Der Kult ums gute Brot
In den letzten Jahren wurde in Deutschland billiges Fabrikbrot von schlechter Qualität immer populärer. Aber jetzt zahlen immer mehr Großstädter hohe Preise für etwas, das früher ganz selbstverständlich war: leckeres Brot. Retten sie die grandiose deutsche Brotkultur? Von Steffen Fründt und Claudia May; Fotos: Kathrin Koschitzki
Der Laden ist nur vier Quadratmeter groß und schwarz wie ein Ofen von innen. Darin steht ein einzelner antiker Verkaufstisch aus einer alten Apotheke. Auf einer schwarzen Bastmatte liegt, im Licht von mehreren Halogenlampen, die Ware. Durch die Art der Präsentation wirkt das wie ein Stillleben eines alten Meisters. Und das, obwohl auf dieser Bastmatte ein sehr einfaches Produkt liegt: Brot.
Christian Aeby verkauft Brot. Nur eine Sorte, sonst nichts. Aber das mit großem Erfolg. In seiner früheren Karriere produzierte der 62Jährige Clips für die Werbung von Mercedes, BMW und Chrysler. Nun ist es Brot. In einer Backstube bei Hamburg stellt er aus Weizenmehl, Wasser und nur wenig mehr ein einfaches Sauerteigbrot her. Das Rezept kommt von Aeby selbst, die wichtigste Zutat ist Zeit.
Rund 60 Stunden ruht der Teig, bevor Aeby ihn in den Holzofen schiebt. „Dadurch wird das Brot so aromatisch und irrsinnig bekömmlich“, sagt er. Seit einem halben Jahr hat er seinen kleinen Laden im Hamburger GutverdienerStadtteil Hoheluft, und die Leute stehen Schlange. Und das, obwohl 500 Gramm Brot bei dem Schweizer fünf Euro kosten.
Das passt eigentlich nicht zum Klischee der Deutschen: Sie sparen nämlich gern bei der Ernährung. So haben sie 2018 nur 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Lebensmittel ausgegeben. Zum Vergleich: In Frankreich waren es 6,3, in Polen 8,6 und in Rumänien 15 Prozent.
Aebys später Start als Bäcker klingt nach einem von vielen DeluxeAussteigern. ExManager, die jetzt Weinbauern sind, oder Investmentbanker, die inzwischen Schafe hüten. Aebys Gründerstory ist ein typisches Beispiel für ein neues Geschäftsmodell, das eigentlich sehr alt ist: Backen. Wie ein richtiger Bäcker, mit
einfachen Zutaten, Teigruhe und so weiter. Das klingt in unserer stressigen Zeit verrückt, funktioniert aber sehr gut.
Nach Jahrzehnten des Niedergangs der deutschen Backkultur wirkt es so, wie wenn ein Teil der Menschen keine Lust mehr auf billiges Industriebrot hat. Diese Menschen bezahlen auch viel Geld für ein Grundnahrungsmittel, das früher ganz alltäglich war und heute kaum noch zu kriegen ist: ein gutes Brot.
Denn Brot essen die Deutschen gern und viel: 2018 hat jeder Haushalt laut Gesellschaft für Konsumforschung 42,4 Kilogramm Brot gekauft. Dazu kommen noch die vielen (und populären) Snacks, die auf Basis von Brötchen oder Brot gemacht werden. Die populärste Sorte ist übrigens klar das Mischbrot, also Brot aus einer Mischung aus Roggen und Weizenmehl. Fast jedes Dritte verkaufte Brot ist ein Mischbrot. Danach kommen in der Statistik das Toastbrot (20 Prozent) und Brote mit Körnern und Saaten (15 Prozent).
Die neue Elite der Branche ist meistens in GutverdienerStadtteilen von Großstädten zu finden. Sie heißen „Zeit für Brot“, „Brodstätte“, „Brotpuristen“oder „Bäcker Gaues“. Ihre Verkaufsstellen sind mit Holz, Terrakotta oder Backstein designt. Sie geben den Kunden das Gefühl, eine Backstube aus dem 19. Jahrhundert zu besuchen. In Körben liegt ihr Backwerk mit dunkler Kruste. Die Preise, oft handschriftlich auf kleine Schilder geschrieben, werden zum Statement gegen die Billigkultur: Wir wollen keine DiscounterBrotEsser sein. Die neuen Bäcker hatten vorher oft einen anderen Beruf. Wie beim CraftbeerTrend fangen sie an, den Alten der Branche Kunden wegzunehmen.
Hinter den „Brotpuristen“, die in RheinlandPfalz großen Erfolg haben, steht der Betriebswirt Sebastian Däuwel. Er schob nach Feierabend in seinem Tennisklub Brote in den Ofen. Die auf glutenfreies Brot spezialisierte HipsterBäckerei Aera wurde von der Berliner
Schauspielerin Ava Celik gegründet. Auch die sechs NostalgiebrotFilialen von „Zeit für Brot“in vier Städten werden von einem Betriebswirt geführt, Dirk Steiger. Der war davor Chef der Filmfirma Senator. Seit letztem Jahr unterstützt ihn der Finanzinvestor Afinum, Steiger möchte expandieren. „Wir wollen die Zahl unserer Standorte in den kommenden zwei Jahren verdoppeln“, sagt er.
„Wir beobachten einen Trend zu mehr Qualität. Kunden wollen gutes Brot und Brötchen, mit denen man nicht nach einer Stunde schon jemanden den Kopf einschlagen kann“, sagt Daniel Schneider vom Zentralverband des deutschen Bäckerhandwerks. Zuletzt musste die Branche durch schwere Zeiten. In einer Zeit von 20 Jahren hat sich die Zahl der Bäckereien halbiert, von 21 400 auf 10 900, und sie sinkt weiter. Dafür werden die Betriebe größer, und sie verkaufen mehr Ware als vorher – wegen belegter Brötchen und Coffee to go. Konzentrationsprozess nennt man das in anderen Branchen.
Die Wahrheit ist, dass die älteren Betriebe selbst Teil der Krise waren. Viele konventionelle Bäcker sind zusammen mit anderen schuld am Niedergang ihres Handwerks. Viele von ihnen haben intensiv mit industriellen Backmischungen gearbeitet. Sie haben Standardware aus Großbäckereien angeboten. Und in ihren Filialen standen Aufbacköfen. Deshalb sind manche konventionellen Bäcker von den Backstationen der Discounter und Tankstellen kaum noch zu unterscheiden. Als die deutsche Brotkultur vor fünf Jahren in die UNESCOListe für immaterielles Kulturerbe aufgenommen wurde, war das nicht für jeden zu verstehen.
Vielleicht hat die UNESCO bei dieser Entscheidung ein bisschen an die gute, alte Zeit gedacht. Trotzdem: Auch heute gibt es nur in Deutschland eine so gigantische Brotvielfalt. Auf der Webseite des Zentralverbands des deutschen Bäckerhandwerks sind aktuell fast 3200 verschiedene Brotspezialitäten registriert.
Viele Bäcker sind zusammen mit anderen schuld an den Problemen der
Branche.