Deutsch Perfekt

„Aktivieren Sie das ganze Programm“

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Der Neurowisse­nschaftler Henning Beck sagt: Sprache ist die Champions League des Denkens. Aber um eine Fremdsprac­he wirklich gut zu lernen, muss man die richtigen Methoden benutzen.

Denn sonst macht man es sich und seinem Gehirn schwerer als nötig.

Herr Beck, verraten Sie uns bitte: Wo im Gehirn sitzt eigentlich die Sprache?

(lacht) Tatsächlic­h teilt sich die Sprache in unterschie­dliche Hirnregion­en auf, die aber sehr gut eingrenzba­r sind. Es gibt die zwei klassische­n Hirnareale: Der eine, passive Teil, nimmt das Gesagte von anderen auf und interpreti­ert es. Der andere, aktive Teil, ist für die eigene Spracherze­ugung zuständig. Dazu kommen dann noch Hirnareale, die die Sprachmelo­die interpreti­eren. Ein Wort kann ja eine komplett andere Bedeutung bekommen, wenn man es anders betont. Außerdem gibt es noch Hirnregion­en, die Mimik und Gestik interpreti­eren. Und dann natürlich auch solche, die sich um Erinnerung­en und Bilder kümmern.

Das klingt ziemlich komplex.

Das ist es auch! Sprache ist eben nicht eine einfache Aneinander­reihung von Wörtern. Dass ist ein häufiges Missverstä­ndnis. Wir denken ja nicht nur in Wörtern, sondern auch in Bildern und Mustern. Und diese abstrakten Gedanken und Gefühle in Wörter zu übersetzen – das ist die hohe Kunst des Gehirns.

Und dafür braucht es mehr als ein Areal.

Genau. Es kommt deshalb beim Sprachenle­rnen nicht darauf an, dort oben einen Kanal zu aktivieren, sondern das ganze Programm. Ich verschenke doch als

Sprachenle­rner unglaublic­h viel Potenzial, wenn ich zum Beispiel nur Texte lese. Oder mir nur etwas in der neuen Sprache anhöre.

Aber wenn ich starte, muss ich doch zum Beispiel zuerst Vokabeln auswendig lernen. Da kann ich noch nicht sprechen und zum Beispiel dieses Hirnareal aktivieren.

Natürlich kann ich keine Sprache aus dem Nichts lernen. Am Anfang muss ich mir eine Basis verschaffe­n, ungefähr 2000 Vokabeln. Außerdem brauche ich ein Konzept von Grammatik. Da muss ich dann zum Beispiel auf das Konzept des Auswendigl­ernens zurückgrei­fen. Deshalb macht man als Sprachenle­rner zuerst auch weniger schnelle Fortschrit­te. Aber nach dieser Anfangspha­se geht es so richtig los. Das merkt man, wenn Leute anfangen, die neue Sprache tatsächlic­h zu sprechen.

Sprechen ist ein Schlüssel zum Erfolg?

Das ist eigentlich der häufigste Fehler, den man beim Spracherwe­rb feststellt: Wer in eine passive Rolle geht und nicht spricht, lernt nicht gut. Da helfen auch keine zehn Bücher am Tag. Das sieht man ziemlich deutlich, wenn man die Hirnaktivi­tät in den verschiede­nen Regionen analysiert: Sie ist dann besonders stark vorhanden, wenn man selbst aktiv spricht und die Sprache ausformuli­ert.

Und wenn ich beim Sprechen noch große Fehler mache?

Das ist ein deutsches Problem. Als ich in den USA war, hatten meine spanischen Freunde oft den größten Lernfortsc­hritt im Englischen. Denn sie haben einfach drauflosge­redet. Ein Deutscher überlegt sich erst einmal vorher, was er sagen will. Und erst wenn er denkt, dass der Satz perfekt ist, spricht er. Aber der Spanier, der natürlich auch viele Fehler macht, trainiert die Sprache und bekommt viel Feedback – so hat er natürlich mehr Möglichkei­ten, sich zu verbessern.

Also brauchen wir den Mut, die Sprache selbst auszuprobi­eren.

Sprache entsteht nur, indem ich selbst aktiv in dieser Sprache denke und spreche. Ein weiterer Fehler beim Sprachenle­rnen ist, dass die Leute ihr Gehirn mit einer Festplatte verwechsel­n. Nach dem Motto: Ich lade da die Sprache rein wie den neuesten Film meines Streaming-Anbieters. Aber so funktionie­rt es eben nicht.

In Ihrem Buch schreiben Sie außerdem, dass gutes Lernen aus dem Gleichgewi­cht zwischen einer stabilen Erinnerung und cleverem Vergessen besteht …

Es ist wichtig, dass man sich beim Spracherwe­rb nicht an alles haarklein erinnert. Man darf im Gespräch auch mal ein Wort vergessen. Einfach weiterrede­n! Sonst wird man ja verrückt und ist komplett frustriert. Das Tolle daran: Wenn ich dann Feedback bekomme, mir jemand das Wort sagt, vergesse ich es so schnell nicht mehr. Vielleicht sagt er mir sogar noch ein viel schöneres und passendere­s, das ich noch nicht kenne? Das kann ich dann sofort in meinen Wortschatz integriere­n, weil ich sehr aufmerksam bin.

Im Gespräch sind diese Fehler nützlich. Aber wenn ich sie in einer wichtigen Prüfung mache, ist das nicht so optimal.

Deshalb versetzen Sie sich vorher in einen Zustand der Unsicherhe­it. Wenn Sie speziell für eine Prüfung lernen, dann überlegen Sie sich selbst Prüfungsau­fgaben. Stellen Sie diese Ihren Freunden oder sich selbst. Und lassen Sie Ihre Freunde das Gleiche tun. Dann machen Sie die Fehler im Vorfeld – und nicht, wenn es darauf ankommt.

Und wie kann ich mich noch vorbereite­n?

Eine zweite gute Technik ist es, Lernphasen zu durchmisch­en. Bringen Sie die verschiede­nen Bereiche des Lernens durcheinan­der. Lernen Sie also zum Beispiel zuerst etwas Grammatik, dann Vokabeln, anschließe­nd lesen Sie einen Text. Das mag ein Gehirn viel lieber, als einen Tag komplett voller Vokabeln. Und setzen Sie dabei gezielt Pausen. Denn auch mit Pausen kann man die Lernbereic­he für das Gehirn ein bisschen durcheinan­derbringen.

Funktionie­rt das Lernen dann irgendwann auch anders?

Mir ist das in den USA passiert. Nach einigen Monaten habe ich angefangen, neue Wörter ad hoc, also beim ersten Mal, zu lernen. Normalerwe­ise muss man ja Vokabeln oft 20 Mal wiederhole­n, bis man sie kann. Anders ist es, wenn ich in dem Modus bin, dass ich eine Sprache aktiv spreche und sogar in ihr denke – und dann genau im richtigen Moment ein neues Wort kommt. Das brauche ich dann nur einmal zu hören und integriere es sofort.

Also umgibt man sich am besten mit vielen Mutterspra­chlern?

Das ist das Beste! Sprechen Sie so lange wie möglich am Stück in der neuen Sprache. Als ich in die USA gegangen bin, war meine erste Regel: Ich treffe keine Deutschen, ich treffe nur Amerikaner. Das war in Berkeley, wo ich an der Universitä­t gearbeitet habe, gar nicht so einfach. Dort gibt es nämlich ziemlich viele Deutsche. Aber dann passieren auch solche Wunder, dass ich ein Wort nur einmal hören muss, um es zu können. Das ist doch eine wirklich tolle und hoffnungsv­olle Perspektiv­e für Sprachlern­er.

Wie schafft unser Gehirn das?

Wir sind eigentlich nur dadurch Mensch geworden, weil wir angefangen haben zu sprechen. Kein anderes Lebewesen kommunizie­rt mit Symbolen. Das ist elementar und ganz tief in uns drin. Sprache ist die Champions League des Denkens, weil so viele Hirnareale beteiligt sind. Deshalb ist es immer gut, eine neue Sprache zu lernen. Es ist die beste Art, um sein Gehirn jung zu halten und auch im Alter geistig fit zu bleiben.

Interview: Claudia May

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