er ohne Erfolg nach dem Palast des Odysseus. Er reist in die Türkei, um nach Troja zu suchen. Homers Ilias hat er immer dabei. Er vergleicht die Landschaft mit den Beschreibungen aus dem Epos. Schliemann glaubt, dass alles wirklich so passiert ist, wie es Homer erzählt.
Aber in der Türkei sucht er zuerst am falschen Ort. Von dem Engländer Frank Calvert bekommt Schliemann den Hinweis auf den Hisarlık Tepe: Calvert vermutet das antike Troja dort. Aber Schliemann wird der Erste, der dort erfolgreich gräbt. Der Deutsche erwähnt Calvert in seinen Publikationen zwar als wichtige Quelle. Aber er nennt trotzdem vor allem sich als Entdecker Trojas.
Schliemanns Entdeckungen werden von den deutschen Archäologen am Anfang mit wenig Respekt kommentiert. Die Wissenschaftler halten wenig von dem enthusiastischen Millionär. Aber im Ausland, vor allem in England, und in der deutschen Öffentlichkeit wird der Hobbyarchäologe schnell populär.
Über Schliemanns Entdeckungen wird kontrovers diskutiert. So bringt er den „Schatz des Priamos“erst ohne Erlaubnis aus dem Land. Später kauft er ihn der osmanischen Regierung ab. Außerdem ist seine Datierung falsch. Spätere Grabungen zeigen, dass der Schatz viel jünger ist, als Schliemann glaubt. Er kann nicht aus der Zeit des Trojanerkönigs Priamos sein.
Trotz aller Kontroversen ist Heinrich Schliemann ein Pionier archäologischer Grabungen. Bis zu seinem Tod 1890 unternimmt er viele weitere Grabungen. Seine Entdeckungen interessieren die Menschen bis heute. Und am Hisarlık Tepe suchen Archäologen immer noch nach neuen Spuren Trojas. Der Mythos lebt weiter.
Bis heute suchen Archäologen am Hisarlık Tepe nach Resten
von Troja.